"Ich habe endlich meine Liebe zum Publikum wiederentdeckt"

Steven Spielberg über den neuen "Indiana Jones", das Leben als Vater von neun Kindern und die Frage, warum glückliche Menschen nicht kreativ sind.

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SZ-Magazin: Herr Spielberg, die ersten drei Indiana Jones-Filme gehörten zu den größten Kino-Erfolgen der Achtzigerjahre. Seitdem schien immer klar: Das ist eine Trilogie, das bleibt eine Trilogie.
Steven Spielberg:
… und jetzt gibt’s doch noch einen vierten Teil! Cool, oder?

Für eine bestimmte Generation fühlt sich das an, als fände ein Teil ihrer Jugend plötzlich eine unerwartete Fortsetzung.
Aha, da ahne ich doch was… Was für ein Jahrgang sind Sie? 1970.
Verstehe. Der erste Indiana Jones kam 1981 raus, da waren Sie elf. Und dann hat es Sie voll erwischt. Freut mich!

Wie ist es für Sie selbst, nach all den Jahren plötzlich wieder an einer Stelle weiterzumachen, wo Sie vor so langer Zeit aufgehört haben?
Mir geht’s da genau wie Ihnen! Die Fortsetzung zu drehen war eine extrem nostalgische Erfahrung. Der größte Spaß, den ich hatte seit … warten Sie, wann hab ich Jurassic Park gedreht? 1992. Ja, diese Dreharbeiten jetzt waren der größte Spaß seit 16 Jahren. Muss ich so sagen.

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Was hat sich verändert in diesen 16 Jahren? Wie haben Sie sich verändert?
Das Interessante ist eher, was in der Zwischenzeit mit mir los war. Ich bin jetzt wieder da, wo ich schon mal war – ich habe bei der Arbeit an diesem Film endlich meine Liebe zum Publikum wiederentdeckt.

Wie meinen Sie das?
Sehen Sie, in den letzten 15 Jahren habe ich vor allem ernste Filme gemacht, zum einen über geschichtliche Themen, Schindlers Liste, Der Soldat James Ryan; zum anderen Filme, die sich im weitesten Sinne mit dem Zustand der Menschheit oder mit ihrer zukünftigen Entwicklung beschäftigt haben, Terminal, Minority Report, Krieg der Welten. All diese Filme waren für mich sehr wichtig, als Filmemacher und als Mensch. Ich habe da irgendwie nach meinen Wurzeln gesucht, ich wollte etwas über mich und die Welt erfahren. Aber ehrlich gesagt habe ich es nicht immer geschafft, das Publikum miteinzubeziehen.

Sie meinen, Sie hatten nicht genug Zuschauer.
Zum Teil, ja. Weil es mir in diesen Filmen nicht um Action ging, sondern um, wie soll ich sagen, Beobachtungen. Aber jetzt hatte ich Lust, wieder richtig loszulegen.

Eigentlich haben Sie den Job, den sich Millionen von kleinen Jungs wünschen: Sie dürfen Flugzeuge durch die Gegend jagen, Autos in die Luft sprengen, einen Helden losschicken, der die Bösen verprügelt. Und das Ganze mit einem Budget von 185 Millionen Dollar. Steckt in Ihnen ein kleiner Junge, der manchmal denkt: wow, wenn ich das damals gewusst hätte?
Auf jeden Fall! Das ist ja mit ein Grund, das alles zu machen!

Gibt es Momente, in denen Sie sich in Indiana Jones wiedererkennen? Ist die Figur so was wie ein Ersatz-Steven?
Oh, ich glaube, da würde Ihnen fast jeder Regisseur sagen … na ja, manche würden es vielleicht nicht direkt zugeben. Ich sag’s mal so: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sam Raimi beim Drehen von Spider-Man nicht ab und zu dachte: Hey, eigentlich bin ich der Kerl da oben. Dass Gore Verbinski nicht in der Karibik stand und heimlich dachte: Ach ja, irgendwie ist Johnny Depp als cooler Pirat mir schon ein bisschen ähnlich, oder? Und um ehrlich zu sein – auch diese heimliche Identifikation war ein wesentlicher Grund, Indiana Jones noch mal aufleben zu lassen.

(Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite: "Am meisten identifiziere ich mich vielleicht mit Elliott, dem Jungen aus E.T.")

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Mit welchen Charakteren, die Sie selber in Ihren Filmen geschaffen haben, können Sie sich am besten identifizieren?
Am meisten identifiziere ich mich vielleicht mit Elliott, dem Jungen aus E.T.

Warum mit dem?
Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich noch sehr klein war, meine ganze Jugend war eigentlich eher schwierig. Und diese ganzen Erfahrungen sind beim Schreiben des Drehbuchs in die Figur Elliott geflossen.

Im vierten Teil hat Indiana Jones einen sogenannten Sidekick, den jungen Mutt, dem er seine Erfahrungen mitgibt. Mutt hat also einen starken Helden an seiner Seite. Elliott hat E.T., einen Außerirdischen mit besonderen Kräften. Sieht nach einem Muster aus, oder?
Hm, da haben Sie recht. Das resultiert vermutlich auch aus den Kindheitserfahrungen, die ich gerade angedeutet habe. Aber die Einführung solcher Sidekicks wie Mutt in Indiana Jones hat auch rein handwerkliche Gründe: Es ist einfacher, dem Publikum eine Figur näherzubringen, sie richtig begreifbar zu machen, wenn man ihr eine zweite zur Seite stellt. Man hat ja im Film zur Schilderung von Charakteren nur begrenzte Möglichkeiten. Wenn eine Figur auf der Leinwand steht, steht sie da erst mal. Um Aussagen über ihren Charakter, ihre Haltungen zu machen, muss ich Dynamik erzeugen. Also brauche ich Interaktion. Erst im Austausch mit anderen Figuren wird deutlich: Was ist das für ein Mensch? Wofür steht er? Wie schwierig es ohne Interaktion wird, sehen Sie zum Beispiel an Cast Away …

… der Schiffbrüchigen-Film Ihres Freunds Robert Zemeckis.
Da haben Sie Tom Hanks, der einen Mann auf einer einsamen Insel spielt. Und schon bei der Vorbereitung wurde klar: Wenn er immer nur in den Wind brüllt, entsteht keine Dynamik. Also bekam er auch so eine Art Sidekick – den Volleyball, mit dem er im Wahn redet. Aber selbst dann war es noch extrem schwierig: Was tun mit einem Sidekick, der zwar der Ansprache dient, aber nie reagiert? Das war eine echte Herausforderung. Mehrere Charaktere dagegen erzeugen ein Wechselspiel. Und was Sie im vierten Teil über den Menschen Indiana Jones erfahren, darüber, wie er sich verändert hat mit den Jahren, das erfahren Sie dadurch, wie er mit den Nebenfiguren umgeht, wie er auf sie reagiert.

Ist Filmemachen ein Mittel, um das Kind im Manne am Leben zu erhalten?
Davon war ich immer überzeugt – bis 1985. Dann kam mein erstes Kind auf die Welt. Heute sage ich: Was das Kind in mir am Leben hält, sind meine Kinder. Ganz banal.

Also ist es ganz praktisch für einen Blockbuster-Regisseur, wenn er neun Kinder hat wie Sie.
Absolut! Sie sind ja mein Publikum, ich erzähle ihnen Geschichten und kann ausprobieren, was funktioniert. Aber noch wichtiger ist, dass meine Kinder mich ständig mit den Auswüchsen der Populärkultur konfrontieren. Sie schleppen Musik an, Bücher, Filme. Meine jüngste Tochter hat mich vor einiger Zeit mit Manga-Comics bekannt gemacht.

Konnten Sie damit etwas anfangen?
Es dauert etwas, bis man reinfindet. Aber dann wird es zu einer neuen Sprache. Künstlerische und popkulturelle Ausdrucksformen sind ja so etwas wie Sprachen. Und Kinder lernen Fremdsprachen bekanntlich viel schneller, intuitiver als Erwachsene. Für metaphorische Sprachen gilt das offenbar genauso.

Sie selbst lernen aber auch leicht, oder? Vor Kurzem haben Sie den Actionfilm Transformers produziert, der auf einer erfolgreichen Spielzeugreihe beruhte: Autos, die man in Roboter umbauen kann. In Interviews haben Sie dann begeistert beschrieben, wie die funktionieren und wie Sie Ihre Zeit damit verbringen.
Ja, haha, mit Spielzeug bin ich echt ganz gut.

(Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite: "Ist Ihnen mal aufgefallen, dass Kinder beim Spielen sofort mit dem Kopf auf die Höhe des Spielzeugs runtergehen? Sie verhalten sich genau wie Kameramänner")

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Für einen Mann von 61 Jahren durchaus ungewöhnlich.
Moment! Das lag ja nicht zuletzt daran, dass diese Transformers für meine kleineren Kinder einfach zu kompliziert waren. Ich musste lernen, wie das funktioniert, um es ihnen zeigen zu können. Aber ja, am Schluss habe ich tatsächlich allein daheim Spielzeugautos rumgeschoben.

Ein netter Gedanke.
Aber noch lieber sehe ich meinen Kindern beim Spielen zu! Wenn man Kinder beim Spielen beobachtet, dann merkt man: Wir fangen eigentlich alle als Regisseure an. Alle Kinder inszenieren, alle Kinder dirigieren.

Ihre Spielzeugfiguren, meinen Sie.
Ja, oder ihre Matchbox-Autos oder sogar Holzklötze – sie erzählen damit Geschichten. Damit geht es schon los. Aber ist Ihnen mal aufgefallen, dass Kinder beim Spielen sofort mit dem Kopf auf die Höhe des Spielzeugs runtergehen? Immer mit den Augen direkt über dem Boden. Sie verhalten sich genau wie Kameramänner, sie wollen ein möglichst großes, starkes Bild ihrer Hauptfigur erzeugen. Die Figur im Vordergrund, die Welt außen rum irgendwie passend inszeniert. Und in dem Augenblick, wo das geschieht und man in seiner Vorstellung etwas erschafft, eine neue Realität, wird man zum Regisseur. Nichts anderes mache ich. Mit besserem Equipment.

Was war das Kindlichste, das Sie in letzter Zeit gemacht haben?
Das Kindischste? Sie meinen, das Albernste?

Nein, das Kindlichste. Wann waren Sie am meisten Kind?
Vor Kurzem erst saß ich mit meiner kleinsten Tochter im Garten und ich habe ihr aus einem Kinderbuch vorgelesen. Plötzlich zogen dunkle Wolken auf, richtig riesige, und auf einmal hatten wir den herrlichsten Wolkenbruch. Meine Tochter schrie: Daddy, Daddy, schnell, wir müssen ins Haus! Aber ich habe das Buch unter einen Busch gelegt und gesagt: Nein, jetzt bleib hier bei mir sitzen. Es wird Zeit, dass du mal einen richtigen Regen kennenlernst. Meine Tochter wieder: Nein! Das geht doch nicht, wir werden ganz nass! Darauf ich: Ja! Genau! Lass es einfach mal passieren, das wird dir gefallen! Und es war wirklich wunderbar. Wir wurden nass bis auf die Knochen, innerhalb weniger Minuten. Es war wie ganz früher, als ich noch ein kleiner Junge war. Sie kennen das, oder? Wenn man sich als Kind einfach mal der Wucht eines Platzregens aussetzt, bis wirklich alles um einen herum zu Wasser zu werden scheint.

Und hat Ihre Tochter es auch genossen?
Geht so. Als wir ins Haus zurückkamen, ist sie sofort die Treppe raufgerannt und hat geschrien: Oh Mann, Daddy, jetzt muss ich mich umziehen! Aber ich glaube, man muss überbehütete Kinder ab und zu mal aus ihrem Trott rausholen. Und diese zehn Minuten da draußen im Regen … das waren die besten zehn Minuten der ganzen Woche! Für uns beide.

Sich selbst haben Sie mal als schwächliches Kind beschrieben.
Ja, ich war ein klappriger kleiner Knirps.

Und Sie sind ziemlich rumgeschubst worden.
Von Älteren, ja. Ich war auch ein leichtes Ziel: ein hässlicher Kerl mit einer komischen Stimme und nicht dem geringsten Selbstbewusstsein. So was wie eine positive Selbstsicht habe ich eigentlich erst entwickelt, als ich anfing, mit der Videokamera meines Vaters Filme zu drehen, also mit zwölf, 13.

(Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite: "Ich hatte endlich das Gefühl: Hey, es gibt da einen Platz für dich in dieser viel zu großen Welt")

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Bis dahin waren Sie ein unglückliches Kind. Sagen wir: ein verkrampftes Kind. Unlocker.

Viele Künstler, ob Regisseure, Autoren oder Musiker, sagen, Unglück sei eine wesentliche Voraussetzung für die Erschaffung großer Kunst. Anders gesagt: Glückliche Menschen sind nicht kreativ.
Weil sie zu bequem sind. Ja, kann sein. Ich bin kein Psychologe, ich wage da keine generellen Schlüsse, aber in meinem Fall kann ich sagen: Ich musste Selbstvertrauen finden, und dabei hat mir die Kamera geholfen. Auf einmal haben Leute positiv auf mich reagiert! Ich habe meine kleinen Filme der Familie gezeigt, den Nachbarn – und sie haben sich amüsiert, sie haben mir sogar applaudiert. Das gab mir Kraft. Ich hatte endlich das Gefühl: Hey, es gibt da einen Platz für dich in dieser viel zu großen Welt. Insofern ist vielleicht was dran an der Unglückstheorie – vielleicht entsteht Kunst aus der Suche nach einem Platz in der Welt.

Gerade haben Sie von Ihren ersten Filmversuchen mit zwölf gesprochen. Das heißt, Sie machen jetzt seit fast fünfzig Jahren Filme.
Tja. Ja. Puh.

Was haben Sie in diesen fünfzig Jahren Filmarbeit über sich selbst gelernt?
Um diese Frage beantworten zu können, müsste ich mir alle Filme noch mal sehr genau ansehen. Irgendwo wäre da die Antwort sicher zu finden. Filme sind ein hervorragendes Mittel, sich selbst als Mensch einzuordnen. Im Grunde geht es ja nicht nur darum, einem Publikum zu zeigen, was man gerade denkt oder womit man sich beschäftigt, sondern auch darum, sich selbst erst mal klar zu werden, was man eigentlich so denkt. Filmemachen ist oft so etwas wie Selbstanalyse. Es fließt immer viel Persönliches in die Filme ein, das hatten wir ja vorhin beim Beispiel Elliott. So gesehen ist jeder Film eine Zeitkapsel. Jeder meiner Filme markiert einen bestimmten Zeitpunkt in meinem Leben. Und zeigt mir, was für ein Mensch ich zu genau der Zeit war, als ich ihn drehte.

Wie ein Tagebuch. Mit extrem vielen Lesern.
Ja, oder wie ein Fotoalbum.

Also dann: Was ist das Wertvollste, was Sie in all den Jahren des Filmemachens über sich selbst gelernt haben?
Dass ich irgendwie dann doch ein ganz schön zäher Bursche bin. Ich besitze die wirklich gut entwickelte Fähigkeit, sofort wieder auf die Füße zu kommen, wenn ich stolpere.

Ganz hilfreich, wenn man ständig die Verantwortung für Millionenprojekte hat.

Ja! Aber ganz genau dadurch lernt man es eben auch. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege…

Ja?
Eigentlich entwickelt man diese Fähigkeit noch viel mehr dadurch, dass man eine große Familie hat. Als Vater stolpert man ständig, man lernt ja alles erst, während es geschieht. Und, Mann, da muss man wirklich ganz schnell wieder aufstehen!

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