Er könnte das alles viel einfacher haben. Schneller, billiger. »Aber ich will nicht«, sagt Jörg Hündorf. Er steht in einer Hinterhofwerkstatt in Halle, neben ihm dreht sich eine Senfmühle aus Basaltsteinen – ein grauer Koloss, eine Tonne schwer. Zwischen die Steine pumpt Hündorf die Senfmaische, ein Gemisch aus Essig, Gewürzen und Senfsaat. Gelbe Senfsaat, die mild ist und nach Gewürzgurken schmeckt, und schwarze Senfsaat, deren Schärfe in die Nase steigt. Sechs bis sieben Stunden dauert es, bis die Maische zu Senf gemahlen ist. Das ginge auch schneller und weniger schonend, aber dann würde die Maische heiß, erklärt Hündorf – und das Aroma wäre verloren.
Jörg Hündorf ist eigentlich Musiker. Fast zwanzig Jahre lang spielte der 46-Jährige in mehreren Bands Schlagzeug und Hammondorgel. Für einen Plattenvertrag reichte es nicht, aber es war genug, um davon zu leben. Dann begann er seine zweite Karriere als Senfmüller. »Der Senf aus dem Supermarkt schmeckte mir nicht«, sagt er. Hündorf, ein schmaler, ernsthafter Mann, wuchs in einer Metzgersfamilie auf. Dort gab es Senf zur Wurst, Senf zum Fleisch – eigentlich gaben die Eltern Senf zu allem.
Hündorf beginnt zu experimentieren, mahlt Senfsaat in der Kaffeemühle, mischt Maische im Mörser an. Seinen ersten selbst gemachten Senf nimmt er mit auf Tournee und reicht ihn beim Grillen nach den Konzerten herum. Die Leute mögen ihn. Hündorfs Senf ist richtig scharfer Mostrich, wie der, den sie von früher kennen. Als es die DDR noch gab, als westdeutsche Firmen die Senffabriken noch nicht aufgekauft hatten, die mit Steinmühlen mahlten, nach alten Rezepten.
Vor sechs Jahren kriselte es in Hündorfs Band, er entschied sich, ins kalte Wasser zu springen, und bestellte die erste Palette Gläser.
Drei Jahre lang sucht er nach genau dem Senfgeschmack, den er vermisst, und lernt das Handwerk von Grund auf. Er experimentiert mit Senfsaaten von verschiedenen Herstellern, probiert Gewürze, Essige, Gefäße und Mühlen aus. Seine Senfsaat bezieht Hündorf ausschließlich aus Deutschland, die gelbe aus Schwäbisch Hall, die schwarze aus Thüringen. Bei Senfsaat aus Kanada, dem gängigen Importland, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie gentechnisch bearbeitet ist. Das Salz ist Halloren-Salz, es stammt aus der Halleschen Saline.
Die Musik ist heute nur noch ein Hobby. »Inzwischen fehlt sie mir nicht mehr so«, sagt Hündorf. »In den ersten Jahren war es hart, eine große Umstellung. Jetzt bin ich am Wochenende oft bei Verkostungen, das ist wie früher, auf der Bühne. Nur mit weniger Rock ’n’ Roll.«
Wann immer er mit seiner Frau Gundula verreist, besuchen sie Mühlen: Windmühlen, Wassermühlen, Kaffeemühlen, Senfmühlen. Die Basaltlavasteine seiner jetzigen Mühle kommen aus der Eifel. Ein älterer, erfahrener Mühlenbauer hat die Mühle dann im Erzgebirge angefertigt. Hündorf hat auch einen eigenen Vertriebsweg gefunden: auf den Märkten von Slow Food, einer Bewegung, die regionale, handwerklich arbeitende Lebensmittelproduzenten fördert. In seiner Heimatstadt liefert Hündorf den Senf persönlich mit dem Fahrrad aus.
»Wir haben noch Kapazitäten, wir könnten wachsen«, sagt Hündorf. »Aber ich will lieber kleiner und noch regionaler werden.« Seinen einzigen Mitarbeiter hat er vor eineinhalb Jahren angestellt, die beiden füllen selbst ab, versiegeln und etikettieren die Senftöpfe eigenhändig. Georgsenf gibt es in fünf Varianten: Classic, Herrensenf mit Weißwein, Senf mit Apfelsaft, mit Bienenhonig und mit grünem Urwaldpfeffer. Der Weißwein für den Herrensenf ist Müller-Thurgau aus Radebeul, der Apfelsaft kommt bislang von der Streuobstwiese eines befreundeten Bauern. »Das kann ich aber auch noch selbst«, sagt Hündorf. Im Frühjahr will er die Bäume pflanzen.
Fotos: Hinrik Schmoock