Das Beste aus meinem Leben

In letzter Zeit verfolgt mich das Gefühl zu verschwinden. Nicht mehr da zu sein. Jedenfalls nicht mehr sichtbar. Oder hörbar. Zu sein.Liegt es daran, dass ich fünf Kilo abgenommen habe?JA, ICH HABE FÜNF KILO ABGENOMMEN…!Eine Stimme: »Das ist ja toll, Sie sehen auch viel besser aus jetzt, es steht Ihnen gut, dieses Schlanke.«Ich: »Danke, wie schön, dass Sie es so rasch bemerkten, ich freue mich sehr über Ihr Kompliment.«Fünf Kilogramm, das sind immerhin sechs Prozent meiner Gesamtmasse, liegt es da nicht nahe, dass auch sechs Prozent weniger Menschen mich bemerken?Ich komme aus meinem Zimmer in der Pension in den Bergen, weil ich zum Skifahren gehen will, und draußen auf dem Flur steht ein kleiner Bub, der nichts sagt und sich nicht rührt, der bloß schaut. Ich sage »Grüß Gott!«, aber er sagt weiter nichts, schaut nur durch mich hindurch wie durch ein leeres Glas, aber ich bin nun in dem Alter, in dem es mich kränkt, wenn kleine Buben mich nicht grüßen, in dem ich auf einem »Grüß Gott!« ihrerseits sozusagen bestehe – wer hätte gedacht, dass ich je in ein solches Alter komme?! »Grüß Gott!«, sage ich noch einmal, doch der Bub schweigt leeren Blickes.Das war nur ein Beispiel.Ein anderes: Ich sitze im ICE, ein Schaffner geht vorbei, er nimmt meine ihm entgegengestreckte Fahrkarte und entwertet sie, ohne mich zu sehen, er sieht nur ein in der Luft schwebendes, von ihm zu stempelndes Ticket. Dann will er gehen zu anderen, besser sichtbaren Fahrgästen, doch frage ich ihn noch etwas, in seinen Rücken hinein stelle ich die Frage, ob ich einen Kaffee haben könne, bitte. Und er sagt, ohne sich zu wenden und nachzusehen, wer diese Frage gestellt habe könnte: »Da schau ich dann mal…« Und kehrt nie wieder und schaut nie wieder.Und noch eine Geschichte, im Supermarkt: Dort lege ich gehorsam meine Waren aufs Band, stecke sie in eine Tüte, bezahle sie, ohne dass die Kassiererin mir einmal einen Blick schenken würde, sie sieht stattdessen nur Waren, Tüten und Geld – aber fragt doch am Schluss mit einer Stimme, die mich von Ferne erreicht: »Sammeln Sie Herzen?« Bitte schön, denke ich, was für Herzen sollte ich sammeln? Bin ich Warren Beatty oder Alain Delon, dass ich täglich ein Frauenherz in mein Album kleben möchte, und warum sollte ich dazu in einen Supermarkt gehen – um ein längst gebrochenes Kassiererinnenherz meiner Sammlung einzuverleiben? »Nein«, sage ich, aber sie sortiert die Waren des Nächsten, hat vergessen, dass sie da eine Frage gestellt hatte und wem…Vor allem erfahre ich mein Verschwinden im eigenen Haus, durch meinen eigenen Sohn.»Luis!«, sage ich um Viertel vor sieben, wenn er aufstehen müsste. »Du musst aufstehen.« Doch Luis verhält sich, als hätte niemand gesprochen, er schläft weiter.»Luis!«, sage ich nach dem Mittagessen. »Es reicht nicht, dass du nur deinen eigenen Teller zum Abwasch getragen hast, du sollst helfen, den gesamten Tisch abzudecken.« Doch Luis sitzt hinter einem Lucky Luke-Heft und reagiert nicht auf eine Stimme, die nur ich zu hören scheine.»Luis!«, sage ich am Ende der täglichen Filmore-Folge im Fernsehen. »Mach bitte den Fernseher aus und komm zum Abendessen!« Doch Luis betrachtet den Bildschirm, als existierten weder ich noch die Wörter, die ich spreche.Das ist es, was mich so besorgt stimmt. Dass selbst nächste Angehörige mich nicht mehr wahrnehmen. Schon antwortet Paola nicht mehr, wenn ich beim Heimkommen »Hallo?!« in den Flur hinein rufe. Schon enthält Bosch, mein sehr alter Kühlschrank und Freund, kein Bier mehr für mich. Schon möchte ich das Wort » « schreiben, aber da wo es stehen sollte, steht nichts mehr, kann das Wort » « nicht mehr schreiben, verschwinde, bin schon ganz weg, schade eigentlich, wie aber wohl im Grunde nur finde.