»Er konnte gefährlich sein, weil er die Menschen mit sich selbst konfrontierte«

Joseph Beuys veränderte die Kunst für ­immer. Was machte ihn als Menschen aus, und warum wirkt sein Werk bis heute nach – auch ­politisch? Am 12. Mai jährt sich sein  Geburtstag zum 100. Mal. Weggefährten und Künstlerinnen ­erinnern sich an eine ganz und gar außergewöhnliche Persönlichkeit.

Künstlerpose: Joseph Beuys mit Axt und typischer Kluft – Hut, Hemd, Anglerweste – 1970 in seiner Wohnung in Düsseldorf-Oberkassel.

Joseph Beuys in seiner Düsseldorfer Atelierwohnung, 1970 © Archiv Robert Lebeck

Johannes Stüttgen (Künstler) Beuys sagte: »Wer den Tod nicht kennt, der weiß nicht, was Denken ist.« Der Tod ist ja eine Schwelle. Und Beuys sagte das so, dass ich den Eindruck hatte, der spricht von der anderen Seite, von einem Punkt jenseits der Schwelle aus.

Lothar Schirmer (Verleger, Kunstsammler) In einem Interview erzählte Beuys, dass er eigentlich ein Zwilling war. Der andere sei gestorben bei der Geburt. Da dachte ich, die Nähe zur Todeserfahrung könnte daher kommen. Und auf der Krim im Zweiten Weltkrieg passierte das Gleiche, der Pilot der abgestürzten Stuka, in der er Funker war, kam zu Tode.

Walter Dahn (Künstler) Beuys schien nicht die geringste Angst vor dem Tod zu haben. Er sagte ja, ich bin schon so oft gestorben, was soll mir da noch passieren? Wahrscheinlich waren damit dieser Flugzeugabsturz gemeint, seine schwere Krise Mitte der Fünfzigerjahre, die ersten Misserfolge und der hohe Anspruch gleichzeitig. So gut wie tot haben ihn Freunde damals aus seinem Atelier in Heerdt getragen.

Bazon Brock (Kunsttheoretiker) Beuys wohnte dann bei Freunden, den van der Grintens in Kleve. Mutter van der Grinten war eine gute Psychologin, hat sofort erkannt, worum es sich handelt – den Konflikt zwischen seiner Befangenheit in der kulturellen Schwärmerei im Dritten Reich und die Einsicht, dass das katastrophal gescheitert ist. Sie sagte, arbeite auf dem Feld wie der normale Mensch, dann weißt du, dass du dich auf deinen Körper verlassen kannst. Du musst den Konflikt annehmen und die Kunst ist die beste Art, mit prinzipiell unlösbaren Problemen umzugehen.

Klaus Rinke (Künstler) Beuys wollte nach dem Krieg zuerst Botaniker werden. Einmal hat er mich daheim besucht. Da gab es eine alte Schuttkippe mit viel Unkraut. Er kannte jedes Unkraut mit lateinischem Namen.

Eugen Blume (Kunsthistoriker) Sein Vater wurde Mitte der Fünfzigerjahre mit ihm in Nervenkliniken vorstellig. Die Depression war ein schwerer Einbruch, schließlich hat Beuys sich aufgegeben und wollte nur noch den Tod. Befreit hat er sich aus dieser Krise mit Hilfe der Kunst. Er hat die ganze Zeit gezeichnet und schließlich 1958 sein Projekt Westmensch in vier Heften entwickelt, was der Beginn seiner Sozialutopie war.

Klaus Rinke Beuys und Erwin Heerich haben als Studenten an der Akademie Düsseldorf bei ihrem Lehrer Ewald Mataré gearbeitet, um Geld zu verdienen. Zum Beispiel halfen sie ihm bei den Bronzetüren des Kölner Doms und dem Taubenbrunnen davor. Da gibt es einen Engel, der Mataré zugeschrieben wird, den Beuys ganz alleine gemacht hat. Die Akademie in Düsseldorf war die erste Kunstschule in Deutschland, die nach 1945 wieder aufgemacht hat. Es gab zwei große Granatschusslöcher, die durch alle Etagen gingen. Man konnte Bier runterreichen an einem Strick. Morgens hieß es für die erste Generation um Beuys und Heerich studieren, nachmittags mussten sie Steine klopfen. Deshalb hing der Beuys später so an der Akademie – er hatte sie buchstäblich mit aufgebaut.