Schreib was dagegen

Anhand der Welle seltsamer Online-Petitionen fragt sich unser Kolumnist, warum alle immer nur über die unwichtigen Dinge streiten – und nicht zur Abwechslung mal um die Rentenreform der großen Koalition.

Demokratie ist heute eine einfache Sache, oder? Jeder wird gehört. Alle äußern sich. Du möchtest nicht, dass in Birresborn eine Hühnerfarm gebaut wird? Da gibt es eine Petition im Internet! Klick’ die an, und du wirst Erfolg haben, denn, tatsächlich, die Hühnerfarm wird nicht gebaut – oder sagen wir: nicht in Birresborn! Du ärgerst dich, dass Markus Lanz Sahra Wagenknecht ins Wort gefallen ist? Schnell eine Petition verfasst, klickklickklick, ohooo, mehr als 200 000 Leute sind deiner Ansicht; Sahra Wagenknecht muss ausreden dürfen (wie sie das nun mal gewöhnt ist und ja auch jeden Abend tut, in irgendeiner Talkshow). Du möchtest das Albino-Delfinbaby Angel retten, im fernen Japan? Auch da gibt es eine Petition, mit etwa 140 000 Unterstützern.

Es geht also alles ganz leicht. Auf großen Internet-Petitions-Seiten muss man nur aufschreiben, an wen sich eine Petition richtet, was derjenige dann tun soll und warum das wichtig wäre, schon steht es da. Und wer dafür ist, muss nicht mal unterschreiben, er klickt nur an, manche tun das auf offenen Plattformen gleich hundert Mal, bei derselben Petition, wohlgemerkt. Bei change.org erscheinen Tag für Tag im Schnitt mehr als zehn solcher Brandbriefe neu, warum auch nicht? Der Mensch will sich äußern. Er möchte gehört werden. Und wenn es gegen Markus Lanz geht, den kein einziger deutscher Journalist leiden kann, darf jeder Petitionist damit rechnen, dass alle deutschen Zeitungen mehrere mindestens mittelgroße Berichte dazu verfassen.

Nun ein Wort zu den Rentenplänen der Bundesregierung, das teuerste Gesetzesvorhaben der kommenden vier Jahre, bis 2030 wird es 160 Milliarden Euro kosten: mehr Geld für ältere Mütter, volle Rente ab dem 63. Lebensjahr für alle, die 45 Jahre lang eingezahlt haben. Bezahlt wird das von denen, die noch arbeiten und die sich darauf einstellen dürfen, dass ihre eigene Rentenversorgung dereinst eher ihre Privatsache sein wird.

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Man kann sagen, dass die Regierungsparteien sich mit diesen Maßnahmen in großem Stil bei ihren Wählern bedanken. Denn bei der Wahl 2013 war schon ein Drittel aller Stimmberechtigten älter als 60, diese Altersgruppe hat sogar doppelt so viele Wähler wie die ganz Jungen unter 30. Auch war die Wahlbeteiligung der Älteren höher als die aller anderen.

Eine ganze Generation sieht schweigend zu, wie sich eine andere auf ihre Kosten versorgt.

Was ist das eigentlich für ein Bild der Gemeinschaft, das wir uns da angewöhnt haben? Mutti Staat als Versorgungsinstanz, derer man sich bedient, wenn man nur die Möglichkeit dazu hat? Es heißt nicht gleich, den Sozialstaat zur Debatte zu stellen, wenn man sich fragt, ob es richtig ist, die Demokratie so zu benutzen. Es ist ja bequem, vom Staat Geld zu erwarten. Bloß bedeutet es immer auch, ihm noch mehr Macht zu geben, sich von Politikern noch abhängiger zu machen und sich noch mehr Eigenverantwortung abzugewöhnen. Wer den Staat zur »Sozialmacht« umfunktioniert, wie Kurt Biedenkopf das genannt hat, der früher mal sächsischer Ministerpräsident war, der sollte nicht vergessen, dass jede Art von Macht immer eine Einschränkung von Freiheit zur Folge hat.

Übrigens haben CDU, CSU und SPD das, was sie jetzt tun, vor der Wahl so angekündigt. Andererseits war auch immerzu die Rede von großen Investitionen in die angeblich verrottende Infrastruktur des Landes, auch in Forschung und Bildung, Dinge, die den Jüngeren und dem ganzen Land nutzen würden, und die nicht einfach nur bar auf Wähler-Konten überwiesen werden können. Davon hört man nun deutlich weniger.

Kompliziert, nicht wahr? Genau deswegen wird auch wenig darüber geredet. Das ist ja das Problem: Es ist recht einfach, sich über eine Hühnerfarm im eigenen Ort, über Markus Lanz oder über ein gefangenes Delfinbaby in Japan zu erregen. Das versteht jeder sofort, es macht keine große Mühe im Kopf und ist auch schnell wieder vorbei. Nur leider ist es auch nicht so wichtig.