(Foto: Unser Autor bei »Maybrit Illner«, ZDF 2010)
Anne Will - eine Frau, die sehr viel Liebe zu geben hat
Selten habe ich das Gefühl gehabt, so liebevoll und individuell begrüßt zu werden wie bei Anne Will (Anne Will, ARD). Sie strahlte über das ganze Gesicht, gab mir die Hand und sagte: »Ich freu mich ja so, dass Sie da sind und kommen konnten. Danke, danke schön.« Bei dem »danke schön« nahm sie die andere Hand zu Hilfe und schüttelte beidhändig meine rechte Hand. Drei Schritte neben mir stand der Nasenchirurg Werner Mang, der ebenfalls zu Gast in der Sendung war. Sie ging auf ihn zu, gab ihm die Hand und sagte: »Ich freu mich ja so, dass Sie da sind und kommen konnten. Danke, danke schön!« Bei dem »danke schön« - ich habe es genau gesehen - nahm sie die andere Hand zu Hilfe und schüttelte Mang beidhändig die rechte Hand. Er hatte sicher das Gefühl, selten so liebevoll und individuell begrüßt worden zu sein.
Der VIP-Gast Lothar Matthäus
Vor der Sendung treffen sich eigentlich alle Gäste - egal ob Wim Wenders, Florian Silbereisen oder der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder - in einer Art überheiztem Wohnzimmer, wo Hostessen meist Häppchen reichen. Nur einmal habe ich erlebt, dass ein Gast sich bis unmittelbar vor Aufzeichnung der Sendung in seinen VIP-Raum einschloss - Lothar Matthäus. In der Sendung sprach er dann aber sehr offen über seine erfolglose Suche nach einem Trainerjob und seine Beziehungsprobleme mit Liliana. Vielleicht braucht es vorher diese Privatsphäre, um anschließend vor Millionen von Fernsehzuschauern so offen zu sein.
Kerners Rennsportteam
Als Talkshowgast wird man vom Chauffeur abgeholt, in einer Mercedes R-Klasse oder im VW Phaeton. Am Bahnhof oder Flugplatz warten die Fahrer mit langen Mänteln und unauffällig auffälligen bunten Karten, auf denen das Sendungslogo abgebildet ist. Kerner (Kerner, Sat.1) hat ein Team groß gewachsener Hamburger Jungs engagiert, die dunkle Anzüge und bei jedem Wetter Sonnenbrille tragen und später Eventmanager oder Wirtschaftsingenieure werden wollen. Unvergessen aber ist der Fahrer, der es einst in vier Minuten vom Studio am Rothenbaum zum Bahnhof Dammtor schaffte - das dauert sonst 15 Minuten. Der Zug hatte dann Verspätung.
Die Claqueure des Markus Söder
Als ich einmal bei Anne Will (Anne Will, ARD) in der Sendung saß, wunderte ich mich, dass es im Publikum sogar für die Bemerkungen von Markus Söder Beifall gab. Später begriff ich, dass Herr Söder einen ganzen Betreuerstab mitgebracht hatte - Redenschreiber, Referenten, Mitarbeiter, Pressedamen. Die ganze Entourage durfte sich während der Sendung in die erste Reihe setzen, und wenn der Chef einen Satz beendet hatte, klatschten sie fest. Hinterher beim Stehimbiss fragte Markus Söder dann sein Team, wie er denn so gewesen sei. Dem Publikum habe es ja offenbar ganz gut gefallen.
Coole Maybrit Illner, lässiger Frank Plasberg
Frank Plasberg (Hart aber fair, ARD) und Maybrit Illner (Maybrit Illner, ZDF). Beiden reicht es völlig, wenn die Gäste zwanzig Minuten vor Beginn im Studio sind. Und die Sendungen sind live. Während andere Moderatoren für aufgezeichnete Sendungen eineinhalb Stunden vorglühen und ihre Gäste warten lassen, bevorzugen Plasberg und Illner es, wenn ihre Gäste vorher nur wenig Zeit miteinander verbringen. Das vermeidet zum Beispiel die peinliche Floskel in der Sendung: »Wie ich vorhin ja schon gesagt habe …«
Der unendlich geduldige Zuhörer Johannes B. Kerner
Während man von Frank Plasberg, Anne Will und Maybrit Illner munter unterbrochen wird, hört Johannes B. Kerner (Kerner, Sat.1) immer weiter zu. Die ehemalige Irak-Geisel Susanne Osthoff zum Beispiel besprach vor der Aufzeichnung zwei Stunden lang mit den Redakteuren und dem Moderator, worüber sie alles reden wollte und worüber nicht. Anschließend sprach sie während der Aufzeichnung der Sendung etwa fünfzig Minuten, worüber sie reden wollte und worüber nicht. Etwas viel für eine 65-minütige Sendung, in der fünf Gäste sitzen. Die Redaktion kürzte nachher ihre Aussagen auf etwa 25 Minuten, sodass Kerner in der ausgestrahlten Sendung als nicht mehr ganz so geduldig rüberkam.
Dreieinhalb Stunden Primavera
Zunächst war es schwer, das Studio von Vera Russwurm, einer österreichischen Mischung aus Birgit Schrowange und Jörg Pilawa, überhaupt zu finden. Das ORF-Gebäude in Wien muss man sich vorstellen wie den unvollendeten Palast von Nicolae Ceausescu in Bukarest. Als das Publikum - in meinem Fall eine Reisegruppe aus der Steiermark - und ich das Studio endlich gefunden hatten, vergingen weitere dreieinhalb Stunden, bis die 45-minütige Sendung Primavera aufgezeichnet war. Vor mir war ein übergewichtiger, am ganzen Körper behaarter Mensch an der Reihe. Er hatte sich in ein enges Ringertrikot aus den 1970er-Jahren gezwängt und behauptete, allein mit der Kraft seiner Gedanken tausend Kilo heben zu können. Immer wieder versuchte er mit Atemübungen die nötige Konzentration aufzubauen. Als er fast so weit war, fiel der Sender seines Mikros herunter, der an seinem Ringergürtel festgeklemmt war. Er musste sich erneut konzentrieren und bat um absolute Ruhe. Die wollte sich aber nicht einstellen, denn nun wollte das Publikum zurück in die Steiermark. Der Ringer brach ab, und ich durfte etwas über -Medizin-Irrtümer erzählen und Scharlatane in der Psychobranche.
Lachen mit Beckmann
Normal findet die Aufzeichnung von Reinhold Beckmanns Sendung Beckmann (ARD) ohne Zuschauer im Studio statt. Beckmann macht allerdings Ausnahmen, wenn seine Gäste dies wünschen. Als der schwäbische Kabarettist Mathias Richling eingeladen war, wollte er gerne Publikum im Studio haben. Die Zuschauer draußen an den Bildschirmen sollten nämlich merken, wenn Richling einen Witz gemacht oder was Lustiges erzählt hatte.
Wildkräutersud und Vitamine bei Sandra Maischberger
Sandra Maischberger (Menschen bei Maischberger, ARD) lädt gerne Freaks in ihre Sendung ein. Im Frühjahr 2010 hatte sie einen multiplen Hypochonder zu Gast, der seine zahlreichen mitgebrachten Aufbau- und Vitaminpräparate in der Talkrunde anbot. Er nimmt diese Mittel gegen seine Angst, früh zu sterben, sagte der 68-Jährige. Seine Eltern leben noch, sie sind 99 und 101. Ein anderes Mal war ein Patient in ihrer Sendung zu Gast, der sich angeblich von Krebs geheilt hatte, indem er jeden Morgen einen Sud aus selbst gesammelten Wildkräutern zu sich nahm. Den Sud verteilte er auch in der Runde, einige Gäste probierten davon. Wahrscheinlich ist es ganz sinnvoll, dass die Gäste bei Maischberger etwas mitbringen - angesichts der Häppchen, die es dort nach der Sendung gibt.
Modeberatung beim ZDF und ideale Talkshowgäste
»Menschen bei Maischberger«, ARD 2010
Beckmanns Tisch
Der Tisch bei Reinhold Beckmann (Beckmann, ARD) ist nicht rechtwinklig, sondern verjüngt sich zu der dem Zuschauer abgewandten Seite hin. Eine Art optischer Täuschung, die dem Zuschauer suggeriert, dass der Tisch unendlich lang ist und genug Zeit und Ruhe bleibt, um alles, wirklich alles zu besprechen.
Nach dem Nachtcafé auf ein Menü ins Restaurant
Wieland Backes (Nachtcafé, SWR) lädt seine Gäste und ihre Angehörigen nach der Sendung zu einem mehrgängigen Menü in ein feines Restaurant ein. Er ist ruhig, verbindlich und liebenswürdig, genauso wie in der Sendung. Er drängt sich nie in den Vordergrund, hört zu und fragt nach. Höflich und charmant. Wahrscheinlich bleibt er deshalb auf ewig im Dritten Programm.
Kerners Rechercheteam
Natürlich sind alle Redaktionen immer glänzend vorbereitet, wenn man zu Besuch kommt. Besonders beeindruckt haben mich aber die Mitarbeiter von Kerner (Sat.1), die ein gerade erschienenes Buch von mir, wenn nicht komplett gelesen, dann doch flächendeckend mit Post-its bestückt hatten. Sie zeichnen auch jedes Mal Tage vor der Sendung zwei, drei Stunden lang ein Vorgespräch mit dem Talkgast auf und verdichten die Aussagen zu einem zwanzigseitigen Manuskript. Daraus werden dann die Karteikarten erstellt, die Kerner zur Orientierung während der Sendung dabeihat, die aber kaum im Bild zu sehen sind. Bei der Konkurrenz scheint es sich herumgesprochen zu haben, wie akribisch Kerner auf seine Sendung vorbereitet wird. Eine Kollegin aus dem Dritten Programm, die mich in ihre Sendung einlud, sagte jedenfalls, ich solle ihr zur Vorbereitung nur eine DVD schicken, mit meinem Auftritt bei Kerner.
Noch Fragen, Herr Pilawa?
Als Jörg Pilawa noch die NDR-Talkshow moderierte, war ich ebenfalls mit meinem Buch über medizinische Irrtümer eingeladen. Nach der Hälfte der Zeit meinte er: »Hmm, was könnte man denn jetzt noch fragen?« Ich redete weiter, und er wechselte bald darauf in die großen Abendshows.
Modeberatung beim ZDF
Das ZDF-Mittagsmagazin wird in diesem sündhaft teuren Studio mit dieser endlos langen Nachrichtentheke aufgezeichnet, an der sonst Claus Kleber und Marietta Slomka stehen. Bevor man dort auftritt, gilt es ein paar Stiltipps zu berücksichtigen. Die gibt es schriftlich auf einem ZDF-Merkblatt: Grüne Kleidung geht gar nicht, weil der Studiohintergrund giftgrün bis neongrün changiert. Pepita und kleine Karos sind ebenfalls verpönt. Noch schlimmer sind grelle Muster. Auch vor dem Vintage-Look wird im ZDF-Merkblatt gewarnt: »Was im wirklichen Leben cool ist, sieht im Fernsehen oft alt aus.«
Die idealen Talkshowgäste
In der NDR-Talkshow war ich mal gemeinsam mit Margot Werner zu Gast. Sie trat früher an der Met auf und in Paris, war Startänzerin am Bayerischen Staatsballett, später dann bei Hans-Joachim Kulenkampff und Dalli Dalli. Jetzt ist sie über siebzig und verschuldet. In der NDR-Talkshow kam sie als Erste dran und redete über ihre finanzielle Not und die Gemeinheit österreichischer Banken. Es nahm und nahm kein Ende. Dabei saßen Mario Adorf und Wim Wenders auch mit in der Runde. Warum ließ man die so lange warten und hörte sich stattdessen mehr als zwanzig Minuten diese peinigenden Geschichten von persönlichem Ruin an? Eine Redakteurin klärte mich nach der Sendung auf: Geschichten von Abstieg und Fall bringen Quote, und die Quote wird alle zwei Minuten gemessen. »Solche Gäste funktionieren«, sagte die Redakteurin. »Das sehen wir morgen an der Fieberkurve der Quote ganz genau.« Da wurde mir klar, warum immer wieder Ingrid Steeger in Talkshows eingeladen wird.
Noch besser als Geschichten von Not, Krankheit und Karriereknick, erklärte die Redakteurin, funktionieren übrigens Kinder, Tiere und Medizinthemen. Da wurde mir klar, warum ich immer wieder eingeladen werde. Die perfekte Besetzung für eine Talkshow ist demnach ganz einfach: zwei Promis, ein Arzt und eine Familie, die unerwartet Sechslinge bekommen hat. Im Idealfall arbeitet der Vater als Wärter in einer Aufzuchtstation für Seehunde und bringt nicht nur die sechs Babys in die Sendung mit, sondern auch ein paar Heuler.
Fotos: NDR, Intertopics, WDR, ORF