Vor ein paar Jahren habe ich mir ein Buch gekauft, Haiku für Liebende. Mit Haikus wie »Als du mich küsstest,/fiel Sonnenschein auf meine/sprachlosen Lippen« oder »Wie weich ist das Fell/einer Bärin –/wenn ein Männchen naht« wollte ich…nennen wir es »arbeiten«, bei einer ganz besonderen Frau, wenn Sie mich verstehen. Aber kurze Zeit später war ich arbeitslos, und Haikus wie »Ich bin sehr glücklich!/Meine Zunge in deinem/Ohr: Es schmeckt wie Wachs« wurden überflüssig. Ich schmiss das Buch am Abend, ja, nur abends geht so was (es regnete, tatsächlich, es regnete!), in die Mülltonne vor meinem Haus, man neigt zu dramatischen Reaktionen bei dramatischen Enttäuschungen, nur um es am Morgen wieder herauszufischen, zwischen alten Windeln und Essensresten… Obwohl, ich muss zugeben, in Wahrheit lag es in einer fast leeren Altpapiertonne, weniger dramatisch und unbeschmutzt.
In diesem Augenblick, die Haikus an die Brust gepresst, es regnete immer noch, und wenn’s nicht geregnet hätte, würde ich’s mir jetzt ausdenken, bin ja schließlich Schriftsteller, in diesem Augenblick dachte ich: Was für eine verdammte Zicke, und ich alter Bock bin wieder mal blind in ihren Stall galoppiert, mitten in die Scheiße! (Ach Hilfe, was für Klischees, aber sind es nicht die Klischees, die uns so gut unterhalten?)
Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht mehr genau, ob ich sie in Gedanken tatsächlich »Zicke« nannte, und ich weiß auch gar nicht genau, was eine sogenannte Zicke so ausmacht. Die Unberechenbarkeit? Aber das ist doch ein Merkmal der Diva, oder? Und die Diven sind es, die exzentrischen Frauen, um die es sich für einen Mann lohnt zu kämpfen. Oder?
Wenn sie mit dir an einem Tag nach Las Vegas fliegen will und am nächsten sagt, alles sei vorbei − ist das zickig, ist das divenhaft? Und bringt dich das Achterbahnfahren in höchste Ekstase und zu rauschhaften Zuständen oder schlichtweg zum Kotzen? Wenn ich so weitermache, wird es ein Text, der nur aus Fragen besteht, und ich spüre immer mehr, dass es mit dem Bild der zickigen Diva so ist wie mit der Unterschicht (Frauen und Unterschicht, schönen Gruß an Frau Schwarzer), es gibt sie nicht, es gibt sie in den unterschiedlichsten Facetten, bunt schillernd wie bestimmte Fliegen. Ich hab dich lieb/es ist so schön/aber du musst trotzdem gehn. Und dummerweise kann ich nicht loslassen, jedenfalls nicht die Frauen mit den Macken, für die zieh ich in die Schlacht, bis zum letzten Atemzug, bis zur letzten Erektion.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Könnte sich unser Autor in eine ganz brave und stille Frau verlieben?
Manchmal wünsche ich mir, ich würde mich in eine Frau verlieben, die in einem Blumenladen arbeitet und die nie auf die Idee kommen würde, mit mir nach Las Vegas zu fliegen. Die zufrieden wäre, wenn wir am Wochenende zum Kaffee ins Erzgebirge fahren würden. Die mir die Pantoffeln anwärmt und die Kartoffeln aufwärmt, wenn ich nach Hause komme, und die immer Blumen mitbringt aus ihrem Blumenladen. Eine Brave und Stille. Aber verdammt noch mal, wäre das nicht der Stillstand, wäre das nicht die Langeweile, die Idylle und die Harmonie, vor der ich mich als Schriftsteller so fürchte (und von der ich dennoch als Mensch manchmal träume)?
Aber dieser Frau würde ich nicht verfallen, immer und immer wieder, verfallen bin ich den Diven, den Zicken, den Exzentrischen, den Besonderen, diesen wunderbaren Frauen, deren Energien und Emotionen du in jeder Sekunde, in jeder Berührung spürst und die dich herumschieben und quälen (bewusst, unbewusst? Was weiß ich?), sobald sie dich haben. Die dich selbst alle Energien und Emotionen kosten, die du begehrst bis zur Selbstaufgabe. Die dich mit einem Lächeln zu einem Ganzkörperorgasmus bringen und dich mit einer kleinen SMS zerstören. Oft sind es die Beiläufigkeiten, diese Nadelstiche, die dich zermürben.
Ich werde zum Masochisten, ja; quäle mich, Diva, beiß mich, Zicklein, wo ich doch weiß, dass hinter deinem Panzer, hinter deiner Frechheit, hinter deinen Extravaganzen die Unsicherheit, die Angst und die Einsamkeit wohnen. Und was für eine Hingabe, was für eine Ekstase, wie weich sie doch werden, die Diven, wenn du sie in den Armen hältst, wie viel sie doch geben können und was für ein Tanz zwischen Schmerz und Lust, Verweilen und Flucht. Hinter jedem Moment lauert das Drama und das Glück. Und du spürst, dass du lebst. Aber ihr Rätsel und ihr Geheimnis sind immer da, und darum begehre ich, und dann rammle ich dummer Bock los, und immer den Zicklein hinterher, Hase und Igel, jetzt spielen auch noch die Vergleiche verrückt.
Vor Kurzem aß ich in einem Restaurant ein Milchzicklein, die werden, sofort wenn die Mutter sie nicht mehr säugt, geschlachtet. Ich habe es mit gierigen Bissen ver-schlungen, hab einfach mal den Spieß umgedreht. Und während mir das Milchzickleinfleisch auf der Zunge zerging, fiel mir noch ein schöner Haiku ein:
»Schmetterling entführt/von einem Schmetterling –/überall Geflatter.«
Clemens Meyer hat gerade den Erzählband »Die Nacht, die Lichter« veröffentlicht und den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten.