Ist es nicht seltsam, wie sehr das politische Leben an das Geschehen auf dem Pausenhof meiner Schule und auf den Straßen unseres Viertels damals erinnert?
Trump, das Großmaul: Da war der Typ, der, weil er ein paar Mal die Versetzung nicht geschafft hatte, viel älter war als wir anderen. Seine Eltern hatten Geld, und er donnerte schon in der elften Klasse mit dem eigenen Auto auf den Schulhof, was ihm Ärger einbrachte, aber noch mehr Renommee: Was der sich traute!
Putin, der Rabauke: Einen gab es, der immer auf dem Bolzplatz auftauchte, mitspielte, ohne zu fragen, und der sofort, wenn ihm etwas nicht passte, drauflosprügelte. Hat nicht Putin gesagt, er habe vor fünfzig Jahren »auf der Straße in Leningrad gelernt: Wenn eine Straßenschlägerei nicht zu vermeiden ist, muss man als Erster zuschlagen«? Ja, hat er. Aber der Kerl damals bei uns behauptete auch immer, man habe ihn provoziert: Bloß bestand die Provokation meistens darin, dass man mit dem Ball an ihm vorbeigezogen war, weil er nicht gut Fußball spielte.
Oder, eine Nummer kleiner, die Radikalen Le Pen oder Petry: Erinnern sie und ihr Gefolge nicht an die ewigen Jammerer, die für miserable Noten nie die Schuld bei sich suchten, sondern immer bei dem Lehrer, der sie verkenne oder unfähig sei, oder bei dem Mitschüler, der sie nicht habe abschreiben lassen? Ja, und plötzlich entdecken die Frustrierten und Gekränkten auf Facebook, dass es viele Frustrierte und Gekränkte gibt, und dass sie eine Macht sein können. Nur, was mit der Macht zu tun wäre – tja.
In einer gemeinsamen Umfrage des Magazins Esquire und des amerikanischen Fernsehsenders NBC las ich, drei von vier Weißen in den USA seien mindestens einmal am Tag wütend (nur gut die Hälfte der Schwarzen berichtete das von sich und zwei Drittel der Hispanics). Diese Wut bricht sich gerade Bahn, ein simples Gefühl. Ist es ein Wunder, dass man sich an pubertäre Verhaltensformen erinnert fühlt, Trotz, Narzissmus und Maßlosigkeit? An Geschrei, das sich um die Folgen nicht schert?
Wer möchte in Putins Lügenreich leben, wo, der Zeitschrift Forbes zufolge, der »König der Staatsaufträge« ein Milliardär namens Rotenberg ist, zufällig ein Freund aus alten Zeiten in Putins Judo-Klub in St. Petersburg. Und in dem die Regierungszeitung Rossijskaja gazeta ihre Leser mit Überschriften verwöhnt wie »Deutscher Politiker: Immer mehr Bundesbürger denken über eine Auswanderung auf die Krim nach«? Wer will ein Amerika, das Mauern an seinen Grenzen errichtet und allen Muslimen die Einreise verbietet? Wer will, dass an unseren Grenzen auf Flüchtlinge geschossen wird?
Alles erinnert an das Verhalten Unreifer auf dem Schulhof – aber was nützt uns diese Erkenntnis? Das Problem ist gerade, dass wir uns eine entspannt ironische Haltung angewöhnt hatten, diese Leute zu betrachten, ein wenig von oben herab, nicht ohne Arroganz und sehr lässig. Trump, der Mann mit der komischen Frisur und den goldenen Wasserhähnen. Putin: der Typ mit dem Maskulinitäts-Tick, der nach Amphoren taucht, die seine Gehilfen auf den Meeresgrund legten. Was aber, wenn die Lächerlichkeit nach der Macht greift? Trump in den USA, Le Pen in Frankreich, Petry in diesem und jenem Bundesland – und auch Putin, indem es ihm gelingt, mit Straßenschläger-Methoden, Lügenkampagnen und der Finanzierung von Le Pens Front National Europa zu spalten? Der Comedian John Oliver hat kürzlich in seiner Sendung Last Week Tonight 22 Minuten lang nichts anderes getan, als die haarsträubenden Erfindungen Donald Trumps über die Finanzierung seines Wahlkampfes und seinen angeblich immerwährenden geschäftlichen Erfolg Tatsache für Tatsache auseinanderzunehmen.
Das war nicht mehr lustig. Aber die ganz spaßigen Zeiten sind für uns alle wohl jetzt einfach vorbei.
Illustration: Dirk Schmidt