Es ist eine große Idee, aber lebendig wird sie nur im Kleinen. Im Alltag, in der Realität, im Nieselschnee, bei Schneematsch, im Hausflur, beim Abendbrot, im Wartezimmer, bei der Schneiderin, im Taxi, an der Ampel, in der Kantine. Demokratie muss man verteidigen, für seine Ansprüche muss man einstehen. Nicht theoretisch, nicht nur auf Twitter, sondern gerade da, wo die Leute einem nicht direkt zustimmen.
Alle sind sich einig, es muss wieder mehr geredet werden. Die Linken mit den Rechten, die Armen mit den Reichen, die Politiker mit den Bürgern und alle auch andersherum. »Unsere Demokratie ist in Gefahr, überall da, wo wir sie als selbstverständlich betrachten«, hat Barack Obama in seiner Abschiedsrede gesagt. Und: »Zu viele von uns haben es sich in ihren eigenen Blasen bequem gemacht, insbesondere in den sozialen Medien. Umgeben von Menschen, die wie wir sind, dieselben politischen Überzeugungen haben und niemals unser Denken in Frage stellen. Und wenn ihr es leid seid mit Fremden im Internet zu diskutieren, dann redet doch mal mit einem persönlich, im richtigen Leben.«
Ich finde, da hat er Recht. Ich habe im November damit angefangen, nach der Wahl von Donald Trump, aber nur indirekt seinetwegen. Meine amerikanischen Freunde und Bekannten erzählten mir, dass sie mit den »anderen« schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gesprochen hatten. Sie hatten am politischen Prozess nur durch ihre Wahl teilgenommen, darüber hinaus nicht. Um dann festzustellen, dass eine Stimme der »anderen« genauso viel zählt wie einen von ihnen, die vermeintlich das Richtigere will.
Diese Naivität hat mich erschreckt. Zuerst an ihnen, und dann, nur ein paar Minuten später, auch an mir selbst. Denn, ganz ehrlich, ich war auch immer wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass immer mehr Menschen – Schwarze, Frauen, Behinderte, Homosexuelle, Migranten, Transgender – gleiche Rechte bekommen. Nicht alle auf einmal und gleich schnell und vollständig, aber dass die Richtung dieser Entwicklung fest steht: voran, nicht zurück. Aber Trump, Brexit und der Bedeutungsgewinn der AfD haben gezeigt, selbst die Richtung dieser Entwicklung steht wieder zur Disposition.
Deswegen also mein Vorhaben: endlich wieder reden, den Streit suchen, Demokratie als Bürgerpflicht begreifen. Genau so habe ich das Experiment auch begonnen, privat, als Bürgerin. Dass ich jetzt dennoch darüber schreibe, liegt daran, dass ich interessant fand, was passiert, wenn man öfter mal »Nein« sagt. Oder: »Das sehe ich absolut anders« sagt – zu einem fremden Demonstranten auf der Straße, zu seiner Nachbarin, zu seinem Vater und anderen Eltern beim Kindergeburtstag.
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