Im April 1993 fiel ich bei Tiffany’s an der Fifth Avenue in Ohnmacht, weil ich eine Elster bin – an Schmuckschaufenstern kann ich nicht vorbeigehen, an meinem Badezimmerspiegel hängen sieben glitzernde Ketten, in meiner Wohnung sind überall kleine Schatullen verteilt, deren Inhalt ich kaum trage, den ich aber besitzen will, sogar in meiner immer abfahrbereit gepackten Kosmetiktasche gibt es ein Samtsäckchen mit Ohrringen, Ketten, Ringen, Armkettchen, Fußkettchen, Haarspangen.
Also: Manhattan. Ich zarte 21 Jahre alt und zum ersten Mal überhaupt in New York, erster Tag in der Stadt, Jetlag-gebeutelt, insgesamt ein bisschen zu viel nach oben in den Himmel geschaut wegen dieser unglaublich hohen Häuser, dann in DAS Juwelengeschäft reingelaufen, dreimal um die eigene Achse gedreht, weil, oh mein Gott, weiße Diamanten, blaue Diamanten, rosa Diamanten, zack – bumm. Ich bin einfach umgekippt und irgendwann draußen vor der Tür in den Armen eines baumstarken Security-Typen wieder aufgewacht, der mich sofort fallenließ, als klar war, dass ich doch noch lebte.
Das Ereignis war mir überaus peinlich, gerade vor meinem weltläufigen Begleiter, der grundsätzlich alles, was für mich neu war, schon viel zu oft gesehen hatte. Seitdem wünschte ich, ich wäre eine Frau, die bei Tiffany’s auf gar keinen Fall in Ohnmacht fällt, die elegant und abgeklärt ist und für die Ausnahmesituationen zum Alltag gehören, in dem sie auch noch saugut aussieht. Wenn ich solche Frauen sehe, bewundere ich sie und hätte gern nur eine winzig dünne Scheibe ihrer Attitude. Nicht dass ich mein Arbeiterkindleben irgendwie danach ausgerichtet hätte, so zu werden – mein Job macht mich nicht reich, und ich lebe in einer 60 Quadratmeter großen Sperrholzwohnung in einem historisch schäbigen Hafenbezirk. Aber manchmal, wenn ich ausgehe und weder in pragmatischer Bier-Schnaps-Laune noch in existenzialistischer Wein-Highball-Laune bin, bricht in mir die Sehnsucht aus, Liz Taylor, Isabelle Huppert oder Iris Berben zu sein. Dann möchte ich etwas trinken, das aussieht wie Chanel No 5 – pur, elegant und stark, kompromisslos golden. »Soll sie doch Champagner trinken«, werden Sie jetzt vielleicht sagen, aber ich sage: »Nein, da muss ich aufstoßen, und das finde ich in hohem Maße unelegant.«
Der perfekte Drink für einen extraklassigen Liz-Taylor-Abend ist ein Crystallini. Tequila Reposado und Pfirsichlikör mit Riesling aufgegossen, ein bisschen Zucker dazu und karbonisiertes Zitronenwasser, in einem Shaker mit Eis gerührt und nicht geschüttelt, dann ohne das Eis abgegossen in eines dieser altmodischen Kristallweingläser.
Man möchte sofort den rechten Zeigefinger in die ölige Flüssigkeit tauchen und sie sich hinter die Ohrläppchen tupfen. Man möchte in Milch baden und davor und danach seidene Leopardenkaftane tragen. Man möchte Jünglinge, die einem was erzählen oder zufächeln. Man möchte sehr große, schwere Sonnenbrillen tragen und massives Geschmeide.
Oder: einer guten Freundin aus dem Ruhrpott gegenübersitzen, die schon ihren dritten Gin Basil Smash zischt, und gemeinsam den heiligen Gral der Unternehmensberatung finden, um den ganzen Scheiß jetzt mal von hinten aufzurollen und in spätestens drei Jahren Crystallini aus diamantenen Eimern zu trinken, im Verkaufsraum von Tiffany’s an der Fifth Avenue.