Der Sommer schmeckt nach tausend Dingen

Das Problem an sogenannten Sommerdrinks vom Hugo bis zum Aperol: Streng genommen sind sie nur Vorfreude-Getränke. Wenn der Sommer dann da ist, zählen ganz andere Dinge als Eiswürfel oder Zitronenscheiben.

Foto: Erli Grünzweil

Es ist gar nicht so leicht zu sagen, wie der Sommer schmeckt. Es gab mal eine Werbung, die behauptete, eine bestimmte Eismarke schmecke nach Sommer. In Wahrheit ist es natürlich für jeden etwas anderes, was den Sommer vergegenwärtigt. Ein Geruch, ein Geschmack, ein Ort. In vielen schönen Kinderbüchern ist es die Oma, die den Sommer macht, weil man in den Ferien endlich lange bei ihr sein kann.

Bei mir ist es Holunder. Wie er blüht, riecht und schmeckt. Von Lammsbräu gibt es ein alkoholfreies Bier mit leichter Hollernote. In einem bayerischen Berghotel habe ich Holundersirup mit Sanbitter, Soda und Eiswürfeln als Aperitif getrunken, dazu knisterte das Kaminfeuer. Neulich in Wien lernte ich den Kaiserspritzer kennen, auch ein Holundermischgetränk. Und in der »Velvet Bar« in Berlin gibt es neuerdings einen Holunderdrink mit Gin und Wermut. Der Sommer schleicht sich an. Ab Mai blüht der Holunder. Meine pragmatische Version eines Gläschens Sommer geht so: einen Holunderstrauß pflücken und auf den Esstisch stellen, sich für einen trockenen Weißwein davor setzen, trinken und riechen. Fertig.

Wenn man den Sommer schmecken will, kommt man an Holunder nicht vorbei, so denke ich zumindest immer um diese Jahreszeit. Alles mit Holunder ist mein Sommerdrink. Und genau so ein Missverständnis wie jeder Sommerdrink, der ab März in all den Bars und Cafés ausgerufen wird. Was war das nicht schon alles: Hugo, Lillet Wild Berry. Aperol Paloma, Happy Spritz, Apricot Blue. Wie auch immer. Aber der Sommerdrink ist nur ein Vorfreude-Getränk. Das Ganze funktioniert nur, solange noch kein Sommer ist. Der Sommerdrink ist süß, sommerlich farbig, Eiswürfel klimpern, und eine Fruchtscheibe schwimmt darin. Es ist ein Herbeiwünsch-Getränk. Irgendetwas, was wie Sommer aussieht, so riecht oder so klingt. Und was voller Sehnsucht bestellt wird. Ein paar Sonnenstrahlen, ein Tisch draußen, zwar noch mit Decke und einigermaßen dicken Schuhen, aber: Es geht. Es muss gehen. Wäre doch gelacht. Wir halten das aus, wir ziehen das durch. Alles noch kein Genuss, alles noch ein bisschen aus Prinzip. Ja, in diesem Land kann man so Aperol trinken, wie man Menschen darauf hinweist, dass sie hier ihr Fahrrad nicht abstellen dürfen. Einen Sommerdrink hat man sich verdient – und trinkt ihn, ­während der Sommer mal wieder auf sich warten lässt.

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Auf wackeliger Bildspur rauscht der Sommer in der Ferne vorbei. Aber es ist eben nur ein Vorgeschmack, wie ein Männerparfum auf einem Papierstreifen neben dem Kopfkissen. Die Wahrheit ist: Im echten Sommer hat der Sommerdrink keine Chance. Sein Name ist vergessen. Er kommt nicht an gegen die Abende draußen, die Spannung der nachglühenden Haut, die warmen Blicke. Gegen das schiefe Grinsen auf den ­Gesichtern, alle auf der Hut vor den querschießenden Sonnenstrahlen hinter dem nächsten Baum. ­Gegen das Radeln im Sommerkleid, Haare, die beim Flattern trocknen. Gegen das Abnehmen der Sonnenbrille abends um neun, nur um festzustellen, dass es ja immer noch hell ist. Gegen das wilde Flitzen irgendwelcher Kinder, die man nicht ins Bett bringen muss. Gegen Sand in ­den Sandalen. Eisreste in den Mundwinkeln. Gegen immer Durchzug.

Denn im echten Sommer dann ist jedes Getränk der perfekte Sommerdrink: ein kühles Flaschenbier aus dem Fluss, der wässrige Cappuccino vor dem Ferienhaus, Rhabarberschorle, Wasser aus dem Hahn. So wie dann ein Käsebrot mit Gurke als Abendessen durchgeht. Wie im Kühlschrank nur noch Wassermelone und Feta leben. Wie jedes Essen ein Picknick wird. Im August dann, wenn der Holunder längst verblüht ist.