Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Nein, es ist der neue Superman – diesmal dargestellt von Brandon Routh. Die Figur, die wir als Superman kennen, ist inzwischen, seit ungefähr zwei Jahrzehnten, ein – man muss es so hart sagen – Albtraum für jeden Imageberater. Dabei war zuvor doch alles lange sehr gut gelaufen: Nach der Markteinführung Ende der dreißiger Jahre stieg der Mann in der blau-roten Arbeitskleidung unaufhaltsam zum Global Player auf, in gewisser Weise wurde er sogar mehr als das – seine Abenteuer werden mittlerweile in mehr als 40 Ländern der Erde gelesen und seine Aktivitäten beschränken sich keineswegs nur auf diesen Planeten. Sein Markenzeichen, das rote S, ist so bekannt wie der Coca-Cola-Schriftzug oder die drei Streifen von Adidas. Sein Markenprofil ist klar umrissen – Mann aus Stahl, schneller als eine Pistolenkugel, fliegender Weltenretter, zuständig für Freiheit und Gerechtigkeit, die Bösen bekämpfen, Unschuldige beschützen, alles klar. Seine Corporate Identity funktioniert, bis heute. Das ist die eine Seite. Trotzdem galt Superman in der jüngeren Vergangenheit oft als Auslaufmodell, ein zu groß geratener Pfadfinder in langen Unterhosen; ein Langweiler, resistent gegen Modernisierung, überholt von der Zeit. Im Duell mit seinen Kollegen, allesamt weniger mächtig und weniger edel, aber dafür jünger, cooler und rebellischer, sah er meist so alt aus, wie er war: Epigonen wie Spider-Man oder die X-Men haben ihm schon lange den Rang abgelaufen, sie verkauften mehr Comics und Actionfiguren, haben die rasanteren Videospiele und die besseren Filme. Sogar sein Kampfgefährte Batman, nur unwesentlich jünger, hat Superman locker abgehängt. Jetzt aber will das Superman-Imperium zurückschlagen: Die Produktionsfirma Warner Bros. – wie der Comicverlag DC Teil des Entertainment-Riesen Time Warner – hat Superman, ihrem wichtigsten Angestellten, eine gigantische Imagekampagne spendiert. Entwicklungskosten von mehr als 50 Millionen Dollar, 210 Millionen für die Dreharbeiten und noch einmal rund 100 Millionen für die Werbung: Mit Gesamtkosten von mehr als 350 Millionen Dollar ist Superman Returns – der insgesamt fünfte Superman-Film und der erste nach 19 Jahren – einer der teuersten Filme der Kinogeschichte. Superman ist jetzt schon fast achtzig. Seine Erfinder Jerry Siegel und Joe Shuster, zwei junge New Yorker Juden, hatten ihn in Anlehnung an Nietzsches Konzept vom Übermenschen Superman getauft. In der Premierenausgabe von Action Comics im Juni 1938 schmetterte Superman gleich mal ein Auto gegen einen Felsen: ein Auftritt mit immenser Durchschlagskraft, die Erstauf-lage von 200 000 Heften war innerhalb weniger Tage ausverkauft. Die Welt, zumindest Amerika, schien auf so einen Helden gewartet zu haben. Denn die Zeiten waren unsicher: In den USA war die Depression noch nicht überwunden und in den Großstädten wucherte die organisierte Kriminalität; in Europa übernahmen Stalin und Hitler die Herrschaft und steuerten auf einen Weltkrieg zu. Superman war der Held passend zur Zeit – übermächtig, aufrecht, moralisch integer. Er vernichtete das Böse, rettete die Welt und die Nation und blieb dabei selbst unschuldig. Trotz seiner außerirdischen Herkunft – sein Vater, ein Wissenschaftler, hatte ihn als Baby in einer Rakete zur Erde geschossen, kurz bevor sein Heimatplanet Krypton explodierte – war Superman ein uramerikanischer Held. Aufgewachsen in Smallville, einem Dorf in Kansas, wo der liebe Gott den Weizen sprießen lässt, erzogen von Martha und Jonathan Kent, einem aufrechten Farmerehepaar, wurde Clark Kent zum stählernen Boyscout. In den kommenden Jahrzehnten kämpfte er, wie es in seinen Abenteuern hieß, für »Wahrheit, Gerechtigkeit und die amerikanische Lebensart«: Er rettete den Präsidenten, warb für Kriegsanleihen, besiegte Hitler, Stalin und Kaiser Hirohito und zerschlug das organisierte Verbrechen. Schnell wurden die Comicseiten zu klein für ihn, er eroberte das Radio, das Fernsehen, das Kino, die Bühne, die Museen – weit über die Grenzen der USA hinaus. Ein Siegeszug für und durch die freie Welt. Superman wurde zur Ikone. Erst in den siebziger Jahren zeigte seine Fassade die ersten Risse: Der Vietnamkrieg veränderte die Wahrnehmung vieler Amerikaner, Superman wurde als Roboter im Dienst der Macht beschimpft. Ein patrio tischer Idiot in den Augen der Linken, ein phallisches Symbol des chauvinistischen Amerika in den Augen der Feministinnen. Mit dem Image sank auch der Umsatz. Die Versuche der Comicautoren, Superman zu modernisieren, nahmen in den achtziger und neunziger Jahren mitunter seltsame Auswüchse an: Der Stählerne ließ sich einen Pferdeschwanz wachsen, als Clark Kent wechselte er von der Zeitung zum Fern-sehen. Superman wur de zum Mörder, dann selbst getötet und als Energiewesen wiedergeboren. Er mutierte zum Fundamentalisten, der die ganze Menschheit bespitzelte. Er wurde von Identitätskrisen, Paranoia und Zweifeln gebeutelt. Die Erfolge waren, wenn sie sich denn überhaupt einstellten, nur sehr kurzfristig. Der »Mann von morgen« war wohl endgültig von gestern.
In Deutschland hatte er es besonders schwer. In manchen Jahren liefen seine Comics so schlecht, dass der Verlag die Veröffentlichung nur nicht einstellte, weil er die Figur im kollektiven Gedächtnis lebendig halten wollte – schließlich galt es, Themenparks zu betreiben und Merchandising zu verkaufen. Eine eigene Comicserie hatte Superman in den vergangenen Jahren selten, seine Abenteuer verkauften sich eigentlich nur, wenn ihm populärere Kollegen wie Batman an die Seite gestellt wurden. Nur Ende der siebziger Jahre erlebte Superman eine Art Zwischenhoch. Richard Donners Film mit Christopher Reeve in der Titelrolle verschaffte der Figur neue Popularität. Die Zeit schien wieder reif für Superman: Er wirkte auf der Leinwand wie ein Heilsbringer aus einer besseren Zeit. Das Kino hatte gerade mit Krieg der Sterne und Der weiße Hai die ersten Blockbuster produziert und sich als Ort des Eskapismus positioniert. Da kam der aufrechte Kämpfer gerade recht. Doch der Aufschwung währte nur kurz. Den letzten Superman-Film von 1987, ein in jeder Hinsicht billiges Machwerk, wollte nicht nur keiner mehr sehen, er ramponierte auch den Marktwert der Figur und festigte das Image des abge halfterten Helden. Erst sechs Jahre später wagte Warner zaghafte Versuche, Superman wiederzubeleben. Doch die 13 Jahre, die dann bis zur Fertigstellung von Superman Returns vergingen, waren ein einziges Chaos: Drehbuchautoren und Regisseure stiegen ein und flogen wieder raus – der Regisseur und Autor Kevin Smith, ausgewiesener Comicfachmann, sowie Alias- und Lost-Erfinder JJ Abrams, die Regisseure Tim Burton, der schon Batman erfolgreich reanimiert hatte, und Wolfgang Petersen, Charlie’s Angels-Regisseur McG und der Actionspezialist Brett Ratner wurden engagiert und wieder entlassen. Nicolas Cage, Jude Law, Ashton Kutcher oder Josh Hartnett wurden als potenzielle Hauptdarsteller gehandelt und wieder verworfen. Auch um den Inhalt des Films kursierten Gerüchte: Die Saga »Supermans Tod« sollte erzählt werden. Supermans Sohn sollte ins Rennen geschickt werden. Oder: Superman an der Seite seines ungleich populäreren Kollegen Batman. Ein schwuler Roboter und mutierte Riesenspinnen waren geplant. Drehbuchautor Kevin Smith berichtete gar, der Produzent habe einen Superman-Film gefordert, in dem Superman weder fliegen darf noch sein blau-rotes Kostüm trägt. Drehbuchentwürfe und Verträge verschlangen ungefähr 50 Millionen Dollar, ohne dass auch nur eine Filmszene gedreht war. »Die Sache ist ganz simpel«, gab Jeff Robinov, der zuständige Produzent von Warner Bros., noch 2004 zu Protokoll: »Wir haben es einfach nicht hinbekommen.« Gleichzeitig mussten die Verantwortlichen bei Warner und DC mit-ansehen, wie die Konkurrenz im Kino abräumte mit X-Men- und Spider-Man-Filmen. Sogar mittelmäßige bis schlechte Comicfilme wie Hulk, Daredevil oder Fantastic Four spielten Geld ein und kurbelten das Marketing an. Es musste erst Quentin Tarantino, der Spezialist für die Wiederbelebung der zu Un-recht Vergessenen, kommen, um Superman wieder mit kultureller Bedeutung aufzuladen. »Superman«, lässt er im Jahr 2004 seinen charismatischen Schurken Bill im zweiten Teil von Kill Bill sagen, »ist als Held einmalig.« Anders als seine Comic-kollegen müsse sich Superman nicht als Held verkleiden. Er wurde als Superman geboren. Wenn er morgens aufwacht, ist er Superman. Seine Verkleidung ist Clark Kent. Das Kostüm mit dem roten S ist seine wahre Kleidung. Was Kent trägt, die Brille und der Anzug, ist das Kostüm. »Superman«, sagt Bill dann, »trägt diese Verkleidung, um sich unter uns Menschen zu mischen. Clark Kent ist so, wie Superman uns sieht, schwach, unsicher, ein Feigling. Clark Kent ist Supermans Kritik an der menschlichen Rasse.«
Unter Bryan Singers Regie soll Superman nun seinen Platz unter den Comichelden zurückerobern. Singer ist die logische Wahl – er hat mit seinen beiden X-Men-Filmen das Genre Superhelden-Film neu belebt. Diese Erfahrung hat Singer auch gelehrt, dass Superhelden-Filme besonders heikel zu inszenieren sind – sie müssen den comic-abstinenten Kinogänger begeistern und dürfen gleichzeitig die eingeschworene Fangemeinde nicht verprellen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern hat Singer gar nicht erst versucht, Superman zeitgemäß zu verbiegen. »Superman trägt einen blauen Anzug, einen roten Umhang und ein S auf der Brust. Er fliegt. Er kämpft für das Gute. Das sind unveränderliche Tatsachen«, sagt Singer. »Wenn man einen Superman-Film machen will, sollte man keine Angst davor haben, ihn auch so zu zeigen. Man muss das Rad nicht neu erfinden.« Singer hat den Mythos nur behutsam modernisiert: Superman Returns beginnt mit der Rückkehr des Helden auf die Erde. Fünf Jahre war er im All, auf der Suche nach den Trümmern seines Heimatplaneten Krypton – und damit auf der Suche nach seiner Identität. Als er zurückkehrt, ist seine alte Liebe Lois Lane verlobt und hat einen kleinen Sohn. Außerdem hat sie – sie ist Journalistin – den Pulitzer-Preis gewonnen für einen Artikel mit dem Titel Warum die Welt keinen Superman braucht. Singer hat die Frage nach Supermans Relevanz elegant in seinen Film integriert. »Die Zeit ist reif für Superman. Er ist der ultimative Superheld«, sagte Singer amerikanischen Journalisten. »Superman ist mir als Figur sehr nah, er ist Einzelkind, adoptiert, stammt aus einfachen Verhältnissen, genau wie ich. Supermans Suche nach Identität und Heimat, seine Anstrengung, in einer zynischen Welt zurechtzukommen, sind heute für viele nachvollziehbar. Er ist der ultimative Immigrant und gleichzeitig der Antiterrorist. In Zeiten der moralischen Verwirrung ist ein Held, der trotz aller Hindernisse an seinem Idealismus festhält, eine gute Sache.« Das passt gut in die USA unter Bush: Noch nie war die öffentliche Moral so erschüttert wie heute. Auf dem internationalen Markt allerdings hat es so ein uramerikanischer Held heute schwer. Deshalb ist es klug, dass Singer die Universalität des Charakters betont und den »American Way«, seit den fünfziger Jahren Teil von Supermans Selbstverständnis, kurzerhand aus dem Drehbuch gekippt hat. Singer baut mehr auf emotionale Konflikte denn auf Faustkämpfe. »Ich wollte Superman verwundbar zeigen, ihn mit Schwierigkeiten konfrontieren, denen er sich nie zuvor gegenübersah«, sagt der Regisseur. »Die Frau, die er liebt, hat sich von ihm entfernt, sie hat einen Sohn und einen Verlobten, der auch noch ein guter Kerl ist – eine Art emotionales Kryptonit, für das auch der stärkste Mann der Welt keine Lösung parat hat.« Das klingt beinahe nach einem Problemfilm – den Singer allerdings mit rasanten Actionsequenzen ausstattet, mit Ironie, wunderbaren Art-déco-Fassaden und Reminiszenzen für die alten Fans. Doch obwohl Superman Returns in den ersten drei Wochen in den USA 164,3 Millionen Dollar eingespielt hat und das beste Startwochenende aller bisher von Warner Bros. produzierten Filme hinlegte, ging die wichtigste Schlacht verloren: Der zweite Teil von Fluch der Karibik, der in den USA eine Woche später anlief, hat 258,4 Millionen in nur zwei Wochen eingespielt, und auch in allen anderen Ländern, in denen die Filme zeitgleich gestartet sind, hat der Piratenklamauk Superman abgehängt. Den Kampf der Superhelden hat der Stählerne ebenfalls verloren – vom Umsatz der beiden Spider-Man-Filme ist Superman Returns Welten entfernt, den Erfolg der X-Men-Filme kann Singer wohl nicht wiederholen. Gerade für ein jüngeres Publikum ist der aufrechte Superman offenbar deutlich weniger attraktiv: Wenn Spider-Man und die X-Men wie die Jungs sind, die auf dem Klo kiffen, ist Superman der Streber in der ersten Reihe. Dass Superman Returns am Ende die erhofften 600 Millionen Dollar einbringen wird, ist unwahrscheinlich. In der Branche zweifelt man sogar schon, ob das Einspielergebnis in Nordamerika überhaupt die 200 Millionen Dollar erreicht – was inoffiziell die Voraussetzung für einen weiteren Superman-Film wäre. Eine Marketingkampagne mit nachhaltiger Wirkung, so die Faustregel in Hollywood, braucht drei erfolgreiche Filme. Matrix, Star Wars und Herr der Ringe haben es vorgemacht. Nachdem Warners zweiter potenzieller Sommer-Blockbuster Poseidon, Wolfgang Petersens Remake des Katastrophenfilms von 1972, an der Kinokasse abgesoffen ist, ist es an Superman, die Bilanzen zu retten. Sollte er ebenfalls abstürzen, wird die Produktionsfirma ihn vielleicht, für die nächsten 19 Jahre, wieder zu den Akten legen. Es wird schwierig für unseren Helden.