Drei Silben sind es, die mich verfolgen. Das Essen im Lokal ist versalzen, die U-Bahn wieder zu spät, die Chefin reicht kurz vor Feierabend noch eine Aufgabe weiter – aber: Alles gut. Jemand hat dir das Herz gebrochen, du sitzt weinend im Bus, ein besorgter Sitznachbar fragt, ob er helfen kann: Alles gut. Eine Höllenfloskel, in den Sprachgebrauch sehr vieler Menschen hineingebrannt.
Besonders, wenn es um die Frage nach dem Befinden geht. Ich denke: Ich habe Angst um meine Rente. Ich weiß nicht, ob meine engen Freundschaften bis ins Alter hinein bestehen. Ich habe das Gefühl, mich zu wenig um meine Großeltern zu kümmern. Ich fürchte um meine berufliche Zukunft, und dass mein Herzensverein doch wieder absteigt. Ich werde seit vier Wochen diesen komischen Husten nicht los. Ich habe gestern schon wieder Fleisch gegessen, obwohl ich das doch lassen wollte. Ich möchte einen Hund haben, aber mein unbeständiges Leben lässt das nicht zu, und die Frage nach Kindern traue ich mich gar nicht erst zu stellen. Und was sage ich immer und immer wieder? Alles gut.
Dieses »Alles gut« kann unterschiedlich klingen: Die Stimme geht hoch, danach ein schmales Lächeln. Oder das U wird beschwichtigend lang gezogen – ein Gurren, wie um überreizte Kinder zu beruhigen. Oder es ist kurz und beiläufig – ein sprachliches Achsel-zucken. »Alles gut« funktioniert wie der amerikanische Small Talk mit der Frage »How are you?«, auf die man stets mit »I’m fine« reagiert, weil gar keine inhaltliche Antwort erwartet wird. Und was bedeutet »I’m fine«? Natürlich: Alles gut.
Grundsätzlich helfen Phrasen ja im menschlichen Umgang. Bei dieser ist es anders
Was ist eigentlich gut? Gut ist nicht schlecht, nicht niederschmetternd, aber auch nicht wunderbar. Gut ist Mittelmaß, gut rutscht so durch. Gut ist okay. Im gegenwärtigen Zustand der Erde dürfte man getrost »Alles schlecht« sagen. Die Alles-gut-Gesellschaft ignoriert die Probleme so lange, bis sie hoffentlich von selbst verschwinden. »Alles gut« ist ein Symptom des Kontrollverlusts in einer Zeit, in der vieles überhaupt nicht gut zu sein scheint. Aber lieber gut gelaunt wirken, lieber niemanden mit dem eigenen Weltschmerz nerven. Lieber nicht stören, das gilt im Großen wie im Kleinen. Wenn du auf der Straße angerempelt wirst und der andere sich entschuldigt – dann muss für dich »alles gut« sein, sonst bist du das Problem, sonst bist du jemand, der Schwierigkeiten macht, obwohl die Sache doch längst geklärt sein könnte.
Warum hat sich diese Plattitüde so breitgemacht? Grundsätzlich helfen Phrasen ja im menschlichen Umgang. Sie bieten einen Streckenplan, einen Weg, auf bestimmte Dinge zu reagieren: Wenn jemand A sagt, sagst du B, und alles hat seine Ordnung. Floskeln erleichtern das Zusammenleben, danke, bitte, schönen Tag noch. Aber bei »Alles gut« ist es anders: Es dient nicht dem Zusammenleben, sondern beeinträchtigt es. Wir sprechen nicht über das, was uns wirklich beschäftigt. »Alles gut« ist der Polizist, der vor dem brennenden Autowrack steht und sagt, bitte weitergehen, hier gibt’s nichts zu sehen! »Alles gut« trägt dazu bei, dass wir nicht richtig miteinander reden, dass Gefühle sich aufstauen, Menschen sich finstere Gedanken übereinander machen und keinen Frieden finden. Die drei Silben ersticken jede wahre Begegnung.
Klar, manchmal ist die Wirklichkeit zu kompliziert für eine ehrliche Antwort. Was mit »alles« gemeint ist, davon müssen wir gar nicht erst anfangen. Vielleicht fehlen uns angesichts dieses großen Knäuels an Empfindungen und Problemen auch einfach die Worte? Trotzdem: Wir sollten der Komplexität im Kleinen begegnen und versuchen, ehrlich zu antworten auf die Frage, wie es uns geht. Das wird nicht immer angenehm sein. Aber es schafft auch Platz für eine neue Floskel. Warum nicht ein paar Worte anwenden, die aussagen, dass noch nicht alles perfekt ist, wir aber gemeinsam daran arbeiten? Ich werde mir ab jetzt die drei Silben verbieten und so oft wie möglich vier daraus machen: Alles wird gut.

