Habemus Party

Erst war WM, dann kam der Papst zu Besuch, jetzt wird auf dem Oktoberfest weitergefeiert. Ein Plädoyer gegen die grenzenlos undifferenzierte Amüsierwut der Katholiken.

Komisch, der Papst war da, und ich bin missgestimmt. Na gut, man ist ja auch nur ein mittelfränkisch-protestantischer Agnostiker, so einen geht der Papst gleich dreimal nichts an. Nur, als dieser Mann zum Papst gewählt wurde, da war ich froh gestimmt. Schlimmer noch: Als der Kardinal für dieselben Medien, die jetzt wie besoffen um ihn herumtorkeln, noch der erzböse Großinquisitor war, und die Meute zuverlässig laut aufschrie, wenn aus Rom mal wieder eine weltfremde Direktive kam, habe ich unter dem Gelächter meiner intellektuellen Freunde den Kardinal und seinen polnischen Papst immer trotzig als die letzten Pfeiler im Sumpf der orientierungslosen westlich-libertären Anything-goes-Gesellschaft verteidigt. Später beobachtete ich die irritierten Gesichter meiner Freunde, als sich plötzlich deren Hausheiliger – Jürgen Habermas – ausgerechnet mit diesem Panzerkardinal zusammen- und auseinandersetzte, und dabei herauskam, dass beide, obwohl sie irgendwie Antipoden sind, vielleicht etwas Gemeinsames zu verteidigen haben, nämlich die westliche Wertegemeinschaft gegen die westliche Wertpapiergesellschaft und deren Mantra »Erlaubt ist, was sich rechnet«. Und jetzt: Während meine barocken Landsleute aus dem Süden nach ihrer geistlichen Zurüstung auf dem Islinger Feld die Kurve zur leiblichen Stärkung auf der Münchner Wiesn nehmen, entfacht der Papstbesuch in mir solch ein Gebrodel, dass an Bier und Hendl nicht zu denken ist. Katholik müsste man sein. Der hockt jetzt erwartungsfroh im Oktoberfestzelt und hofft, dass die enthemmten Weiber in diesem Jahr auch wieder ihre Büstenhalter ablegen oder vielleicht noch mehr. Dagegen der Protestant, der hockt daheim beleidigt auf dem Sofa und sagt: Jetzt reicht’s. Das mit dem Papst und etliches andere auch haben wir doch vor fünfhundert Jahren schon geklärt. Plötzlich, man versteht gar nicht recht, was in sie gefahren ist, führen sich die Katholiken auf, als hätte es unseren Luther nie gegeben. Auf einmal erscheint einem der Katholik wieder als ein doch sehr gewöhnungsbedürftiges Wesen. Selbst über den Kabarettisten Georg Ringsgwandl wundert man sich. Der schrieb letzte Woche in dieser Zeitung, dass er die lateinische Messe wieder zurückhaben möchte, denn der Text, den er »noch gelernt hatte, war in einer unantastbaren Sprache abgefasst, auf einer literarischen Höhe, die jedem sofort vermittelte, hier radebrecht kein reformfreudiger Studienrat, hier spricht Gott. Kann sich jemand vorstellen, dass Gott in der Nähe ist, wenn, wie kürzlich bei einer Kindstaufe, eine Pfarrerin in Kurzhaarfrisur Lieder der Rolf-Zuckowski-Machart zur verstimmten Wandergitarre singt?« Ja, das ist schwer vorstellbar, Bruder Rings-gwandl, aber dass Gott in der Nähe sein soll, nur weil ein Mann in bunten Frauenkleidern in einer unverständlichen Sprache magische Sprüche aufsagt und, gesäumt von kleinen Buben in bunten Frauenkleidern, weihrauchschwenkend um den Altar herumläuft, das ist für unsereinen genau so schwer vorstellbar.

Von Ringsgwandl stammt auch der Rapsong I hob an Papst gsehng, worin eine Nonne erzählt, wie sie in Altötting in 300 Meter Entfernung Johannes Paul II. gesehen hat, was schon fast das Größte war in ihrem Leben, aber dann hatte sich noch etwas viel Größeres ereignet, und damit endet der Song: »Mi hot da Papst gsehng.« Seitdem erahnt der Protestant, dass die Rolle des Papstes im Leben eines frommen Katholiken ungefähr dieselbe sein muss wie die Rolle der Kuh im Leben eines frommen Hindu. Wenn aber schon den fränkischen Protestanten, der immerhin noch an denselben Gott glaubt wie der Katholik, die bayerisch-katholischen Sitten und Bräuche befremden, um wie viel schwerer muss sich da erst der Agnostiker und der gewöhnliche Allerwelts-Atheist aus Mecklenburg-Vorpommern tun? Niemand kann wissen, ob Gott existiert. Die Wahrheit erfahren wir, wenn überhaupt, am Ende aller Tage. Erscheinen angesichts dieser Unsicherheit die katholischen Rituale nicht ein wenig übertrieben? Gründen päpstliche Unfehlbarkeit, Pillenverbot, Zölibat und Verbot der Frauenordination wirklich so tief und auf so sicherem Grund, wie Rom nicht müde wird, das zu behaupten? Der Weihrauch, die Prozessionen, die bunten Gewänder, die Reliquien und die schwarzen Madonnen, das Gewese um den Da-Vinci-Code oder die diversen Schweißtücher, der Jakobsweg-Tourismus und das Wachstum des Religionsbusiness, das ganze christlich verbrämte alt- und neuheidnische Brauchtum des kurzzeitig reanimierten Volkskatholizismus, dazu die von allem Esoterikmüll längst aufgeweichten Hirne der Trendredakteure in den Medien, und über allem die neueste Nullformel »Spiritualität« – ja, man trägt neuerdings Spiritualität, es ist das Sahnehäubchen auf dem Leben derer, die schon alles haben, obendrein ein Luxus, der nichts kostet – das alles passt ganz wunderbar zu unserem sinn- und gedankenfreien multimedialen Bild-und-Glotze-Wahnsinn und lässt mich Pharisäer beten: Lieber Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie diese Katholiken, die offenbar noch immer, wie einst die abergläubischen Völker, sicht-, greif-, hör- und riechbarer materieller Elemente und magischer Praktiken bedürfen, um all dessen gewahr zu werden, was doch in deinem bloßen Wort vollständig schon vorhanden ist. Dankbar muss man auch sein, dass es keine katholische Entsprechung zum islamischen Kopftuch und zur jüdischen Kippa gibt, sonst müssten wir noch mit ansehen, wie sich die Dirndl- und Loden-Schickeria auf dem Oktoberfest beim Oans, zwoa, gsuffa das Christen- oder Ratzl-Hütl auf die Promifrisuren steckte, denn das ginge jetzt auch, alles geht jetzt. Dem Papst zujubeln, die Pille einwerfen, sonntags shoppen statt beten, in Regensburg reich sein, in Italien lesbisch sein und in Altötting fromm sein, auch das geht, im Fernsehen arbeiten, viermal geschieden sein und die Hausfrauen- und Mutterrolle preisen, auch das geht, dem Papst huldigen und sich aber im Alltag herzlich wenig um das scheren, worum es dem Papst geht – ging schon immer. Bigott zu sein ist schick geworden. Und die Medien, dankbar für jeden Quotenbringer, sind fröhlich dabei, das marode Bündnis aus Thron und Altar durch ein neues Bündnis aus Papst, Bild und Glotze zu ersetzen. Die englischen Royals ziehen ja nicht mehr so, seit sich herumgesprochen hat, dass es sich bei ihnen um ganz gewöhnliche Menschen handelt. Fußball-Weltmeisterschaft ist nur alle vier Jahre, in Deutschland gar nur alle 25 bis 30 Jahre, ein deutscher Papst ist nur alle 500 Jahre zu haben, Steffi Graf und Boris Becker haben wir nicht mehr, Michael Schumacher bald auch nicht mehr, es mangelt an Boxchampions, unsere Radfahrer sind gedopt, kriegen trotzdem ihr Geld von der ARD, und Zahlmeister Struwe bekommt dafür den Vertrag verlängert – nein, dem Fernsehen kann man nicht verübeln, dass es das Papst-Ereignis zu Tode sendet. Was, außer dem Papst, bleibt ihm denn noch?

Nicht anders ergeht es der Kirche. Kaum noch Priesternachwuchs. Sinkende Einnahmen. Immer weniger Taufen. Eine ruhmlose Vergangenheit aus Folter, Inquisition, Zensur, Hexenverbrennung, Kolonialismus, Segnung der Kanonen und Versagen unter Hitler. Dazu der neueste Ärger mit Kinderschändern in den eigenen Reihen. Was, außer dem Papst, bleibt denn dieser Kirche noch? Und was bleibt dem Papst anderes übrig, als die Gewänder seiner Macht anzulegen und damit auf dem Islinger Feld majestätisch über das Elend seiner Kirche hinwegzuschreiten? Und das arme deutsche Volk – außer dem Papst hat es nur noch Politiker, die in der Talkshow wortreich den neuesten Gammelfleischskandal beklagen, aber sich am Ende einig sind: Der nächste Gammelfleischskandal kommt so sicher wie die nächste Schweinepest. Auch eine Steuer- und Gesundheitsreform – die wie vielte ist das eigentlich jetzt, und wieso wird Reform genannt, was auf die übliche Schröpfung der Bürger hinausläuft? – werden sie uns wieder bescheren. Der nächste G8-Gipfel wird kommen, bei dem unsere Regierungschefs auch wieder kein einziges der Probleme lösen, die sie seit Jahrzehnten ungelöst vor sich herschieben, aber sie werden ihre üblichen Gipfeltreffen-Kommunikee-Phrasen im Fernsehen wiederkäuen lassen, zuversichtlich in die Kameras lächeln und so tapfer behaupten, die Lage im Griff zu haben, wie es einst der irakische Informationsminister getan hat, als hinter ihm schon die amerikanischen Bomben einschlugen. Was wir erleben, und was uns bevorzustehen scheint, ist die ewige Wiederkehr des Gleichen. Ahnt die Menge, dass der Papst eine Lehre verkörpert, die vor Jahrtausenden aufgeräumt hat mit genau dieser Wiederkehr des Gleichen? Ist es das, was die Massen in die Arme des Papstes treibt? Und der Herr sprach zu Abraham: »Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und sollst ein Segen sein.« So, mit diesen seltsam lapidaren Worten, beginnt der Ursprung von Judentum, Christentum und Islam. Ein neues Verhältnis zur Zeit ist damit in die Welt gekommen. Ab jetzt wird die Welt als etwas betrachtet, was einen Anfang und ein Ende hat, die Geschichte als etwas, was ein Ziel hat, und die Realität als etwas, was nicht fatalistisch hingenommen werden muss, sondern verändert werden kann, in Gottes Auftrag und nach seinen Weisungen verändert werden muss, damit die endlose Kette aus menschlichen Katastrophen und Tragödien, als die wir die Weltgeschichte bezeichnen, zerreißt. Das Heil liegt nicht im Jenseits, sondern in der Zukunft, »in einem Land, das ich dir zeigen werde«. Dieser ersten Verheißung an Abraham folgen immer weitere, sich steigernde ans ganze Volk: »ein Land, darin Milch und Honig fließen, wo Schwerter zu Pflugscharen« umgeschmiedet werden und »die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen«, und am Ende folgt die radikal weltumstürzlerische Verheißung eines »neuen Himmels und einer neuen Erde«. Das war Gottes Utopie. So war es ursprünglich einmal gedacht. Eine Utopie, die auch protestantischen Agnostikern einleuchtet. Um sie zu verwirklichen, brauchte Gott ein Volk. Diesem Volk sagte Gott: Wenn ihr es wollt, bleibt es keine Utopie. Das Volk hat es nie richtig gewollt. Immer wieder vergessen. Alles ins Jenseits verlegt. Der Papst in Bayern hat auch nichts davon gesagt. Oder wenn er es gesagt hat, ist es im medialen Overkill untergegangen, hat es sich versendet, verflüchtigt, ist irgendwie in Spiritualität verweihraucht. Schade eigentlich.