Es ist ein ikonisches Bild, das ich selbst Hunderte, wenn nicht gar Tausende Male produziert habe. In den eher einsamen Momenten war mir bewusst, was ich da gerade an die kollektive Wand zeichne, in den wilden, lauten Stunden ist es mir erst im Nachhinein aufgefallen, wenn ich dachte: Das war jetzt wieder so ein Gemälde. Entweder eins von Edward Hopper oder eins von Henri de Toulouse-Lautrec.
Hopper: Ein Mensch (oder mehrere, aber doch einzelne Menschen) in einer Bar, an einem Tresen oder an einem einzelnen Tisch, hinter dem Tresen oder vermutlich in der Nähe des Tisches ein zweiter Mensch, dazwischen Stille und irgendwo ein Drink und jede Menge offener Fragen und herumliegender Gefühle.
Toulouse-Lautrec: Die aufgewühlte Boheme in einen beliebigen Raum mit vier Wänden und einem Tresen gestopft, oft das Moulin Rouge, die Tische wurden meist zur Seite geschoben, es wird gelacht und getanzt, es werden Röcke angehoben, es wird sich angefasst, aber mit voller Absicht, dazwischen Lärm, Musik, Stimmen. Keine offenen Fragen, die sind längst im Allgemeinzustand vergangen.
Die Bilder sind deshalb ikonisch, weil sie uns in einem Bedürfnis abholen, das wir alle kennen, das zutiefst menschlich ist, denn Menschen sind soziale Wesen: aufgehoben sein, und sei es nur bei einem einzigen anderen Menschen, dem Barmann, der Barfrau. Selbst Misanthropen dürfen sich, für den Gegenwert eines Getränks, am Tresen aufgehoben fühlen, sie dürfen dort ganz allein schlecht gelaunt sein.
Für mein Aufgehobensein reichen ein Mensch vor und einer hinter der Bar
Ich kenne beide Perspektiven – die vor dem Tresen und die hinter dem Tresen, ich war lange genug Barfrau, um zu wissen, welche Dankbarkeit zwischen zwei einsamen Leuten über den Tresen schwappen kann, in beide Richtungen. In den Toulouse-Lautrec-Situationen, wenn jeder ernsthafte Gedanke auf später oder gleich auf morgen verschoben war, fühle ich mich nicht weniger zu Hause, aber auch nicht mehr. Für mein Aufgehobensein reichen ein Mensch vor und einer hinter der Bar, die ins Bild gestellte Verbindung zweier Biografien gibt mir eine Aussicht, eine offizielle Bestätigung meiner Existenz, einfach weil ich wahrgenommen werde, und auch wenn ich dann ehrlicherweise meistens nur auf ein Getränkeregal oder eine schäbige Urbanität schaue, könnte es vor meinem inneren Auge auch der Atlantik sein, oder eine Straße in Paris – als Möglichkeit.
Ja, ich mag die Hopper-Gemälde sehr, ich bin selbst einer der Nighthawks aus dem berühmten Bild. Neuerdings bekommt Edward Hopper aber Konkurrenz, ich habe eine zeitgenössische Künstlerin entdeckt, die berückende Barszenen malt, voller Licht und Leben und Farben. Das Faszinierende an den dunkel leuchtenden Bildern – Achtung! – nackter, meerjungfrauenartiger Barfrauen mit glühend roten Hochsteckfrisuren, die sie tragen, als wären sie Kronen, ist die Würde der arbeitenden Menschen.
Gäste tauchen nämlich nicht auf, sie spielen schlicht keine Rolle. Die Bilder zeigen nicht etwa den Moment kurz bevor die Bar öffnet, im Gegenteil, die Nacht scheint schon in vollem Gange zu sein, aber sie gehört ganz allein jenen, die sich um die Drinks kümmern, auch mal gemeinsam mit einer zweiten Barfrau oder einem verschämt bekleideten Barmann. Sie sind sich alle selbst genug. Mein liebstes Bild von Sala Lieber ist Zoe (2021), es zeigt die hinreißende Rückseite einer nackten Barfrau vor einem brechend vollen Regal bunter Flaschen und glitzernder Gläser, und ihr Blick aus dem Bild heraus sagt: »Du wärst gern hier, oder? Aber das ist mein Ort.« Eines Nachts möchte ich da trotzdem gern leise an die Tür klopfen, in der Hoffnung, Zoe lässt ihre ehemalige Kollegin rein.