Baijiu. Merken Sie sich das Wort. Bald auch in Ihrer Nähe. Bai heißt »weiß«, aber auch »klar« und »rein«. Jiu heißt »Alkohol«. Baijiu ist also der Klare. Chinas Schnaps. Chinas Wodka. Chinas Tequila. Und doch wieder etwas komplett anderes. Baijiu wird meistens mit »Reisschnaps« übersetzt. Aber der Baijiu-Kosmos ist groß, und nur der kleinere Teil wird aus Reis gebrannt. Es gibt mehr als 10 000 Destillerien in China, manche geben Mais hinzu, der Würze und Süße wegen. Oder Weizen, dem man eine milde Honignote entlocken kann. Klebereis, reich an Stärke, sanft und süß. Die große Mehrheit der chinesischen Schnäpse aber wird aus roter Sorghumhirse gewonnen, einem aus Afrika stammenden Süßgras, das seit mehreren Tausend Jahren auch in China heimisch ist.
Baijiu. Noch nie gehört? Baijiu ist die meistgetrunkene Spirituose der Welt. Schätzungsweise 13 Milliarden Liter im Jahr, Wodka, auf Platz zwei, kommt gerade mal auf die Hälfte. Weltweit. Wobei das Wort weltweit im Falle des Baijiu nicht recht Sinn ergibt: Die 13 Milliarden Liter werden praktisch ausschließlich in China getrunken. Die Welt kennt Baijiu nicht. Das soll sich ändern. »Solange die Welt Baijiu nicht kennt, kennt sie China nicht.« Sagt der Parteisekretär Wang Hongbo, der gern hätte, dass die Welt China besser versteht. Wenn sie sich dabei der Produkte seines Hauses bedient, einer berühmten Schnapsbrennerei in den Bergen Sichuans, umso besser.
Baijiu. Noch nie getrunken? Glauben Sie mir, Sie würden sich erinnern. Man vergisst sein erstes Mal nie. »Baijiu schmeckt wie nichts anderes auf der Welt.« Das kommt aus dem Mund von Derek Sandhaus, Amerikaner und Autor einer Baijiu-Bibel. Sandhaus meint, dessen Einzigartigkeit sei »das große Plus« von Baijiu, wenn er nun auszieht, die Welt zu erobern. Es ist eine Entdeckung für Leute, die schon alles kennen. Ein neuer Kontinent für die Forschungsreisenden unter den Gourmets, für kitzelsuchende Hipster. Es ist aber auch eine Herausforderung sondergleichen für die Baijiu-Missionare. Ein Abenteuer für alle, die sich darauf einlassen.
Jeder Ausländer in China hat eine Geschichte zu erzählen über sein erstes Glas Baijiu. Beziehungsweise seine ersten Gläser, ersten Flaschen. Das ist schon Teil des Problems: Jahrzehntelang wurde Baijiu in China kaum einfach nur getrunken und schon gar nicht gekostet, sondern immer gesoffen. Oberstes Ziel eines jeden Gastgebers und Tischherrn: den Gast in möglichst kurzer Zeit möglichst betrunken zu machen. Oberste Pflicht eines jeden Gastes: den Gastgeber bei der Erreichung dieses Ziels zu unterstützen. Es gibt ein eigenes Wort für dieses Spiel, man spricht vom »quanjiu« – dem »Überreden zum Trinken«. Mit zahllosen Toasts und Trinksprüchen. Es ist die Nötigung zum Rausch. Und das mit einem Vorschlaghammer von Schnaps, der meistens zwischen 50 und 60 Prozent Alkohol enthält (Wodka kommt auf 40). Mein erstes Mal endete im Apartment von Freunden, ich hatte mich im Lokal nicht mehr auf den Beinen halten können. Ich erinnere mich daran, dass ich beim Spucken die Kloschüssel verfehlte und dachte: Das Zeug riecht erbrochen auch nicht anders als aus der Flasche. Wir hatten Pekinger Erguotou getrunken, legendären Fusel, 56 Prozent Alkohol, das Billigste vom Billigen. Lange das Grundnahrungsmittel Pekinger Taxifahrer, Stahlarbeiter und Poeten. Roter Sorghum mit einer Note Kakerlakengift und mehr als nur einem Hauch Abflussreiniger im Abgang. Der Flachmann in der ikonischen grünen Flasche ist noch heute für weniger als einen Euro zu haben.
Alkohol und die chinesische Kultur, das war immer ein inniges Verhältnis. Wein verband im Ahnenkult die Fürsten mit den Vorfahren, er schmiedete Allianzen, entschied Schlachten, führte den Malern den Pinsel und diktierte den Dichtern ihre Verse. »Nur der Wein erleuchtet das Herz«, schrieb der Tang-Poet Du Fu (712–770), »nur das Gedicht beruhigt die zerrissene Seele.« Mehr als 1200 Jahre später fand Chinas Literaturnobelpreisträger Mo Yan: »Wer dem Schnaps fernbleibt, kann unmöglich über Literatur reden.« Mo Yan sprach da schon vom Baijiu, den Du Fu noch nicht kannte: Die Technik der Destillation, die China den scharfen, starken Schnaps schenkte, erreichte das Land erst vor ungefähr einem Jahrtausend. Baijiu war von Anfang an das Getränk der Massen, erst Mao Zedongs Revolutionäre machten den Arbeiter- und Bauernschnaps zum Getränk einer neuen Elite. So war Baijiu zuerst der Treibstoff von Maos Revolution, dann wurde er das Schmiermittel für Geschäfte und Karrieren. Jetzt aber steht Chinas Schnapskultur selbst vor einer kleinen Revolution.
Ein Haus in Pekings Altstadt, in der »Große Chrysanthemen«-Gasse Nummer drei. Holzschemel, schummriges Licht, Soulmusik. Vor zwei Jahren eröffnete hier die erste Baijiu-Bar Pekings. Chinas. Der Welt. Chinas Schnaps wurde zuvor nicht in Bars getrunken. Sondern immer hinabgestürzt beim Essen, bei den Banketten der Beamten und Unternehmer. Nie als Cocktail. Immer nur der pure Stoff. Immer auf ex. Natürlich gibt es in Peking unzählige Bars – aber dort werden Gin, Martini, Whiskey und Wodka serviert, wie überall auf der Welt. Keine chinesische Bar kam jemals auf die Idee, Baijiu zu servieren. »Alle unsere Freunde, Chinesen wie Ausländer, nannten uns komplett verrückt, sie lachten uns aus«, sagt Matthias Heger, einer der Leute hinter der Baijiu-Bar. Heute wird die Bar besucht von Pekinger Hipstern, bestaunt von chinesischen Medien und besprochen vom Wall Street Journal. Und einige der Macher, darunter jener 37-jährige Deutsche Matthias Heger, beraten mittlerweile eine der größten Baijiu-Firmen des Landes: wie man auf den Weltmarkt kommt. Wie man die Ausländer knackt. Wie man verhindert, dass sie ihr erstes Mal so in Erinnerung behalten wie jener in Peking lebende US-Manager, der berichtete, es habe »so geschmeckt wie Lösungsmittel und sich so angefühlt wie eine flüssige Lobotomie«.
Der erste Eindruck ist prägend, und Baijiu macht es einem nicht leicht. Bei einer Verkostung in New York vor Kurzem rang sich einer der eingeladenen Bartender ein ungewöhnliches Lob ab: »Riecht wie Toilette – aber auf eine gute Art.« (Andere rochen Dschungelholz. Und eine getrocknete überreife Ananas.) Und der Restaurant-Blog des New York Magazine stellte nach der Eröffnung der ersten Baijiu-Bar der Stadt neulich fest, wahrscheinlich gebe es in ganz New York keine Spirituose, die »mehr überrascht und mehr entzweit«. Der Kritiker verglich den Geschmack nicht nur mit »erdigen geräucherten Birnen«, sondern auch mit »verschwitzten Socken«, war aber alles in allem sehr wohlmeinend und versprach den New Yorkern: »Ihr werdet Spaß daran haben.«
All die Gruselgeschichten: vielleicht nur ein Missverständnis? »Geschmack ist eine Sache der Gewohnheit«, sagt Derek Sandhaus. Baijiu ist so stark, und den meisten Nicht-Chinesen sind sein Geruch und Geschmack so fremd, dass sie sich anfangs erschrecken. Aber das Publikum könne erzogen werden, meint Sandhaus: »Man muss den Leuten sagen, dass das mit Absicht so schmeckt, wie es schmeckt. Dass das Luxusprodukte sind.« Baijiu, die mehr als hundert oder sogar tausend Euro pro Flasche kosten, sind keine Seltenheit. »Vor allem aber«, sagt Sandhaus, »sind es Produkte von einer Komplexität und Vielfalt, die einen immer wieder staunen lassen.« Das ist die größte Überraschung, wenn man dem Baijiu eine zweite Chance gibt. In der Baijiu-Bar nehmen sie einen dabei an die Hand. Sie bieten dort Verkostungen an. Auf einem Tablett vier Gläser, ein jedes steht für eine der vier traditionellen Geschmacksrichtungen: Baijiu mit Reisaroma das erste, mild, aus Guilin. Dann der Leichtaromatische, ein oft billiger Arbeiterschnaps aus Nordchina, Pekings Erguotou gehört zu dieser Sorte. Saucenaroma schreibt man der dritten Sorte zu, weil manchmal fermentierte Bohnen durchzuschmecken scheinen, wie bei der Sojasauce. Moutai, wohl Chinas berühmtester Schnaps, fällt in diese Kategorie. Der populärste aber ist der Starkaromatische, traditionell fermentiert in mit Lehm ausgekleideten Erdlöchern.
Die berühmtesten dieser Fermentierungsgruben stehen knapp 2000 Kilometer südwestlich von Peking, am Zusammenfluss des Flusses Tuo und des Langen Flusses, in der Stadt Luzhou. Vier Gruben, in denen man im Jahr 1573 erstmals die Maische aus Sorghum zubereitete für den Luzhouer Schnaps, den Luzhou Laojiao. Die Gruben liefern bis heute: Kein Krieg, kein Kaisersturz, keine Flut und kein Erdbeben hat die Produktion hier je unterbrochen. Von der Maische in den alten Gruben wird seit 443 Jahren jedes Vierteljahr immer nur ein Viertel entnommen, der Destillation zugeführt und gleich durch neuen Sorghum-Mix ersetzt. »So kann man in den Flaschen unseres 1573er noch Spuren finden, die auf die Urmaische von damals zurückgehen«, sagt Wang Hongbo, stellvertretender Parteisekretär der Luzhou-Laojiao-Fabrik. »Na ja, ein paar Moleküle.« Sie nennen ihre Stadt »die Berauschende«. Ganz falsch ist das nicht: Die Luft ist schwanger von den Ausdünstungen der Fabrik, deren Produktionsorte über das ganze Stadtgebiet verteilt sind, wie seit Jahrhunderten. Seit 1952 sind die ehemals drei Dutzend Luzhouer Familienbrennereien Teil eines Staatsbetriebes. Die Nebel des Langen Flusses mischen sich mit den Dämpfen der Destillerien, sodass man nicht weiß, wo das eine aufhört und das andere beginnt. »Unser Glück ist ein anderes«, singen die Luzhouer in einem Lied. »Hier trinken wir den Schnaps wie Suppe.«
Der Vizeparteisekretär Wang ist ein eloquenter Mann. In seinem Büro preist er den Baijiu als Säule und Essenz der chinesischen Kultur, als Begleiter der Chinesen von der Wiege bis zur Bahre, als Versöhner und als Gleichmacher. Er steht vor einer Mao-Büste und preist die Trinkfestigkeit des Großen Vorsitzenden. Die Chinesen und ihr Schnaps seien »unzertrennlich«, sagt Wang: »Ich vertraue fest darauf, dass Baijiu ein Produkt der ewigen Morgensonne ist.« Eilends schiebt er nach: »Keinesfalls der Abendsonne.« Jener Sonne also, die im Begriff ist unterzugehen. Sie sind stolz in Luzhou mit ihrem berühmten Luzhou Laojiao, auch im naheliegenden Yibin, wo der größte Konkurrent Wuliangye gebrannt wird, und auch in Maotai (Heimat des Moutai) und in den anderen tausend Orten, wo der Baijiu in Strömen fließt. Sie alle sind aber auch sehr nervös. Sie wissen, dass sie ein Problem haben. Es ging ihnen zu lange zu gut.
Es ist ganz einfach: Die Chinesen trinken immer weniger Baijiu. Baijiu ist uncool. Die jungen Leute, die Frauen, sie trinken lieber Bier, Wein, Whiskey. »Baijiu trinken die alten Männer, Parteikader«, sagt in Peking die 32-jährige Miao, eine Radiomoderatorin, die sich zum ersten Mal in die Baijiu-Bar getraut hat und noch ein wenig ungläubig die Cocktailkarte bestaunt. In Luzhou wissen sie um ihr Image und versuchen gegenzusteuern. Zhou Jun, 49, einer der Master-Blender in Luzhou, mischt die verschiedenen Destillate zu neuen Kreationen. Ein ruhiger, zurückhaltender Mann. »Bislang war das so«, sagt er: »Wenn dich ein Gastgeber nicht komplett betrunken machte, dann hat er seine Pflicht nicht erfüllt und sein Gesicht verloren.« Der Parteisekretär Wang Hongbo ergänzt: »Ein Schnaps galt als nicht gut genug, wenn er einen nach dem Gelage nicht zwei Tage lang flachlegte und den Schädel sprengte.« Er macht eine Pause. »Das ändern wir nun.« Sie werden milder in Luzhou.
All die Auswüchse sind keineswegs altem Brauchtum entsprungen, es sind Exzesse der staatlich subventionierten Bankett- und Gelagekultur des Kaderkapitalismus der vergangenen Jahrzehnte. Im Wirtschaftswunderland der Kommunistischen Partei wurden die meisten Geschäfte am Esstisch entschieden. Während Ströme von Baijiu flossen, wurden Gefälligkeiten ausgetauscht und Parteikarrieren gemacht. Vor allem Kader der mittleren und unteren Ebenen sahen im Baijiu ein Grundnahrungsmittel, das ähnlich der Münchner Weißwurst am besten noch vor dem Zwölf-Uhr-Läuten, spätestens aber mit den marinierten Entenfüßen zur Vorspeise beim Mittagessen einzunehmen ist. Die parteieigene Zeitung Global Times in Peking berichtete im Jahr 2011, die Regierungsausgaben für Schnaps und Bankette hätten in jenem Jahr das Budget für Landesverteidigung überstiegen.
Es gibt Stellenausschreibungen, die ausdrücklich Trinkfestigkeit verlangen. Einer der Leiter der Abfüllanlage des exklusiven Luzhouer »1573«-Schnaps erinnert sich mit Ehrfurcht an jenen Kader, der zur Inspektion der Anlage geladen war und dabei an einem Ausstellungsstück vorbeilief, einer Flasche aus der Sonderedition »Der Geschmack Chinas« (Ladenpreis der teuersten Flasche: fast 9000 Euro). »Er griff sie sich und trank sie an Ort und Stelle leer«, sagt der Anlagenleiter. »Wir standen mit offenem Mund daneben.« Eine Umfrage der Zeitung China Youth Daily unter Studenten fand 2013 heraus, dass vier von fünf das Trinken mit Vorgesetzten und Kollegen als zentrale Karrieretechnik sehen. Eine Berufsschule in der Stadt Anshun machte daher in diesem Frühjahr das Baijiutrinken zum Prüfungsfach: Studenten, die einen Plastikbecher voll hinabstürzten, erhielten hundert Punkte, wer sich weigerte, fiel durch. Zhong Xiefei, ein stellvertretender Landrat in Guangxi, der sich am Tage seines Amtsantrittes im Kreise von Vorgesetzten ins Koma soff, machte Schlagzeilen, weil seine Familie nach seinem Tod Klage einreichte. Eine Ausnahme ist er keineswegs. Erwähnenswert ist der Fall des 38-jährigen Polizisten Chen Lusheng, der 2009 nach einem Baijiu-Gelage mit Kadern des Dorfes Mabu an seinem Erbrochenen erstickte und dem seine Abteilung hernach den offiziellen Status eines »Märtyrers« verlieh, mit dem eine höhere Entschädigungssumme für die Familie verbunden ist.
Aus, vorbei, fürs Erste. Parteichef Xi Jinping ist mit eiserner Faust hineingefahren in das Gevölle. Er hat vor knapp vier Jahren dem »Gongkuan chihe«, dem »Fressen und Saufen der Beamten«, ein Ende befohlen, hat die täglichen Besäufnisse als Brutstätten der Korruption ausgemacht. Und tatsächlich: Fast über Nacht war es vorbei mit den Gelagen, zumindest mit den öffentlich sichtbaren. Seit Xi Jinpings Antikorruptionskampagne wird man vielerorts mit Tee und Cola empfangen. Und man darf davon ausgehen, dass nicht wenige Beamte den Erlass ihres Parteichefs mit Erleichterung begrüßten. »Ich war jedesmal betrunken, wenn wir in der Firma Gäste empfingen, das war Pflicht, ansonsten hätten die Gäste ihr Gesicht verloren«, sagt Luzhous Master-Blender Zhou Jun. »Die neuen Regeln der Partei verbieten uns nun das Trinken mittags. Für uns ist das nur gut.« Für seine Firma aber und für all die anderen Baijiu-Marken ist es ein schwerer Schlag: im ganzen Land kaum mehr Bankette, keine Bestechungsgeschenke mehr mit teuren Flaschen. Es bricht ihnen der wichtigste Markt weg. In der Firmenzentrale von Luzhou Laojiao heißen sie die Kampagne des Parteichefs diplomatisch willkommen.
Draußen, direkt gegenüber des Fabriktors, in dem kleinen privaten Schnapsladen, der Originale wie Fälschungen gleichermaßen feilbietet, ist man offener: »Ich sag’s, wie’s ist: Die Großwetterlage ist miserabel«, klagt der Ladenbesitzer Yu Zhongfu. »Die Beamten trinken nicht mehr, die Bankette sind tot. Und jetzt fangen die Leute auch noch an, auf ihre Gesundheit zu achten.« Er schüttelt den Kopf. »Ach«, sagt er dann. »Gerade jetzt, wo alle den Kopf hängen lassen, hätten wir den Schnaps doch noch viel dringender nötig.«
Sie lassen sich jetzt alles Mögliche einfallen, um die Jugend und die Frauen zu gewinnen. Roter Stern in Peking – die Firma, die mir meinen ersten Erguotou-Rausch schenkte – versucht es mit kühlem Design und ironischen Anleihen bei der sozialistischen Ikonografie (rauchende Schornsteine). In Luzhou sagt der Master-Blender Zhou, die Zeit der Schnäpse, deren Geruch und Wucht einen trafen wie eine Faust ins Gesicht, sei vorbei. Er kreiere jetzt mildere, vielschichtige Sorten. »Und für die Frauen haben wir uns einen Rosenschnaps ausgedacht«, sagt der Parteisekretär Wang stolz: »Riecht wie Parfum und schmeckt auch so.« Er wedelt mit der Hand, schon läuft ein eilfertiger Gehilfe los, ein Exemplar zu holen. Tatsächlich: ein gewaltiger Flakon, lila und gold, rosenverziert, der sich im Badezimmer von Melania und Donald Trump gut machen würde.
Es bleibt eine Herausforderung. Nehmen wir Mang Ke zum Beispiel, der 65-Jährige ist einer der bekanntesten Dichter und Trunkenbolde des heutigen China. Ein moderner Li Bai (701–762), der sich einst dichtend als Saufkumpane den Mond und seinen Schatten einlud. Natürlich hat Mang Ke dem Baijiu Verse gewidmet (»Als ob du wild das nackte Nass küssen würdest …«). Wenn man ihn heute trifft, empfängt er einen mit einer Flasche teuren japanischen Whiskeys. Mang Ke trinkt nur noch Whiskey. Und der Baijiu? Die wilden Zeiten? »Ach, Baijiu«, sagt er mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Damals waren wir arm und hatten nichts anderes.« Oder nehmen wir Miao und Peng, zwei Pekinger Freunde, sie 32 und Radiomoderatorin, er 30 und PR-Mann, die sich an dem Abend in der Baijiu-Bar einfinden. »Im Ernst, hier gibt’s nur Baijiu?« Ungläubiges Lachen. Peng erzählt von seinem Vater in Nordshaanxi, gelbe Erde, chinesisches Herzland. Der Vater brauche Baijiu, jeden Tag. »Es ist seine Medizin.« Und er? »Das ist was für die Alten. Keiner meiner Freunde trinkt Baijiu.« Miao sagt: »Im Ernst? Baijiu im Westen vermarkten? Ich fände Jianbing-Export besser." Jianbing sind die Pekinger Frühstückspfannkuchen, salzig und scharf. Dann kommen die Cocktails. Guilin Fizz (Minze, Zitronengras und ein Schuss Champagner) und Ma-La Rita, eine Baijiu-Margarita-Variante mit einer Dosis Blütenpfeffer aus Sichuan. Kreiert hat die Drinks der Amerikaner Bill Isler, der neben seiner Vergangenheit als Rinderfarmer in Hebei im Norden auch eine als preisgekrönter Bartender vorweisen kann. »Stark«, sagt Miao. »Das Zeug schmeckt.« Peng trinkt sein Glas in einem Zug leer, grinst.
Baijiu braucht die Welt. Braucht die Welt Baijiu? Es ist schon anderen geglückt, den Westen zu erobern. Erst der Wodka, später Tequila, Mescal. »Das chinesische Essen hat’s um die Welt geschafft, warum nicht auch der chinesische Schnaps?«, sagt Matthias Heger, der im Dienste der Aufklärung längst Vorträge hält und die deutsche Webseite baijiu.de betreibt. In New York und Boston eröffneten unlängst die ersten Baijiu-Bars. Pekings Baijiu-Missionare um Matthias Heger, Derek Sandhaus und Bill Isler haben nicht nur ein Getränk zu bieten, sondern auch eine Geschichte: dampfende Gruben, traditionelles Handwerk, das alte China. Erste Verkostungen mit Barkeepern in New York seien ermutigend verlaufen, sagen sie. In Zusammenarbeit mit einer alten Baijiu-Firma haben sie jetzt eine neue Baijiu-Marke kreiert, die westliche Konsumenten in den USA und Europa auf den Geschmack bringen soll. Und im Idealfall gibt es irgendwann einen Rückkoppelungseffekt bei der stets nach den Trends des Westens schielenden Jugend Chinas: »Wenn es Baijiu in die Bars und Nachtclubs von New York, Berlin, Paris und London schafft«, sagt Derek Sandhaus, »dann schafft er das Gleiche endlich auch in Peking.«
Fotos: Algirdas Bakas, Daniele Mattioli