Bald geht das Jahr zu Ende. Man zieht Bilanz. Auch heuer ist es mir nicht gelungen, Paola, meine Frau, zu bewegen, die Zahnpastatube im Bad senkrecht abzustellen, also auf den Schraubverschluss. So wie es eigentlich selbstverständlich sein sollte. So wie es die Hersteller auch vorgesehen haben. Sie haben die Schraubverschlüsse derart konstruiert, dass die Zahnpastatuben darauf stabil stehen können. Und so, dass die Zahnpasta, weil sie in dieser Stellung immer nach unten sinkt, also der Tubenöffnung entgegen, sich rasch und in ihrer ganzen Fülle auf die Zahnbürste drücken lässt.Paola aber legt die Zahnpastatube hin.Ich habe scharf dagegen protestiert. Ich hatte es für das Jahr 2004 zu einem meiner Hauptprojekte im privaten Bereich gemacht, meiner Frau das Idiotische ihres Handelns klar zu machen und sie zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Wenn man diese Kunststoffzahnpastatuben hinlegt, statt sie auf dem Schraubverschluss abzustellen, ist es (gerade an den Tagen, an denen die Zahnpastatube allmählich leer wird) ausgesprochen schwer, Zahnpasta aus der Tube zu drücken. Unnötig schwer. Gerade morgens und abends, wenn man noch oder schon müde ist, möchte man es aber nicht schwer haben. Man möchte leichter Hand einen Zahnpasta-streifen auf die Bürste legen. Sich nicht abmühen müssen.Paola findet es lächerlich, dass ich so mit ihr rede. Über solche Themen. Dass ich eine solche Banalität in unsere Beziehung bringe. Zu bringen wage. Sie hat Recht. Wir sollten über größere Gegenstände sprechen, über das Ewige unserer Liebe.Aber nicht ich bin es doch, der dieses blöde und einer Ehe erwachsener Menschen unwürdige Thema aufs Tapet bringt. Sondern sie. Durch ihr dummes Verhalten. Durch ihr ausgesprochen dummes Zahnpastatubenhinlegeverhalten. Würde sie die Tube abstellen, wie ich es in Über-einstimmung mit den Intentionen der Zahnpastatubenhersteller propagiere und wie es ja auch einzig sinnvoll ist, müsste man darüber nicht ein Wort verlieren.Leider muss ich sagen, dass ich inzwischen das Gefühl habe: Sie tut es absichtlich. Sie erzieht sogar unseren Sohn dazu. Auch er soll seine Tube nicht aufstellen, sondern hinlegen. Sie wartet dann meine Reaktion ab. Ob ich diese hingelegte Tube einfach nur aufstelle oder ob ich sogar etwas sage. Mich beschwere. Damit sie mich einen Spießer nennen kann. Eine zwanghafte Person.Sie findet das lustig. Sie wirft in die Debatte, ob das Ganze nicht eine sexuelle Dimen-sion habe: die signalhaft aufgerichtete Tube einerseits und der matt und flach da- liegende Behälter andererseits.Ich sage, selbst Freud habe erklärt: Manchmal sei eine Zahnpastatube nur eine Zahnpastatube.Sie fragt mich, wo mein Humor bleibe. Sie sagt, sie wolle mich nur necken.Ich möchte aber nicht geneckt werden. Nicht in dieser Sache. Ich möchte nur, dass meine Zahnpastatube so dasteht, wie ich sie dastehen haben möchte. Nur diese kleine Bitte habe ich. Diese sehr kleine Bitte. Jeder Mensch hat neben seinen großen Plänen eine kleine Bitte. Und ich habe eben diese.Vor Jahren habe ich mal einen Mann kennen gelernt, der mir erzählte, der einzige ernsthafte Konflikt, den er mit seiner Frau habe, drehe sich um die Frage, ob man die Zahnpastatube im Verlaufe des Ausdrückens aufrolle oder nicht. (Etwas, was man mit modernen Plastikzahnpastatuben gar nicht mehr machen kann: aufrollen.)»Was für leidenschaftslose Menschen!«, dachte ich.Das stimmte nicht. Die Ehe wurde geschieden – und zwar nicht wegen aufgerollter oder unaufgerollter Tuben.So weit ist es bei uns nicht. So weit wird es bei uns nie kommen. Wir haben eine Menge anderer Themen. Große Themen! Aber dieses Thema haben wir auch.Leider haben wir es eben auch.Ich habe bereits über getrennte Tuben nach-gedacht. Doch ich traue Paola zu, dass sie sich nicht an eine solche Trennung hält, dass sie also meine Zahnpastatube benutzt, als wäre es ihre. Und dass sie diese dann hinlegt.Vielleicht finde ich 2005 eine Lösung. Ich werde weiter auf die Tube drücken. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Das ist ja das Kennzeichen großer Liebe: dass man die Hoffnung nie aufgibt.