Natürlich ist es verwerflich, einen Mitmenschen über den Tisch zu ziehen – vor allem, wenn er doch nur seinem Beruf nachgeht. Aber was, wenn dieser Mitmensch von Beruf professioneller Betrüger ist? So viel zur moralischen Dimension des Internet-Spiels »Scambaiting«, das in den USA seinen Ursprung hat und auch bei uns zunehmend populär wird. Ansonsten reicht eine E-Mail-Adresse – und los geht’s.
Zunächst gilt es, einen geeigneten Mitspieler zu finden. Kein Problem, die meisten Besitzer eines Internet-Anschlusses haben schon mal eine Mail nach folgendem Strickmuster erhalten: »Geliebter Freund, ich leide seit Jahren an Krebs. Meine Ärzte sagen, ich werde die nächsten zwei Monate nicht überleben. Ich habe all meinen Besitz verkauft und die Summe von 10,2 Millionen Dollar bei einer Sicherheitsfirma hier in der Elfenbeinküste untergebracht. Es ist mein letzter Wunsch, dieses Geld in ein Unternehmen Deiner Wahl zu investieren. Der Gewinn soll jedes Jahr an Wohltätigkeitsorganisationen verteilt werden, und 20 Prozent an Dich.« Der Absender dieser Mail, das ist unser Mitspieler. Auf Englisch nennt man ihn Scammer, also Betrüger, weil er sich mit seinen Lügenmärchen das Vertrauen argloser Menschen erschleicht, um ihnen anschließend Geld abzunehmen. Meist operiert er von Afrika aus und tritt auch gern als Diktatorenwitwe, UNO-Mitarbeiter oder Angestellter einer Lottofirma auf, um Erbschaften, Gewinne und sonstige hohe Geldsummen zu versprechen.
Wer auf eine Scam-Mail antwortet, wird früher oder später mit der Bitte konfrontiert, doch irgendwelche Zollgebühren, Bestechungsgelder und Abgaben zu begleichen. Es gibt tatsächlich Menschen, die auf diese Tricks hereinfallen, und darin besteht die Legitimation für das Spiel: Wenn der Betrüger durch Scambaiting abgelenkt ist, kann er keine anderen Menschen betrügen. Also legt man einen Köder aus: »Geliebter Freund, vielen Dank für Ihre unerwartete E-Mail. Mein verstorbener Mann hatte ein großes Unternehmen, ich bin nur eine einfache Hausfrau. Ich will gern helfen, werde aber Ihre Hilfe brauchen.«
Die hohe Kunst des Scambaitings besteht darin, den Betrüger nun in einen möglichst langen, sinnfreien Dialog zu verwickeln, ohne dass er misstrauisch wird. »Stellen Sie dumme Fragen, missverstehen Sie alles, was in der E-Mail des Betrügers zu missverstehen ist, bitten Sie ihn, bedeutungslose Dokumente zu unterschreiben«, rät ein Internet-Forum, in dem Spieler aus aller Welt ihre Erfahrungen austauschen. Besonders gut kommt es an, wenn man sich als reicher Mensch ausgibt, der immer noch mehr will. Dieser Typus entspricht genau dem Beuteschema der Betrüger, sie werden nun alle Register ziehen.
Einige Spieler berichten, sie hätten ihr Gegenüber dazu bewegt, Hotelzimmer für Gäste zu buchen, die natürlich nie kamen. Manche Betrüger ließen sich auf Wunsch der Scambaiter auch in sehr skurrilen Posen fotografieren, nackt auf der Toilette oder mit eintätowiertem Namen des vermeintlichen Opfers auf der Schulter. Davon zeugen Bilder in einschlägigen Internetforen wie 419eater.com.
Da man es – bei allem Spaß am Spiel – mit Kriminellen zu tun hat, ist Vorsicht angebracht. Profis raten, sich eigens eine E-Mail-Adresse zuzulegen und bei der Anmeldung beim Provider keine persönlichen Daten anzugeben, sondern notfalls zu schwindeln. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, meldet sich bei Providern an, die IP-Adressen in den Mails unterdrücken. Dann können die Betrüger, selbst wenn sie technisch noch so beschlagen sind, keinesfalls nachverfolgen, wer sie auf den Arm genommen hat. Natürlich sollte man den Betrügern selbst erst recht keine persönlichen Daten übermitteln. Auch mit wenig Fantasie lassen sich Ausreden finden, warum man gerade keine Kreditkartennummer oder Ausweiskopie schicken kann.
Wer diese Grundregeln einhält, hat nichts zu befürchten. Denn die Anonymität des Internets schützt nicht nur Betrüger, sondern auch alle, die ihnen ins Handwerk pfuschen wollen.
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Illustration: Christoph Niemann