"Meine Großeltern waren nie prägend für mich"

Oma ist super - aber irgendwie so weit weg. Die Schauspieler Paula Kalenberg und Ludwig Trepte über den schwindenden Einfluss der älteren Generation

SZ-Magazin: Wenn ihr an eure Oma denkt, was fällt euch da als Erstes ein?
Ludwig Trepte: Modern. Schick. Elegant. Immer gefärbte Haare. Immer gut gekleidet. Sie ist die Mutter meiner Mutter und vor allem erinnere ich mich an ihren Schmuck. Lederketten mit Anhängern aus Marmor oder Silber in sehr auffälligen Formen.
Paula Kalenberg: Meine Oma mütterlicherseits sieht auch sehr jung aus. Sie ist Anfang 60 und könnte als meine Mutter durchgehen.

Meistens hat man ja zwei Omas. Was ist mit der anderen?
Paula: Meine Großeltern kommen im Grunde aus verschiedenen Generationen. Mein Vater ist 55 Jahre alt, also nur unwesentlich jünger als meine Oma. Seine Mutter verstarb leider schon vor vielen Jahren.
Ludwig: Ähnlich wie bei mir. Mein Vater ist 60 und seine Mutter habe ich gar nicht mehr kennengelernt.

Das Gute an Omas ist ja, dass sie für ihre Enkel immer Zeit haben. Richtig?
Ludwig: Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Meine Oma war immer arbeiten. Die war nie da. Das ist heute noch so.

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Was macht sie beruflich?
Ludwig: Ihr gehört der Gastronomiebetrieb im Dresdner Zoo.

Dann hast du deine Ferien wahrscheinlich im Zoo verbracht?
Ludwig: Sicher hat meine Oma mich mal durch den Zoo geführt, aber meistens hatte sie keine Zeit. In den Ferien wollte ich nicht zu ihr, da fuhr ich lieber ins Kinderferienlager.

Kindheitserinnerungen sind oft mit dem verbunden, was die Oma kochte. Welches ist euer typisches Oma-Gericht?
Paula: Cevapcici und Palatschinken. Mein Vater stammt aus Kroatien, seine Eltern ließen sich in den Fünfzigerjahren im Ruhrgebiet nieder und eröffneten dort ein Balkanrestaurant. Da war die Rollenverteilung noch klar: Die Mutter kümmerte sich um die Kinder, machte den Haushalt und kochte deftig und reichlich. Wenn man sagte, man möchte nichts mehr, konnte man froh sein, wenn der Teller nur halb aufgefüllt wurde.
Ludwig: Das klassische Bild der Kittelschürzen-Oma verkörperte eher meine Uroma. Die kochte natürlich auch viel und vor allem mit viel Butter. Absolut lecker.

Zum Bild der klassischen Oma gehört ebenso, dass man bei ihr alles durfte, was zu Hause verboten war.
Paula: Meine Mutter hat eh alles erlaubt. Die Oma, die alles durchgehen lässt, die einem Geld zusteckt und mit Süßigkeiten versorgte, die man zu Hause nicht bekam, kenne ich nur von meinen Freundinnen.
Ludwig: Ich bezweifle, ob diese Klischee-Oma heute überhaupt noch so verbreitet ist. Ich habe sie jedenfalls nicht erlebt. Bis meine Uroma starb, da war ich etwa sechs Jahre, traf ich meine Oma noch zu Weihnachten und Geburtstagsfeiern. Danach verloren wir uns ziemlich aus den Augen. Man telefoniert ab und zu, aber gesehen habe ich sie zuletzt vor zwei Jahren.
Paula: Ich habe auch kaum noch Kontakt zu meiner Oma.

Woran liegt das?
Paula: Es geht schon damit los, dass man – anders als früher – nur selten am selben Ort lebt wie die Großeltern. Wir sind dauernd umgezogen. So sieht man sich immer seltener und weiß immer weniger über den Alltag des anderen. Irgendwann wird man sich fremd.

Also keine Oma, die einem abends Geschichten vorliest?
Paula und Ludwig
: Nein.

Gab es von ihr wenigstens Geld für gute Zeugnisse?

Paula: Nein.
Ludwig: Für meine Noten interessierte sie sich schon. Aber meistens habe ich gelogen.

Tschüß, Oma?

Ist es ein Phänomen eurer Generation, dass den Enkeln die Großeltern abhandenkommen?
Ludwig: Ob es allen so geht, weiß ich nicht. Ich kann nur für mich sprechen: Ja. Meine Großeltern waren nie prägend für mich. Dafür waren sie zu wenig präsent.
Paula
: Früher hatte man mit der älteren Generation einfach viel mehr zu tun. Die Familien wohnten nah beieinander, Kinder zogen nach der Schule nicht als Erstes in eine fremde Stadt.

Früher musste man die Verbindung zu seinen Großeltern aufrechterhalten, ob man wollte oder nicht. Am Sonntag die Oma nicht zu besuchen kam überhaupt nicht in die Tüte.
Paula: Das deckt sich mit den Erfahrungen meines Vaters. Für ihn ist es selbstverständlich, dass er sich sein Leben lang um seinen Vater kümmern wird – selbst dann, wenn man sich nicht mehr versteht. »Blut ist dicker als Wasser«, sagt er. Weil heute die Familienbande nicht mehr so eng sind, fühlen wir uns zu nichts mehr verpflichtet.

Ist das besser?
Paula: Zumindest haben wir jetzt die Freiheit, darüber zu entscheiden, ob wir am Sonntag zur Oma fahren wollen oder nicht. Wir können gucken, mit wem wir klarkommen und mit wem wir etwas zu tun haben wollen. Wir stellen uns unsere Familie selber zusammen. Mich verbindet heute eher etwas mit meinen Wahlverwandtschaften.

Was verstehst du unter Wahlverwandtschaften?
Paula: Freunde, die ich schon lange kenne und auf die ich mich genauso verlassen kann, wie man das sonst nur bei Blutsverwandten kennt.

Trotzdem: Verspürt ihr keine Sehnsucht nach einer Instanz, die einen an die Hand nimmt und einem das Leben erklärt?
Ludwig: Meine Oma väterlicherseits wäre so gewesen. Und ich gebe zu, es fehlt mir schon, dass ich sie nicht erleben durfte. Allein, um zu erfahren, wo man herkommt. Zu entdecken, welche Eigenschaften man von wem übernommen hat. Manchmal legt man Verhaltensweisen an den Tag, die einem fremd erscheinen. Da würde oft ein Blick auf seine Vorfahren helfen, um sich selbst besser zu verstehen.
Paula: Als Jugendlicher drängt man ja nach Rebellion und Radikalität. Man gibt sich oft aufsässig, obwohl dahinter eigentlich nur Unsicherheit steckt. Da wäre es schön, jemanden zu haben, der darauf nicht genervt, sondern verständnisvoll reagiert. Der mir Trost spendet, wenn ich mal wieder gar nicht weiter weiß, und der mir mit der Gelassenheit des Alters entgegentritt, indem er sagt: »Kenn ich, hab ich auch schon erlebt, ist alles halb so wild.«

Jemand, der Ruhe in die Aufgeregtheit des jungen Lebens bringt?
Paula: Ja. Obwohl die Qualitäten des Alters gerade überhaupt nicht im Trend liegen. Im Vergleich zu früher hat sich ja nicht nur unsere Generation verändert, auch die Alten streben plötzlich nach ewiger Jugend. 70-Jährige führen sich wie 25-Jährige auf. Dabei ist das Schöne an älteren Menschen doch ihre Weisheit, ihr Nicht-mehr-getrieben-Sein. Dass sie etwas zu erzählen haben und einem durch ihre Lebens-erfahrung etwas weitergeben können.
Ludwig: Und im besten Fall nicht mehr alles so ernst nehmen wie wir Jungen.

Wer hat euch dann Orientierungshilfe gegeben?
Paula: Eine Frau, die ich als Kind vielleicht ein, zwei Mal getroffen habe. Mit der ich mich nicht einmal verständigen konnte, weil ich ihre Sprache nicht sprach. Das war meine Uroma in Kroatien. Obwohl ich sie kaum kannte, schwebt sie immer wie ein Phantom über mir und ist für mich viel mehr ein Vorbild als meine Oma.

Warum gerade sie?
Paula: Sie stand für alles, was ich bewunderte. Sie war kämpferisch, mutig, rebellisch, eigenständig und selbstbewusst. Sie hatte vorn einen Silberzahn und im Krieg, unglaublich, noch mit den Partisanen in den Bergen gekämpft. Als ich sie einmal in ihrem Dorf besuchte, reckte sie zum Abschied die Partisanenfaust. Das sind natürlich Geschichten, aus denen sich wunderbar Helden kreieren lassen.

Und wer war dein Held, Ludwig?
Ludwig: Mich hat mein Vater geprägt. Der könnte vom Alter her beinahe mein Opa sein und hat natürlich auch viel erlebt und zu erzählen. Er nahm mich oft mit auf Reisen. Durch ihn lernte ich die Welt kennen. Und er brachte mir ein Buch nahe, das er selbst früher schon gelesen hat und aus dem er mir später vorlas. Mein Urgroßvater und ich von James Krüss. Das nehme ich sogar heute noch manchmal zur Hand, denn es steckt voller Weisheiten.

Zum Beispiel?
Ludwig: Man sollte alles, was man sagt, auch verstehen, sonst ist es ratsamer zu schweigen.

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Paula Kalenberg
Mit 14 Jahren wurde die Schauspielerin Paula Kalenberg, 23, bei einem Casting-Aufruf für einen Fernsehfilm entdeckt. Danach spielte sie u.a. in den Kinofilmen Die Wolke (2006), Krabat und Im Winter ein Jahr (beide 2008). Ab 23. September ist sie in Oskar Roehlers Jud Süß – Film ohne Gewissen zu sehen. Paula wuchs in Bielefeld auf und lebt jetzt in Berlin.

Ludwig Trepte
Ludwig Trepte, Schauspieler, 22, gewann bereits zweimal den Grimme-Preis: für seine Rollen in Guten Morgen, Herr Grothe (2008) und Ihr könnt Euch niemals sicher sein (2009). Ausgezeichnet wurde er außerdem mit dem Max-Ophüls-Preis und der Goldenen Kamera als bester Nachwuchsdarsteller. Ludwig Trepte ist der Sohn des DDR-Rocksängers Stephan Trepte.

Foto: Alexandra Kinga Fekete