Zu den intimsten Momenten im Leben eines Paares gehört die Stunde nach dem Besuch einer Party, einer abendlichen Einladung zum Essen, einem Besuch bei Freunden. Der Austausch von Eindrücken. Die schonungslose Analyse der Anwesenden. Des Essens. Der Einrichtung. Der Beziehung zwischen Gastgeber und Gastgeberin. Des Verhaltens des Partners.
Mich würde interessieren, wie es um die Beziehungen der Menschen bestellt wäre, wenn allen Beteiligten an solchen Begegnungen ein Gesprächsprotokoll dieser Unterhaltungen zugestellt würde. Man würde aus Reaktionen oder Nichtreak-tionen die interessantesten Schlüsse ziehen können. Ob jemand beleidigt ist, wenn man über ihn lacht. Ob jemand lacht, wenn man ihn beleidigt hat. Ob es ihm unerträglich ist, dass man überhaupt über ihn geredet hat. Oder ob gerade dies ihm das Wichtigste wäre: dass man über ihn redet – und was?!
Aber das scheitert daran, dass diese Gespräche nie geführt würden, wenn man wüsste, sie werden protokolliert. Oder sonstwie mitgehört.Wir waren bei P. und seiner Frau eingeladen, einige Straßen weiter, eine Wohnung oben in einem alten Haus, mit einer schönen Terrasse über den Dächern. Da saßen wir in der Abendluft und aßen, zu viert, und blieben länger, als wir hatten bleiben wollen. Es war einer jener Abende, an denen man überraschend so vertraut mit-einander plaudert, als ob man sich seit Jahren kennen würde, so persönlich, wie man mit anderen, mit denen man eben seit Jahren bekannt ist, nicht bis ins Grab hinein reden würde. Mit den P.s hatten wir bis dahin nie wirklich gesprochen, immer waren wir ihnen nur an anderen Orten flüchtig begegnet – bis sie uns eingeladen hatten.
Irgendwann empfahl ich P. ein Buch, das ihn sehr interessierte. Ich erinnerte mich nicht genau an den Titel und den Namen des Autors, aber weil P. das Buch anscheinend am liebsten noch am selben Abend gelesen hätte, gab er mir seine Handynummer, damit ich ihm alles sagen könnte, so bald wie möglich. Ich speicherte die Nummer in meinem Handy und steckte es in die Hosentasche.
Man soll sein Handy nicht in die Hosentasche stecken, ich weiß, seine Strahlung könnte die Qualität des Erbgutes vermindern, aber da ich als Vererber schon dieses und jenes geleistet habe und es bei mir nicht mehr so darauf ankommt (jedenfalls, was die Erbgüte angeht, möchte ich betonen), lasse ich manchmal fünfe gerade sein, wenn der Ausdruck erlaubt ist.
Paola und ich sprachen auf dem Heimweg, wie wir (und wie, so mein fester Glaube, nahezu alle Paare) immer sprechen nach solchen Abenden: Findest du nicht, dass hinter seiner lauten Art in Wahrheit ein unsicherer Mensch steckt? Was bedeutet es, dass Leute mit viel Geschmack diese herrliche Terrasse so lieblos möbliert haben..! Dafür, dass sie so ein Mordsgewese um das Essen gemacht haben, war es nicht soooo toll! Gesundheitsvorsorge finde ich schön, aber dass sie nach der Nachspeise Zahnseide gereicht haben…
Am nächsten Morgen klingelte mein Handy. Weil ich seine Nummer gespeichert hatte, sah ich sofort, dass es P. war – aber ich wunderte mich. Denn ich hatte ihm meine Nummer nicht gegeben.
»Ach, du bist es tatsächlich…«, sagte er nachdenklich.
»Natürlich«, sagte ich. »Wieso..?«
»Ich wollte nur wissen…«, sagte er. »Von dieser Nummer ist gestern Abend noch bei mir angerufen worden, aber ich habe das Läuten nicht gehört, und nun wollte ich wissen, wer…«
Er brachte das Gespräch schnell auf das Buch, das er lesen wollte, und wir legten wieder auf.Ich sah in meinem Handy nach. Seine Nummer war die letzte, die ich gestern Abend gewählt hatte. Von meiner Hosentasche aus. Versehentlich. Er hatte alles gehört. Auf seiner Mailbox.
Hatte ich nicht eingangs gesagt, dass ich gerne wüsste, wie es um die Beziehungen der Menschen untereinander bestellt wäre, wenn..? Dass es aber nicht möglich sei, das zu erfahren?
Doch, es geht. Ich werde es bald wissen. Jedenfalls in diesem einen, sehr speziellen Fall.
Ich nahm das Handy und wählte P.s Nummer, um ihn und seine Frau zum Essen einzuladen.
Illustration: Dirk Schmidt