Viel Tod und Schmerz brachte dieser Sommer, viel Krankheit und Leid. Es
scheint, als seien so viele Menschen gestorben wie lange nicht mehr: Peter Zadek, der Große, und Frank McCourt, der Lustige, dazu Barbara Rudnik, Monica Bleibtreu oder Patrick Swayze; und all die anderen, die über diesem Text stehen, auch. Der britische Big Brother-Star Jade Goody und die Schauspielerin Farrah Fawcett ließen ihr Sterben vom Fernsehen begleiten. Und dann war da natürlich noch Michael Jackson - Superstar, dessen Tod für ein paar Wochen alles überschattete. Selbst die Bücher dieses Sommers handelten von Krankheit und Leid, wie die von Christoph Schlingensief, der Moderatorin Miriam Pielhau oder dem Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann; Tilman Jens schrieb über die Demenz seines Vaters Walter. Judith Hermann erzählt in Alice fünf Geschichten vom Tod und vom Verlust. Und der Deutsche Buchpreis 2009 geht an Kathrin Schmidts Du stirbst nicht. Was ist bloß los? Vor allem an den Büchern über Krebs und über das Sterben entzündeten sich Feuilleton-Debatten: Wie öffentlich darf das Privateste, das Leiden und Sterben, gemacht werden? Sehr öffentlich, meint Christoph Schlingensief und nennt die Schilderung seiner Lungenkrebserkrankung eine »Kampfschrift für die Autonomie des Kranken und gegen die Sprachlosigkeit des Sterbens«. Die einen loben die Enttabuisierung von Krankheit und Leid, andere, wie Richard Kämmerlings in der FAZ, greinen: »Lasst mich mit eurem Krebs in Ruhe« oder werfen, wie die Berliner Zeitung, den Autoren das »hemmungslose Füttern eines schamlosen Marktes mit Krankenakten und Befindlichkeitsnachrichten« vor.
Der Streit ist verklungen, die Erinnerung an einen Sommer bleibt, in dem der Tod Konjunktur hatte wie schon lang in keinem Sommer mehr; kein Platz war da in den Zeitungen für Problembären oder verhaltensauffällige
Schlagersternchen am Ballermann wie sonst im Juli und August. Vielleicht
liegt es daran, denkt man, dass mehr Menschen gestorben oder erkrankt sind als in anderen Jahren? Aber das stimmt nicht, es wurden auch nicht mehr Prominente als sonst zu Grabe getragen.
Da ist Thomas Macho, Berliner Philosoph, der eine »neue Sichtbarkeit des
Todes« beobachtet. Dabei hatten Kulturtheoretiker von Benjamin bis
Baudrillard angenommen, der Tod werde immer weiter tabuisiert werden;
tatsächlich kehre er seit einiger Zeit aber in die Öffentlichkeit zurück,
sagt Macho; man könne den verdrängten Tod also kaum mehr als Kennzeichen der Moderne deuten.
All die Nachrichten von Tod und Leid in diesem Sommer fielen auf einen
fruchtbaren Boden. Bereitet hat ihn sicher auch die Finanzkrise: Je
unsicherer die Zeiten, desto elementarer die Fragen an das Leben, die Liebe, an Krankheit und Tod, an Sinn und Vergänglichkeit - das Mitgefühl beim Leid der anderen wird größer. Und die Finanzkrise fiel auf das Ende dieses Jahrzehnts; sie verkorkste die Nullerjahre endgültig, an deren Anfang Terrorwellen die Welt erschütterten. Dazwischen: Größenwahn, Umweltprobleme, Arbeitslosigkeit.
Die Neunzigerjahre waren anders, lustig. Partys, Love-Parade, bunte Haare
und viel Spaß; Jahre wie Hula-Hoop-Reifen, aufgeputscht wie vom Energydrink Red Bull. Welchen Platz hätten Tod und Leid da haben sollen? Jetzt sind die Zeiten leiser, bedächtiger, um aufgedreht zu werden, braucht keiner mehr Ecstasy, eher das Gegenteil: Schon gibt es »Anti-Energydrinks«, die beruhigen sollen. Slow Cow heißt einer von ihnen.
Vielleicht spricht es für sich, dass drei Journalisten, die in den
Neunzigerjahren Jetzt, die Jugendbeilage der Süddeutschen Zeitung,
mitprägten und darin das Leben feierten, am Ende dieses Jahrzehnts stille Bücher geschrieben haben, alle über den Tod: Johanna Adorján über den Selbstmord ihrer Großeltern, Philipp Reichardt über den Verlust seines
Vaters, Georg Diez über das Sterben seiner Mutter.
Die Tragödie, die private wie die öffentliche, hat eine reinigende Wirkung,
schrieb Aristoteles, gemeinsames Leid erlöst die Menschen emotional, geistig und körperlich. Mag sein, dass wir gerade gar nicht anders können, als gerührt und erschüttert zu sein. Vielleicht tragen wir mit den Toten dieses Sommers auch etwas anderes zu Grabe: ein Jahrzehnt, eine
Weltwirtschaftskrise, das gestörte Vertrauen in unsere Ordnung. Stirb und werde.
Das passt gut zum Ende dieses Sommers.
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Ende des Jahres ist Monica Bleibtreu, die im Mai starb, noch einmal im Kino zu sehen, Fatih Akins Komödie Soul Kitchen. Der "schmutzige Heimatfilm" ist ihr gewidmet und gewann bei den Festspielen in Venedig den Spezialpreis der Jury. Obwohl Kerstin Greiner bisher nur die Inhaltsangabe kennt, ist sie schon Fan.
Fotos: ddp, dpa, ap, Reuters