Manches an der Serie Friends habe ich erst mit den Jahren verstanden. Zum Beispiel diese Folge, in der es um den 30. Geburtstag geht. »Wieso, Gott, wieso denn nur«, ruft Joey an dem Tag. »Wir hatten doch den Deal, dass nur die anderen älter werden.« Dann springt der Rückblick zu Chandlers 30. Geburtstag. Und Joey ruft wieder: »Und jetzt Chandler. Wir werden alle so schrecklich alt. Wieso tust du uns das denn nur an?« Serienfigur Rachel hat aber den wohl schwierigsten 30. Geburtstag der Runde. Sie will erst gar nicht aus ihrem Zimmer herauskommen. Dann fängt sie an zu rechnen: Sie wollte eigentlich immer mit 35 Jahren Mutter sein, dann müsste sie aber mit 34 schwanger sein. Sie wäre gerne ein Jahr verheiratet, bevor sie schwanger wird, müsste also mit 33 heiraten. Dann rechnet sie weiter: Sie braucht eineinhalb Jahre für die Hochzeitsvorbereitung, würde ihren Partner gerne eineinhalb Jahre kennen, bevor sie sich verlobt. Und kommt auf das Ergebnis: Wenn ihr Lebensplan sich irgendwie erfüllen soll, müsste sie ihren späteren Ehemann jetzt kennenlernen.
Heute finde ich es persönlich zwar schwierig, wenn der größte Traum einer Frau ist, mal eine Ehefrau zu sein. Aber trotzdem: Vieles an dem Gefühl, zwischen Mitte 20 und Mitte 30 zu sein, konnte keine Serie besser einfangen als Friends. Eben auch den Gedanken, plötzlich nicht mehr jung-jung zu sein, sondern nur noch mitteljung. Irgendwann »Anfang 30« sagen zu müssen. Später »Mitte 30«, was sich ehrlich gesagt schon nach »Ende 30« anhört. Und zu merken, dass man schon einige Entscheidungen getroffen hat, die andere Optionen ausschließen. Das Leben, das sich einmal so unendlich angefühlt hat, scheint auf einmal überschau- und vorhersehbar.
Natürlich gibt es auch vieles an dem Alltag der Serienfiguren, was abgrundtief unrealistisch ist. Wie sich eine Masseurin wie Phoebe ohne Zweitjob oder sogar Drittjob auch nur ein WG-Zimmer in Manhattan leisten kann, zum Beispiel. Überhaupt: Wie sechs junge Menschen in dieser teuren Stadt ständig Zeit haben, im Café zu sitzen. Einmal macht sich die Serie sogar selbst darüber lustig: Als alle feststellen, dass sie eigentlich bei der Arbeit sein müssten und hektisch das Café verlassen.
Aber an vielen Stellen habe ich das echte Leben eben wiedererkannt: Rachel folgt nicht ihrem Plan, sondern wird ungewollt schwanger und erzieht das Baby in einem ziemlich schwierigen Patchwork-Modell mit ihrem Ex-Freund. Monica und Chandler versuchen über lange Zeit, ihren Kinderwunsch zu erfüllen, bis sie herausfinden, dass sie selbst keine Kinder bekommen können und adoptieren. Mit den Zwillingen ziehen sie schließlich in ein Haus in der Vorstadt. In der letzten Folge schwenkt die Kamera durch die leere Wohnung von Monica. So fühlt sich eben auch oft an, wenn man Mitte 30 ist: Wie ein leiser Abschied von einer anderen Lebensphase.
Ich habe alle Staffeln schon mehr als 20-mal durchgeschaut (über das Phänomen »Comfort Binge« habe ich hier geschrieben). Trotzdem werde ich beim Ende, dieser Kamerafahrt durch die leere Wohnung, jedes Mal traurig. Obwohl ich weiß, dass alles an der Serie nur eine Fiktion ist, fühlt es sich so an, als müsste ich mich von guten Freundinnen und Freunden verabschieden. Dass es mir so geht, ist kein Wunder. Der Effekt, dass man als Zuschauerin oder Zuschauer eine parasoziale Beziehung zu den Fernsehfiguren aufbaut, ist gut belegt.
Es hätte mir so viel bedeutet, sie altern zu sehen. Weil ich jetzt eine Frau Mitte 30 bin wie sie in der Serie damals
Traurig macht mich aber nicht nur, die Figuren loslassen zu müssen. Sondern in einigen Fällen auch, wie sich die mir so vertrauten Gesichter der Schauspielerinnen und Schauspieler nach dem Ende von Friends entwickelt haben. 2021 kamen sie für ein TV-Spezial, die Friends-Reunion, noch einmal zusammen. Danach wurde kaum darüber gesprochen, was die Darstellerinnen und Darsteller erzählten. Sondern welche Schönheits-OPs wer wohl hat machen lassen.
Ich wüsste so gerne, wie das Gesicht einer Ende-50-jährigen Monica aussähe. Oder einer Mitte-50-jährigen Rachel. Oder einer Anfang-60-jährigen Phoebe. Es hätte mir so viel bedeutet, sie altern zu sehen. Weil ich jetzt eine Frau Mitte 30 bin wie sie in der Serie damals. Weil ich die ersten Lachfalten habe und die ersten grauen Haare. Und weil es schwer ist, mir immer wieder selbst zu sagen, dass das schon okay und schön ist.
Stattdessen hat Courteney Cox alias Monica zahlreiche Schönheitseingriffe vornehmen lassen. Kürzlich sprach sie in einem Interview offen darüber, dass sie die Eingriffe mittlerweile bereut. Und über den Druck, den sie gespürt hat, weiterhin jung aussehen zu müssen.
Auch die 54-jährige Jennifer Aniston alias Rachel sieht nicht aus wie andere Frauen in ihrem Alter. Sonst wäre gerade auch nicht die Nachricht um die Welt gegangen, dass man in einem ihrer Instagram-Videos zum ersten Mal leicht gräuliche Haarsträhnen sehen konnte. Die eben nicht mal richtig grau waren. Sondern so grau-blond. Bei einer amerikanischen Nachrichtenseite war sofort davon zu lesen, dass Jennifer Aniston deswegen nun graue Haare »embraced«, also feierlich annimmt.
Wie fürchterlich alles daran ist. Denn wieso ist es eine Nachricht, wenn eine Frau mit Mitte 50 nicht mal deutlich erkennbare graue Strähnen hat? Dass eine kaum sichtbare Geste so mit Bedeutung aufgeladen wird, zeigt nur wieder, unter welchem Druck Frauen in der Öffentlichkeit stehen. Der Friends-Darsteller Matt Le Blanc alias Joey hat auch graue Haare. Interessiert aber kaum jemanden.
Auch mich beschäftigt es mehr, wie die drei ehemaligen Hauptdarstellerinnen heute aussehen. Nicht, weil ich es richtig finde, wenn das Aussehen von Frauen im Mittelpunkt steht. Sondern weil ich mir als Frau eben so dringend Vorbilder wünsche. Ich weiß, dass keine Frau individuell die Verantwortung trägt, ein Vorbild für andere Frauen zu sein. Ich kann mir Falten in den Gesichtern anderer Menschen so sehr wünschen, wie ich nur möchte. Wenn manche, auch im Privaten, sich dafür entscheiden, zum Beispiel Botox oder Filler zu verwenden, zeigt das garantiert nicht, dass sie schwach sind oder gefallen wollen. Sondern einfach nur, welche Werte und Ideale unsere Gesellschaft vorgibt. Wie stark geprägt wir sind von einer Dauerberieselung bearbeiteter Bilder, wie sehr wir als Frauen es gewöhnt sind, dass unser Wert sich auch an unserer Schönheit bemisst.
Bei der Friends-Reunion gab es nur eine einzige Szene, die mich als Zuschauerin wirklich berührt hat. Lady Gaga sagt darin zu der Phoebe-Darstellerin Lisa Kudrow: »Danke, dass du die Person bei Friends warst, die anders war, oder: die, die wirklich sie selbst war.« Vielleicht fand ich die Geste auch deswegen so schön, weil man auf Bildern von Lisa Kudrow immer wieder die Ansätze von Falten sieht. Was passt: Phoebe hätte sich niemals Botox in ihr Gesicht spritzen lassen.