Haben Sie heute früh an Ihre Tablette gedacht? Die Zinkkapsel? Den Blutverdünner? Die Antibabypille? Was Sie halt so schlucken.
Falls nicht, befinden Sie sich in guter Gesellschaft Millionen anderer Menschen. Einer US-Studie zufolge vergessen selbst die überwiegend jungen Frauen, die mit der Pille verhüten, durchschnittlich 4,7 Mal im Monat die Einnahme. Je älter die Patienten werden, desto höher natürlicherweise der Wert. Menschen über 65 verlieren gar die Übersicht über ihren Medizinschrank, nehmen ihre Medikamente zum falschen Zeitpunkt, in der falschen Dosierung oder überhaupt nicht.
Die Weltgesundheitsorganisation hat das Problem in mehreren Studien untersucht und kommt auf abenteuerliche Folgekosten für das gesamte Sozialsystem. Rettung verspricht nun die künstliche Intelligenz: Kein Problem, wenn wir selbst nicht mehr an unsere Tabletten denken - die Tablettenschachteln übernehmen das für uns. In der Pharmaindustrie bricht gerade die Ära des »Smart Packaging« an. In Zukunft werden Schachteln mit eingebauten Chips, Leuchtdioden oder kleinen Lautsprechern Alarm schlagen, wenn wir sie und ihren Inhalt ignorieren.
Vieles auf dem Gebiet wird zwar noch entwickelt, eine erste neue Tablettenschachtel ist aber schon marktreif: ein Pillenspender im Handyformat mit kleinem Bildschirm namens Clyk, der Bayers neue Antibabypille Yaz Flex enthält. Statt die Pille wie früher einfach aus der Packung zu drücken, drückt man jetzt einen Knopf auf dem Spender. Wenn man es vergisst, beginnt der Bildschirm zu blinken und ein Warnton schallt durchs Badezimmer. Sollte man die Pille mehrmals vergessen, erscheint wohl auf dem Bildschirm die Warnung, dass man zur Sicherheit nun bitte noch mit einer anderen Methode verhüten sollte. Seit Mitte des Jahres wird Clyk in Australien getestet, in absehbarer Zeit soll das Gerät auch in Deutschland auf den Markt kommen. Vorbote einer neuen Zeit?
Ähnliche Ideen werden auch von anderen Unternehmen gestestet, zum Beispiel von der US-Pharmafirma Vitality. Deren Pillendosendeckel »GlowCap« leuchtet orangefarben auf und spielt eine Melodie, wenn es Zeit wird, die Tabletten zu nehmen. Ein Chip im Deckel registriert zudem jedes Öffnen und Schließen und kann dem Patienten per Mail oder SMS eine Erinnerung schicken sowie Daten über das Verhalten des Patienten an den Hausarzt weiterleiten. Der finnischen Verpackungsfirma Stora Enso gelang es sogar, eine gängige Durchdrückverpackung so zu konstruieren, dass jede herausgedrückte - oder nicht herausgedrückte - Tablette von einem Chip in der Schachtel registriert wird. Auch diese Schachtel kann Erinnerungen verschicken, einen Arzt verständigen oder Nutzerinformationen an die Datenbank des Pharmaunternehmens senden.
Wenn ältere Patienten dank solcher Erfindungen ihre Medikamente regelmäßig nehmen, lässt sich wenig dagegen sagen. Andere jedoch könnten von dem Gepiepe und Geblinke vor allem genervt sein. Und schließlich stellt sich auch die Frage des Datenschutzes: Chips, die präzise Informationen darüber ins Netz senden, wer wann welche Pille nimmt - bei der NSA kann man es wahrscheinlich kaum erwarten, dass sich die neuen Tablettenschachteln durchsetzen.
(Foto: I like Birds)