Für einen kurzen Augenblick hatten sie mich wirklich. Es klang so einfach: Ein paar Treuepunkte sammeln, ein bisschen Geduld haben - und schon gehört mir eine nagelneue Vespa. Ich muss keinen Cent selbst zahlen! Wahnsinn, oder? Gemüse, Milch, Wurst, Bier, das brauche ich ja sowieso alles, bei jedem Einkauf werden mir die Punkte gutgeschrieben, vollelektronisch - und dann: brumm, brumm. Ein Traum. Bis ich mir die Details durchlas.
Für 1699 Treuepunkte kriege ich eine mehrteilige Küchenreibe. Für 3100 Punkte ein Handyladegerät. Und für 200 Punkte eine Udo-Jürgens-DVD, ich muss nur noch 7,99 Euro zuzahlen. Die Vespa wird etwas teurer, sie ist für genau 300 000 Treuepunkte zu haben. Gut gelaunt rechnete ich durch: Einen Treuepunkt gibt es für zwei Euro Einkaufswert. Ich muss in meinem Supermarkt also einfach nur … 600 000 Euro ausgeben.
Seitdem überlege ich, wie ich das anstellen soll. Ich kaufe dort normalerweise für ungefähr 70 Euro in der Woche ein. Also noch 8571 Wochen, und die Vespa gehört mir. Das sind 164 Jahre. Nein, so wird das nichts. Ich muss das Ganze beschleunigen: Angenommen, ich lebe noch 40 Jahre, dann muss ich jede Woche viermal so viel wie bisher einkaufen. Ich sehe mein Wohnzimmer vor mir, bis unter die Decke voll mit Obstkisten, Brotlaiben, Bierkästen, Tiefkühlgerichten, Schweinehälften. Das funktioniert nicht. Außerdem kriege ich dann die Vespa erst in 40 Jahren. Wer weiß, wie teuer bis dahin das Benzin ist!
Ich habe im Supermarkt mal gefragt, was die gesamte Menge an Waren, die sie bereithalten, auf einmal kosten würde. Konnten sie mir nicht genau sagen, aber sie meinten, für 600 000 Euro müsste ich den Laden wohl vier bis fünf Mal leerkaufen. Nur bringe ich das Zeug ja kaum nach Hause, so ohne Vespa. Nein, ich muss gezielt vorgehen.
Ich könnte edle Weine kaufen. Die teuerste Flasche in meinem Supermarkt kostet knapp 40 Euro. Macht 15 000 Flaschen. Ich wäre für den Rest meines Lebens rotzbesoffen. Was haben die sonst Teures im Angebot? Frischen Fisch … lieber gar nicht darüber nachdenken, 30000 Saiblinge gestapelt zu Hause, nein. Vielleicht lieber die kleine Lösung: 600 000 Tafeln Schokolade. Wäre durchaus nach meinem Geschmack. Aber wenn ich jeden Tag eine essen will, muss ich 1684 Jahre alt werden. Und Schokolade, die etwas länger liegt, wird mehlig. Das mag ich nicht so.
Die ganze Idee mit den Treuepunkten schafft nur logistische Schwierigkeiten. Dabei gibt es sie bei allen Supermarktketten, Kaufhäusern, Online-Händlern. Überall soll ich Herzen sammeln, Punkte horten, Bonusmarken in Bonusmarkenhefte kleben. Die Marketingleute haben es geschafft, die alte Rabattmarke von ihrem miefigen Image zu befreien: Sparen, Prämien, alles total sexy jetzt. Die Punkte sind so beliebt, dass sie sogar bei Ebay gehandelt werden. Oder wie die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen mitteilt: »Mittlerweile reichen viele Kunden ihre Treuepunkte wie eine Horde Bonobo-Schimpansen weiter.« Unerhört.
Dabei sollen die Prämien oft nicht viel taugen. Kritiker schimpfen, man bekomme nur minderwertige Kochtöpfe, unscharfe Messer und Billigschrott. Möglicherweise ist sogar die Udo-Jürgens-DVD nicht besonders gut, kaum auszudenken. Und jetzt hat auch noch das Team der ZDF-Sendung Wiso rausgefunden, dass die meisten Prämien im Direktkauf, ganz ohne Treuepunkte, billiger zu haben sind. Was für eine Enttäuschung.
Ein Neurologe hat vor Kurzem allen Ernstes dem Magazin Focus erklärt, »Schnäpp-chenwerbung wirkt in unserem Gehirn wie eine Prise Kokain.« Da fällt mir ein: Ich möchte zwar jetzt nicht extra das Koksen anfangen, aber wenn es bei meinem Supermarkt Drogen gäbe, hätte ich wenigstens die 600 000 Euro schnell zusammen.
Illustration: Rami Niemi