Das Beste aus meinem Leben

Wo immer man heute anruft, spricht man erst mal mit einer Maschine. Man hört: Anrufbeantworter. Computerstimmen. Drücken Sie die 1, wenn Sie dieses wollen. Die 2, wenn Sie jenes möchten.Neulich wollte ich Kinokarten reservieren lassen, für Paola und mich. Capote. Der lief in einem großen Kino-Center.Ich rief dort an. Eine Stimme kündigte an, sie werde mir zunächst alle Filme nennen, die momentan im Kino-Center liefen. Wenn ich einen Film sehen wolle, solle ich sagen »Reservieren«, wenn ich ihn nicht sehen wolle, müsse ich das Wort »Weiter« sprechen, und wenn ich doch noch den Film sehen wolle, der zuvor angekündigt worden sei, sei »Zurück« das richtige Wort.»Deutliches Aussprechen der Schlüsselwörter!«, mahnte die Maschine. Freisprechanlage abschalten! Störgeräusche vermeiden!»Reeserrvieren!«, murmelte ich schon mal probehalber. »Weitterr! Zurrückk!«Nun kamen also alle Filme. Es waren viele. Capote kam als Letzter, natürlich. Das ist sicher Absicht. Sie nennen die interessanten Filme als Letzte. Warum? Ich weiß es nicht. Ich vermute, es hat was mit mir persönlich zu tun.Ich sagte: Weiter. Weiter. Weiter. Weiter. Weiter. Ungefähr fünf Minuten lang sagte ich nichts als: Weiter. Mitten in den Filmtitel hinein sagte ich nach einer Weile »Weiter«. Ich ließ die Maschine gar nicht mehr ausreden.Dann kam: Capote. Ich merkte es erst gar nicht, sagte wieder »weiter«, dann aber gleich »Zurück« und sofort »Reservieren«.Als Nächstes ging es um den Tag, an dem ich reservieren wollte. Dann um die Uhrzeit. Dann um die Anzahl der Karten.Und da änderte sich nun etwas. Statt »Weiter« oder »Zurück« musste man plötzlich »Mehr« oder »Weniger« sagen, wenn die Maschine eine bestimmte Kartenzahl vorgeschlagen hatte, aber »Reservieren« galt noch. Bloß hatte ich das binnen Sekunden plötzlich vergessen, keine Ahnung, warum – ich wusste auf einmal nicht mehr, welches Wort man sagen musste, wenn die Apparat-Stimme die richtige Zahl der Karten genannt hatte. Also sagte ich, um Zeit zu gewinnen, wieder: Weiter. Weiter. Weiter. Und zwischendurch auch mal: Zurück. Zurück. Zurück. Vielleicht fiele mir, dachte ich, das Wort ja gleich wieder ein.Aber das Wort fiel mir nicht ein. »Reservieren« – ich hatte es vergessen. Bloß wollte ich die Sache nicht wieder von vorne beginnen, ich hatte schon zehn Minuten am Telefon verbracht. Ich brabbelte weiter vor mich hin: Zurück. Weiter. Weiter. Zurück.Bis die Kino-Centerstimme plötzlich »Eine Karte« sagte und ich »Zurück« antwortete und etwas Merkwürdiges geschah.Die Stimme sagte nämlich: »Weniger als eine Karte können Sie nicht reservieren.«Das war erstens sehr richtig. Aber zweitens sagte das Gerät es mit einem – ich schwöre! – deutlich ironischen Unterton. Ja, mit einer gewissen Emotionalität. Einem Belustigtsein in der Stimme. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich das Gefühl hatte, eine Maschine würde gleich lachen. Interessant, nicht wahr? Eine lachende, ja, losprustende Maschine. Mir fiel ein, dass schon am Anfang, als alles begann, die Stimme das Wort »Hauptmenü« auch nicht neutral ausgesprochen hatte. Sondern mit einer geradezu vibrierenden Freude. So wie einer, dessen Leibgericht Spaghetti aglio e olio sind und der nun sehr hungrig ein Zimmer betritt, wo dampfende Spaghetti aglio e olio auf dem Tisch stehen, so wie dieser Mensch also »Ah, es gibt Spaghetti aglio e olio!« sagt beziehungsweise ausruft, so also sagte die Maschine: »Hauptmenü!« Rief es aus.Vielleicht ist es ja auch keine Maschine, dachte ich. Vielleicht sitzen hunderte von Menschen in einem Saal und beantworten Anrufe nach diesem Schema und zwischendurch pinkeln sie in die Hosen vor Lachen. Über die Anrufer. Wie sie sich schwer tun. Wie sie Schlüsselwörter vergessen. Oder undeutlich aussprechen. Wie sie weniger als eine Karte zu reservieren versuchen.Als ich die Karten endlich bestellt hatte und den Hörer auflegte, hörte ich hinter mir ein leises Kichern. Ich drehte mich um, ob Paola da wäre oder Luis. Oder eine emotionalisierte Maschine. Aber es war nur Bosch. Mein sehr alter Kühlschrank. Und Freund.