»Hoffentlich hat sie sich heute mal was angezogen«

Spätestens seit ihrem Vergewaltigungsprozess hat fast jeder eine Meinung über Gina-Lisa Lohfink. Wie ist sie wirklich? Das SZ-Magazin hat sie ein halbes Jahr begleitet.

Es ist, wie es immer ist, wenn es um Gina-Lisa Lohfink geht.

Lange bevor sie da ist, lange bevor sie überhaupt was gesagt hat, wissen die anderen schon über sie Bescheid. Amtsgericht Tiergarten Anfang Juni. Gleich beginnt Gina-Lisa Lohfinks Prozess. Nur wenige Medienvertreter sind da, zwei junge Frauen, die im Rahmen ihres Psychologiestudiums öffentliche Verhandlungen besuchen und drei junge Männer, die Gina-Lisa Lohfink später als Hure beschimpfen und anspucken werden. Gina-Lisa Lohfink selbst ist noch nicht da.

Eine Justizbeamte steht im zweiten Stock im kühlen Atrium und schaut wartend auf die Tür und den Sicherheitsbereich. Da müsste sie gleich reinkommen. »Hoffentlich hat sie sich heut mal was angezogen«, sagt die Beamtin. Während dessen versammeln sich unten an der Sicherheitsschranke immer mehr ihrer männlichen Kollegen, um »die Gina-Lisa« mal aus der Nähe zu sehen. Einhellige Meinung über sie: sexy, aber nicht so helle. Das sexy können sie begründen, das nicht so helle, scheint ihnen einfach die Konsequenz daraus zu sein. So geht es weiter: Zwei Boulevardreporter unterhalten sich oben im Warteraum darüber, dass so ein Aussehen auch als Einladung verstanden werden kann. Dann kommt Gina-Lisa Lohfink und der Prozess, der in Deutschland eine Debatte über sexuelle Gewalt auslösen wird, geht los.

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Das Ganze könnte nicht mehr als ein paar Randbeobachtungen sein vom ersten Tag eines Prozesses, in dem es darum gehen soll, ob Gina-Lisa Lohfink zwei Männern zu Unrecht vorgeworfen hat, sie mit K.O.-Tropfen betäubt und vergewaltigt zu haben. Ist es aber nicht. Es zeigt, wie Gina-Lisas Leben abläuft. Immer sehen Leute etwas in ihr und immer verhalten sie sich entsprechend. Neutral, so scheint es, begegnet ihr niemand. Jeder scheint schon zu wissen, wer sie ist.

Über den Sommer wird sich das noch ausprägen. Für die einen ist die 30-Jährige ein Justizopfer, eine, die deutlich macht, dass die deutsche Strafgesetzgebung unzureichend ist. Für die anderen ist sie eine, die in die Schlagzeilen will um jeden Preis. Die nicht mal davor scheut, mit Falschbeschuldigungen in so einer ernsten Angelegenheit wie Vergewaltigung Aufmerksamkeit zu generieren.

Aber wer ist diese Frau, um die es hier geht? Die als Kind nur Jungs als Freunde hatte und heute sagt, sie könne kaum einem Mann noch trauen? Die im Zuge einer Kunstaktion medienwirksam ihre Privatsphäre zu Grabe trägt, aber die Telefonnummern von Boulevardreportern im Handy gespeichert hat um anzurufen, wenn sie sich erfolgreich in irgendetwas verwickelt hat. Die berühmt sein und in Ruhe gelassen werden will. Die den Tag damit verbringt an ihrem Aussehen als Sexsymbol zu arbeiten und als Vorbild ihre Großmutter nennt, eine robuste, ehrliche Frau vom Dorf, die sich zeitlebens um alle gekümmert hat.

Wir haben Sie von April bis Oktober begleitet, sie sowohl vor diesem Prozess, während dessen, als auch weit danach zu Gesprächen getroffen. In Dorsten, in ihrer Heimat Offenbach, in Berlin und in Kitzbühel, wie sie Ende September ihren dreißigsten Geburtstag gefeiert hat.

Porträt einer Frau, die jeder zu kennen glaubt, und die trotzdem immer missverstanden wird.

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