Als das Handy klingelt, zuckt Klaus Krinner zusammen, fischt das Gerät mit nervösen Fingern aus der Jackentasche, starrt aufs Display und nimmt das Gespräch zögerlich mit dem rechten Zeigefinger entgegen. Der Geschäftsmann macht dabei ein Gesicht, als müsse er sich darauf konzentrieren, den richtigen Knopf zu erwischen. »Servus, Sepp!«, sagt er und wirkt fast überrascht, dass da wirklich jemand am anderen Ende der Leitung ist – Klaus Krinner ist ein sonderbarer Unternehmer.
Keiner mit Bügelfalte im Anzug, der Rollkoffer durch Flughafenhallen zieht und mit englischen Vokabeln um sich wirft. Klaus Krinner spricht Bairisch, derbes Niederbairisch, und oft wiederholt er, was er gerade gesagt hat, in einer Sprache, die er als Hochdeutsch bezeichnen würde, weil er ganz sicher gehen will, dass man ihn auch verstanden hat. Klaus Krinner ist Bauer, Landwirt, der jahrelang Tiere gefüttert und Zuckerrüben angebaut hat. Er hat sich nur im Laufe seines Lebens in einen Unternehmer verwandelt und den Bauern in sich am Leben gelassen. Eigentlich hat er zwei Leben gelebt. »Zufrieden war ich in beiden«, sagt er.
Es ist die Aura des Normalen, die diesen Mann so besonders macht: Er hat Millionen verdient und lebt trotzdem noch im gleichen Haus, das er 1977 für sich und seine Familie gebaut hat. Seine Firma steht da, wo er vor 68 Jahren auf dem Hof seines Vaters geboren wurde, in Straßkirchen bei Straubing, 2000 Einwohner, wo eine Dönerbude heute noch so exotisch ist, dass ein Straßenschild den Weg zu ihr weist. An der Wand in seinem Büro hängt ein Kalender der VR-Bank Landau für das Jahr 2006.
Die Idee, die das Leben des Landwirts auf den Kopf gestellt hat, steht auf dem Schreibtisch des Unternehmers: ein Christbaumständer, der auf den ersten Blick wie die Schreibtischlampe eines Regionaldesigners aussieht, nichts Besonderes. Man muss schon die Geschichte dahinter kennen, um zu verstehen, dass es sich bei diesem Ding um einen Geniestreich handelt. Für Klaus Krinner war es der Coup seines Lebens.
Das Besondere: Der Baum wird nicht mehr wie früher üblich von mehreren Schrauben gehalten, sondern von einem einzigen Drahtseil, das, wenn man es festzurrt, vier bewegliche Fixierarme an den Stamm krallt – eine Technik, die Krinner erfunden hat und die genial ist: genial einfach, genial schnell. Klaus Krinner, der innerhalb weniger Jahre ein kleines Christbaumständer-Imperium auf die Beine gestellt hat, schätzt, dass er in diesem Jahr über eine Million Stück davon verkaufen wird. Im nächsten Jahr will er den amerikanischen Markt knacken. Längst hat er mehr als 30 verschiedene Modelle im Repertoire, das teuerste für knapp 400 Euro, aus Edelstahl und Wurzelholz, das billigste für 13,99 Euro, für den Discounter.
Bei Klaus Krinner verhält es sich genau umgekehrt wie bei den meisten anderen Menschen: Er wirkt ganz gewöhnlich und ist äußerst ungewöhnlich. Bisher war sein Leben ein einziges großes Abenteuer. Natürlich könne er davon erzählen, wie er vom Bauer zum Unternehmer geworden ist, »aber so sprechen wie ein Profi kann ich nicht«, sagt er. Muss er auch nicht. Seine Geschichte ist so spannend, dass sie auch ohne rhetorische Stilmittel funktioniert. Wenn etwas gut ist, braucht es keine Dekoration. Bei Christbaumständern ist es genauso.
Es war der 24. Dezember 1988 – Klaus Krinner versuchte gerade eine Blautanne in den Christbaumständer seiner Eltern zu hieven, als er merkte, »was das eigentlich für ein Glump war«. Erst stand der Baum ständig schief und am Ende hatte Krinner blutige Finger. »Dann habe ich nachgedacht, und zwar gezielt, wie man so einen Christbaumständer besser machen könnte«, sagt er. »Die gescheiten Leute denken ja immer nur über die komplizierten Dinge nach, den einfachen widmet sich kein Mensch.« An einem Tag im September 1989, um halb acht Uhr morgens, ist es so weit: Klaus Krinner teilt gerade die Feldarbeit ein, als ihm der letzte, der entscheidende Dreh einfällt – das Drahtseil.
Krinner malt eine Skizze, lässt einen Proto-typ bauen, wickelt ihn in eine Decke und fährt damit zum Patentamt nach München. »Ich hatte riesige Angst, dass mir jemand die Idee wegnimmt.« Anschließend sucht er eine Firma, die seine Erfindung in Serie herstellt, fährt wochenlang durch die Gegend, erst in Deutschland, ohne Erfolg, dann in Polen. Dort wird er fündig: Ein ehemaliger Rüstungsbetrieb macht mit, ein Vertrag über hundert Christbaumständer wird geschlossen. Krinner ist glücklich.
Als sie ein paar Wochen später geliefert werden, verschenkt er fast alle an Verwandte. Er weiß, dass ihm seine Idee niemand mehr wegnehmen kann, dass sie sich auszahlen wird. Er hat Zeit. Er kann warten. Nur ein paar Exemplare behält er und fährt ein zweites Mal los, erst nach Düsseldorf, in die Metro-Zentrale, dann nach Hamburg, zum Axel-Springer-Verlag. Ohne Anmeldung gelingt es ihm da wie dort, sich zu den entscheidenden Leuten vorzukämpfen. Der Einkäufer von Metro ist begeistert, der Redakteur der Bild am Sonntag ebenfalls. Ergebnis: Die größte Sonntagszeitung Deutschlands bringt eine farbige Doppelseite über Krinner, die Metro gibt eine Bestellung auf: 10 000 Stück. Es geht los – und hört einfach nicht mehr auf, bis heute.
Hinter dem Erfolg von Klaus Krinner steckt ein Geheimnis. Es gibt Regeln, die hat er sich aufgestellt und die hat er beachtet, da macht er keinen Hehl draus. Erstens: »Wenn ich erkannt habe, dass eine Sache gut ist, habe ich sie immer sofort gemacht.« Zweitens: »Wenn ich erkannt habe, dass eine Sache nicht mehr gut ist, habe ich mich immer von ihr getrennt, auch sofort.«
Statt den Hof seines Vaters zu übernehmen, geht er schon mit 17 in die Schweiz, mit 19 nach England, mit 20 nach Frankreich, jobben, Erfahrungen sammeln. Mit 23 fährt er mit einem Freund nach Pakistan, einfach so, in einem alten VW-Bus, drei Wochen hin, drei Wochen zurück, 27 000 Kilometer. »Hat mich halt interessiert«, sagt er, »aber in Straßkirchen war es am Ende doch schöner.« 1970 hört er zum ersten Mal vom Erdbeeranbau, bestellt zehn Minuten später 40 000 Erdbeerpflänzchen und wird zum größten und erfolgreichsten Erdbeerbauer Ostbayerns, mit Feldern von Straubing bis nach Österreich. Zurück gehen seine Erträge erst, als 1986 der Reaktor in Tschernobyl explodiert. Doch das stört Klaus Krinner nicht lange. Drei Jahre später sollte er auf die Idee seines Lebens kommen. Auf die Frage, wie sich sein Leben verändert habe, ob er sich heute mehr leiste als früher, antwortet er: »Ich kaufe mir jedes Jahr ein Paar neue Ski, damit ich mit meinen Söhnen noch mithalten kann.«
Vor ein paar Jahren hat Klaus Krinner noch ein Patent angemeldet, wieder für einen Gebrauchsgegenstand: Schraubfundamente, riesige Schrauben, mit denen man Wäschespinnen, Verkehrsschilder, Zäune, sogar Grabsteine ohne viel Aufwand im Boden verankern kann. »Noch verdiene ich damit nicht so viel«, sagt er, »aber glauben Sie mir, die Dinger werden alles auf den Kopf stellen.« Sein eigenes Firmenschild, am Straßenrand, wird bereits von so einem Fundament gehalten, das kleine Schild daneben auch: »Wir stellen ein«, steht darauf.