SZ-Magazin: Herr Carr, Sie sagen, das Internet mache uns dumm. Dasselbe wurde vor Jahrzehnten übers Fernsehen gesagt.
Nicholas Carr: Das Internet lässt sich nicht mit dem Fernsehen vergleichen. Die Auswirkungen sind viel weitreichender: Es überträgt vor allem Text und hat deshalb unser Lesen verändert. Wir lesen wahrscheinlich heute mehr als vor zwanzig, dreißig Jahren. Aber es ist nicht mehr das tief eintauchende Lesen, das wir mit dem Buch gelernt haben.
Werden wir in zehn Jahren eine andere Vorstellung von Intelligenz und Bildung haben als heute?
Ich glaube, das ist jetzt schon im Wandel: Wir entfernen uns von dem romantischen Ideal eines Intellektuellen, der intensiv und in Isolation nachdenkt, hin zum Ideal eines Intellektuellen, der Texte überfliegt und sich dabei ständig mit anderen austauscht. Er ist oberflächlich informiert. Aber Isolation macht uns doch nicht schlauer. Bekommen wir nicht unsere besten Einfälle im Austausch mit anderen?
Die Geschichte lehrt, dass der einsame Schriftsteller bessere Werke schafft.
Wer ist denn Ihr Lieblingsschriftsteller?
Ich mag zum Beispiel James Joyce sehr gern und den amerikanischen Dichter Robert Frost.
Könnten die heute noch ihre Romane und Gedichte schreiben?
Ich glaube, es wäre viel schwieriger, sie zu schreiben – und auch schwieriger, sie zu veröffentlichen. Immer weniger Menschen wollen solche Werke lesen.
Warum darf die Jugend nicht selbst entscheiden, was sie interessiert?
Das ist keine Generationenfrage. Das Internet hat auf junge Menschen denselben Effekt wie auf ältere. Wenn wir es nutzen, verdrahten wir im Grunde unser Gehirn neu, sodass wir sehr schnell und sehr oberflächlich denken. Unser Denken verflacht, und das dauerhaft: Neurologische Studien beweisen, dass die Auswirkungen eines Mediums nicht aufhören, wenn wir es ausschalten.
Wie bewahren Sie sich denn Ihre Intelligenz?
Ich gehe offline.
Es ist also eine Frage der Selbstdisziplin.
Nein. Viele Menschen können ihren Konsum nicht reduzieren. Ich zum Beispiel bin selbstständig. Ich könnte nicht einfach für sechs Monate den Computer ausschalten – dann wäre ich arbeitslos. Und den meisten Menschen geht es genauso.
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Nicholas Carr gilt seit seinem Artikel Is Google Making Us Stupid (erschienen in The Atlantic, 2008) als einer der führenden Kritiker des Internets. Im Juni erscheint sein neues Buch The Shallows. What the Internet Is Doing to Our Brains.
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Illustration: Christoph Niemann