Ganztagsjob, zwei Kinder, kein Mann

Im SZ-Magazin haben wir vor einigen Wochen über den harten Alltag einer alleinerziehenden Mutter berichtet. Daraufhin bekamen wir einen empörten Leserbrief von Gabi T., die schrieb, dass sie es als Mutter viel schwerer hat. Wir haben sie besucht.

Von ihrer »blanken Wut« hatte sie geschrieben. Davon, dass sie sich durch den Artikel »verarscht« vorgekommen sei, aber nun, in der Küche ihrer Wohnung in München-Perlach, ist von dieser Wut nichts mehr zu spüren. Gabi T. lächelt, auf dem Tisch steht ein Teller mit Krapfen, dazu gibt es Cappuccino. Ein paar Tage zuvor, am Telefon, war sie überrascht gewesen, dass wir uns wegen ihres Leserbriefs, den sie uns geschickt hatte, bei ihr meldeten. Gabi ist es nicht gewohnt, dass man ihre Briefe ernst nimmt, zu viele hat sie schon geschrieben: an die Staatsanwaltschaft München, an die Anwältin ihres Ex-Freundes. Und auch an Christian Ude, den Münchner Oberbürgermeister.

In den Briefen erzählt sie, dass sie alleinerziehende Mutter ist, sie erzählt von ihrem Job, und dass das Geld am Ende des Monats trotzdem kaum reicht. Manchmal droht sie auch, sich arbeitslos zu melden, so wie die Väter ihrer beiden Söhne es getan haben. Wenn überhaupt, hat sie Floskeln zur Antwort bekommen.

Kurz vor Weihnachten hatten ihr dann Kollegen einen Artikel aus dem SZ-Magazin gezeigt, in dem das schwierige Leben einer Frau beschrieben wird, die zwei Kinder hat und alleinerziehend ist, sie heißt Daniela. Gabi, 45, ist auch alleinerziehend und hat zwei Kinder. Deshalb hat sie der Artikel aufgeregt. Und darum schrieb sie wieder einen Brief und fragte, warum wir nicht einmal sie besuchen würden, um ihre Situation zu schildern.

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»Ich habe halt nicht verstanden«, sagt sie nun, »warum diese Mutter in dem Artikel jammert, obwohl sie 1100 Euro im Monat zum Leben hat, und gleichzeitig 530 Euro für die private Kita ihrer Tochter ausgibt.« Gabi kennt die Zahlen aus dem Artikel auch heute noch genau. Sie hat sich daran gewöhnt, in Zahlen zu denken, zu rechnen und zu vergleichen.

1800 Euro netto verdient Gabi im Monat. Sie arbeitet Vollzeit als Schreibkraft im öffentlichen Dienst. Nach Abzug der Miete, der Kosten für Wasser, Strom und Telefon, der Versicherungen, GEZ-Gebühren und Schulkosten für ihren jüngeren Sohn Stefan*, 13, bleiben ihr 550 Euro zum Leben. Sie zeigt eine Tabelle: Einnahmen links, Ausgaben rechts, und auch ihre Gehaltsabrechnungen. Gabi ist es wichtig, dass man weiß, sie ist ehrlich.

* Namen von der Redaktion geändert.

Aufgewachsen ist Gabi in der Au, ein ehemaliges Münchner Arbeiterviertel gleich neben der Isar. Ihr Vater starb früh, ihre Mutter musste die kleine Familie allein versorgen. Nach dem Hauptschulabschluss machte Gabi eine Ausbildung als Arzthelferin, zog in den Osten der Stadt nach Perlach, wo die Häuser grauer, aber die Mieten günstiger sind. Mit 25 lernte sie Bernd* kennen. Nach sechs Monaten war sie schwanger, eineinhalb Jahre später alleinerziehend. Damit begann der Ärger. Denn alleinerziehend bedeutet fast immer Ärger, mindestens finanziell.

Von den rund zwei Millionen alleinerziehenden Frauen in Deutschland lebt heute jede Dritte von Arbeitslosengeld I oder Hartz IV. Und von den zwei Dritteln, die arbeiten, verdienen fast 75 Prozent weniger als 2000 Euro netto im Monat, so wie Gabi auch. Bei Ehepaaren mit Kindern haben nur 17 Prozent so wenig Geld zur Verfügung.

Die entscheidende Frage beantworten die Statistiken jedoch nicht: Wer ist schuld an der Misere?

Der Staat, weil er Alleinerziehende fast wie Singles besteuert und es versäumt hat, ausreichende Betreuungsangebote für Kinder bereitzustellen, damit die Mütter wieder arbeiten gehen können? Die Unternehmen, weil sie Alleinerziehenden ohnehin selten eine Chance geben, und somit für die meisten nur schlecht bezahlte Aushilfsjobs bleiben? In Gabis Geschichte erinnert die Antwort daran, was auch schon Daniela erzählt hat, die andere alleinerziehende Mutter: Es liegt sehr häufig an den Männern.

Ein gutes Jahr, nachdem Gabi mit Bernd zusammengekommen ist, wird ihr gemeinsamer Sohn Thomas* geboren, »ein Wunschkind«. Es ist Februar 1990. Bernd und Gabi sind verliebt, sie sprechen vom Heiraten und einem zweiten Kind, im Oktober aber verschwindet Bernd plötzlich. »Das war wie im Film«, sagt Gabi. »Er ging Zigaretten holen und kam nicht wieder.« Bis heute weiß sie nicht genau, warum Bernd ihren Sohn und sie verlassen hat. Seitdem hat sie mit ihm nur über ihren Anwalt Kontakt gehabt.

Sie hat ihn angezeigt wegen Verletzung der Unterhaltspflicht. Knapp 32 000 Euro hätten ihrem Sohn Thomas zugestanden, bis er 18 Jahre alt war. Bernd hat ein bisschen mehr als 1400 Euro bezahlt. Wie das Jugendamt München berechnet hat, fehlen am Ende 30 349 Euro und ein Cent. Deutlicher kann man es nicht sagen, selbst wenn man die rund 9000 Euro Unterhaltsvorschuss davon abzieht, die das Jugendamt für Thomas vorgestreckt hat. Für maximal 72 Monate übernimmt der Staat für Väter, die nicht zahlen können oder nicht zahlen können wollen. Dass dies keine Seltenheit ist, belegt die Statistik: 2007 haben die Jugendämter in rund 500 000 Fällen Vorschuss geleistet, das heißt, den Unterhalt für jeden vierten Vater bezahlt.

Das Verfahren gegen Bernd wird am Ende eingestellt. Der Beschuldigte sei nicht leistungsfähig, sagt die Staatsanwaltschaft. Der gelernte Kaufmann hat sich arbeitslos gemeldet.

Den Vater von Stefan, ihrem jüngeren Sohn, lernt Gabi beim Tanzen kennen, im April 1994. Sie arbeitet inzwischen in der Verwaltung eines Krankenhauses, ihr Sohn Thomas geht in den Kindergarten, ganztags. Kurz nach Stefans Geburt 1996 geht jedoch auch diese Beziehung kaputt, und was danach folgt, kennt sie schon: Mal zahlt der Vater Unterhalt, mal zahlt er nicht. Das Jugendamt springt wieder ein. Am Ende zeigt Gabi auch diesen Ex-Freund an. Letzter Stand im Streit ums Geld: Am 31. Januar 2010 erhält Gabi einen Brief vom Jugendamt über den vorläufigen Unterhaltsrückstand: 3284,74 Euro.

Nun könnte man sagen: Gabi und Daniela sind selber schuld, sie haben sich einfach die falschen Männer ausgesucht, so haben es uns einige Leser nach dem Artikel über Daniela geschrieben. Liest man Gabi diese Briefe vor, bittet sie einen Satz wörtlich zu zitieren, der ihr sehr wichtig ist: »Man sollte nicht vorschnell urteilen, es gibt im Leben nichts, was einem nicht selbst passieren kann.« Und noch etwas liegt ihr am Herzen: Es solle sich nicht so anhören, als ob sie über ihre Situation jammere, denn Jammern mag sie nicht, das mochte sie noch nie.

»Ich habe auch wahnsinniges Glück im Leben gehabt.« Gabi hat drei Bewerbungen geschrieben und drei Jobs bekommen und ihre Söhne Thomas und Stefan ohne Warteliste einen Kindergartenplatz. Ihr Trockner hält jetzt schon seit 15 Jahren, sie hatte noch nie einen Autounfall, und wenn es mal knapp wird mit der Zeit oder dem Geld, hilft ihr ihre Mutter, soweit sie es kann. Finanziell unterstützt sie auch ihr älterer Sohn Thomas, 19, der bei ihr wohnt, und gerade eine Ausbildung zum Elektrotechniker macht. Hundert Euro im Monat zahlt er von seinem Lehrlingsgehalt in die Haushaltskasse ein. Zu Weihnachten hat er ihr eine Espressomaschine geschenkt.

Viel vermisse sie nicht, sagt Gabi: weder das Schuhekaufen noch die Ur-
laube, noch das Einkaufen auf dem teuren Viktualienmarkt. Luxus sei für sie ein gemeinsamer Playstation-Abend mit den Kindern oder ein Besuch bei McDonald’s nach einem Sonntagsspaziergang. Doch selbst dafür sei das Geld manchmal zu knapp. Wenn ihr jüngerer Sohn Stefan zum Beispiel eine neue Brille braucht, wenn also Extra-ausgaben die Familie belasten. Deshalb regt sie sich auf, deshalb setzt sie sich abends nach der Arbeit hin und schreibt Briefe.

»Kann es richtig sein«, fragt sie zum Beispiel Oberbürgermeister Christian Ude, »dass ich arbeite, Geld verdiene und nicht dem Staat auf der Tasche liege und die Väter sich einfach mit Nichtarbeiten vom Staat einen tollen Tag bezahlen lassen? Es muss doch eine Möglichkeit geben, die Väter zu Zahlungen zu zwingen bzw. zum Arbeiten zu verdonnern (…). Vielleicht sollte ich auch etwas kürzertreten und Sozialhilfe beantragen und auch etwas schwarzarbeiten, denn dann würde es meinen Kindern besser gehen.«

Die Antwort erhielt sie aus dem Büro der damaligen bayerischen Familienministerin Christa Stewens: »Eine Verpflichtung zu arbeiten, um damit Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen, besteht in der Bundesrepublik nicht. (…) Es tut mir leid, dass ich Ihnen erneut keine konkrete Hilfe anbieten kann. Ich hoffe jedoch, dass es Ihnen gelingen wird, Ihre schwierige Situation zu meistern.«

Gabi ist nicht wütend auf Daniela aus dem Artikel im SZ-Magazin. Sie ist nicht wütend auf andere alleinerziehende Mütter, die vielleicht mehr Geld haben als sie. Sie ist wütend, dass ihre Kinder ihr Recht nicht bekommen und sie nichts dagegen tun kann.


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Wie kann man Väter dazu bewegen, den Unterhalt für ihre Kinder zu zahlen? Darüber diskutierten auch Gabi T. und Christoph Cadenbach. In Deutschland
haben die Behörden nur sehr begrenzte Möglichkeiten, Druck auf säumige Väter auszuüben. In anderen Ländern stehen – zumindest per Gesetz – drastischere Druckmittel zur Verfügung: In England zum Beispiel darf zahlungsunwilligen Eltern der Führerschein oder Reisepass abgenommen werden. In den USA ist es in manchen Bundesstaaten erlaubt, Autos zu beschlagnahmen und im Notfall zu versteigern. Und in Estland kam die Regierung zuletzt auf die Idee, die Namen von Vätern, die mit hohen Summen im Rückstand waren, obwohl sie Arbeit hatten, im Internet zu veröffentlichen.

Foto: Ralf Zimmermann; Stephanie Füssenich