Der Fotograf und Künstler Hans-Peter Feldmann, wie er sich am liebsten sieht: gar nicht.
Düsseldorf, Friedrichstadt, eine Einkaufsstraße jenseits der »Kö«. Wir gehen an einer Eisdiele vorbei, als die Kollegin aus den USA plötzlich sagt: »Sitzt da nicht Hans-Peter Feldmann, dort, in der hinteren Reihe?« – »Selbstverständlich«, antworte ich, »er wohnt ja nur fünf Minuten weg von hier.« Häufig kann man ihm in der Eisdiele begegnen, und er tut dort das, was er am besten kann: Er sieht, er beobachtet – die Menschen, ihre Gegenstände, ihre Umgebung. Ein paar Schritte weiter gibt es einen Fotoladen, und ich muss daran denken, wie Feldmann letztes Jahr in einem Interview auf die Frage »Welche Kameras benutzt du? Alte? Neue?« reagiert hat: Er ant-wortete mit dem Foto eines altertümlichen Demonstrationsmodells der menschlichen Augenbewegung – ohne Worte.
Diese beredte Wortlosigkeit überraschte schon bei seinen frühen Arbeiten um 1970 in Form kleiner Heftchen, die auf der Graupappe ihres Umschlags nur soundsoviele BILDER ankündigten, und darunter, genauso lapidar, FELDMANN, als handle es sich um eine Firma oder eine Person, die zur Redewendung geworden ist. Das Understatement fiel selbst im Rahmen der Konzeptuellen Kunst auf, die die Entmythologisierung des Künstlers schon weit getrieben hatte. Wenn FELDMANN im Innentitel dann noch mit Vorname, Postleitzahl, Ort, Straße und Hausnummer erscheint, ist das Eintauchen in die Realwelt von Handel und Dienstleistung beinahe perfekt – lange bevor daraus eine künstlerische Strategie gemacht wurde.
Schließlich folgt nüchtern und ehrlich das, was versprochen wurde, eine bestimmte Anzahl von Bildern, genauer: von Fotos. Die Frage, ob die Aufnahmen von ihm selbst gemacht, in seinem Auftrag hergestellt oder von ihm »nur« ausgewählt worden sind, stellt sich nicht. Was zählt, sind die Bilder selbst, das, was auf ihnen zu sehen ist (aber natürlich auch das Format, die Platzierung, die Reihenfolge). Schon in diesen frühen Heften öffnet sich das Panorama der alltäglichen Blicke, Wünsche und Mikrobegebenheiten, das für den Künstler bis heute typisch geblieben ist: Allerweltsgegen-stände, Familienfotos, Autos, Kleidungsstücke, aber auch das kleine Flugzeug, das über den weiten Himmel zieht. Und nicht zu vergessen (siehe dieses Heft!): Frauen. Erotik zieht sich nicht nur durch Feldmanns Motivschatz – das Minirockmädchen in der Telefonzelle, die ungemachten Betten, Pornografisches mal privat, mal professionell –, für ihn ist Sehen und Beobachten und als dessen »Resultat« das Bild etwas, was der Erotik zutiefst verwandt ist.Ein ständig vorhandener Unterton des Lebens, ein wundervoll verwobenes Geflecht von Tatsachen, Reizen und Wünschen und nicht zuletzt ein soziales Interesse.
Das Understatement (und auch die lächelnde Unabhängigkeit vom Kunstbetrieb) ist geblieben, auch wenn Feldmann seinen zeitweisen Rückzug aus der Kunst Gott sei Dank wieder aufgegeben hat. Sein Bilder-Engagement mit der Welt aber hat sich enorm ausgeweitet. Selbst das Quasi-Enzyklopädische scheut er nicht, wenn er »Eine Firma«, »Graz« oder »Die Toten« (der APO, der RAF usw.) in den Blick nimmt. Und gibt es ein umfassenderes (und anrührenderes) Bild vom ganz normalen Leben als die einhundert Fotos von Menschen zwischen ihrem ersten und hundertsten Lebensjahr aus dem Umfeld des Künstlers? Hinzugekommen sind auch Objekte, alltägliche und kuriose, manches zu Assemblagen arrangiert, nicht weil es das Kunstgebot will, sondern weil es die Menschen halt so machen, um ihren Bilder- und Traumhaushalt in den Griff zu bekommen.
Hans-Peter Feldmann ist einer der wichtigsten und beiläufigsten, das heißt nachhaltigsten Realisten von heute. Er findet seine Beute jeden Tag, indem er auf die Welt hinausblickt, ihr ein paar Bilder entwendet und sie uns zu sehen gibt. Was sagte die amerikanische Kollegin damals vor der Eisdiele noch? »He truly understands pictures, and us.«