Eine Legende, die Stars und Prominente gern verbreiten, handelt vom bösen Blick der Journalisten. Diese seien kleinkarierte und hinterhältige Geister, lautet die immerwährende Klage, stets auf das Negative fixiert, von Neid und Missgunst zerfressen und permanent darauf aus, die Großen der Welt niederzuschreiben und in den Schmutz zu ziehen. Dagegen wird gern das Idealbild des Fans oder Käufers/Zuschauers gestellt: Herzensgute, aufgeschlossene und mitfühlende Wesen, zu tiefer Liebe und Loyalität fähig und grundsätzlich an Kunst und Kreativität interessiert, nicht an Klatsch, Schmutz und Niedertracht. Ja, das glauben sie wirklich, von Bono bis Madonna, von Flint bis Fürmann. Und deshalb zählt es zu den großen Errungenschaften des Medienjahres 2006, dass mit dieser Lebenslüge jetzt aufgeräumt wurde. Als Leserreporter, Prominentenjäger, Klatschkommentator und gnadenloser Berichterstatter fungiert seit Neuestem das Publikum selbst, rund um die Uhr, überall – und die Ergebnisse sind härter als selbst in den Alpträumen der abgebrühtesten Prominenten.
Zum Beispiel beim Prominentensichtungs-Blog »Gawker Stalker« (etwa: »gaffender Verfolger«) im Internet (www.gawker.com/stalker). Dort berichten New Yorker darüber, wer sich in ihrer kleinen Stadt so promimäßig die Klinke in die Hand gibt, besoffen auf den Tischen tanzt oder auch nur im Bio-Supermarkt einen Kürbis kauft. Jeder darf mitmachen, jeder macht mit, Fotos sind unnötig, es reichen eine präzise Ortsangabe und ein paar flotte Beleidigungen. »Sollte sich bitte dringend die Nase machen lassen«, ist eine beliebte Forderung, gleich gefolgt von dem empörten: »Sieht aus, als hätte sie sich gerade die Nase machen lassen.« Ein Teil der Stars ist »eklig dünn« und müsste »schleunigst was essen«, der andere »viel zu dick für die nächste Rolle«. Die Klassiker »überraschend klein« und »in echt gar nicht so gut aussehend« werden fast täglich bemüht, Augenringe, Hautunreinheiten, Soßenklekse und Spermaflecken mit seismischer Genauigkeit registriert. Eine nicht ganz perfekte Frisur führt gleich zu Perückenvermutungen und dem Verdacht auf totalen Haarausfall – während der Pelzmantel, den die Vogue-Chefin Anna Wintour im Aufzug trägt, »übel nach nassem Hund stinkt«. Selige Zeiten, in denen die Verbreiter solcher »Informationen« wenigstens noch nicht anonym waren – und also verklagt werden konnten.
Der böse Blick, so scheint es, wohnt in uns allen – zumindest, wenn gerade jemand Reicheres oder Berühmteres als wir selbst des Weges kommt. Oder soll das eine neue Form von Klassenkampf sein – ihr da oben führt euer dekadentes Luxusleben, wir hier unten posten unsere gnadenlosen Beobachtungen? Wie auch immer: Die Sache gibt Stars, ihren PR-Leuten und Bodyguards inzwischen doch zu denken. Im einfachsten Fall drohe Behinderung von Dreharbeiten, heißt es, im schlimmsten Fall die Weitergabe von Wohnadressen, Lieblingskneipen und anderen nützlichen Informationen an die Mark Chapmans und John Hinckleys dieser Welt, sprich: an die Verrückten mit den Pistolen in der Tasche. Die ersten Anwälte riefen schon nach neuen Gesetzen, da brachte der allzeit agile George Clooney einen Plan zu Papier, den sein Pressesprecher Stan Rosenfield sofort per Mail an viele Kollegen schickte: »Es gibt einen simplen Weg, Gawker unbrauchbar zu machen. Überflutet die Website mit falschen Prominenten-Sichtungen! Wir brauchen keine neuen Gesetze, wir wollen die Meinungsfreiheit nicht einschränken. Machen wir die Seite einfach wertlos – das könnte sogar Spaß machen.«
»Oh mein Gott, er weiß, dass wir existieren«, schrieb die Gawker-Chefredakteurin Jessica Coen, 25, in ihrem Antwort-Posting. »Wenn es jemanden gibt, der mich niederringen, zu Boden werfen und ›unbrauchbar‹ machen darf, dann bitte er.« Und bereits drei Tage später meldete sie unter der Überschrift »Clooneys teuflischer Plan gelingt« Hunderte von widersprüchlichen und teilweise sehr lustigen Sichtungen, die nahezu alle nur einen einzigen Star betrafen – George Clooney. Das war zwar nicht ganz die ursprüngliche Idee, aber jetzt war die Kreativität der New Yorker offenbar angestachelt. Clooney hatte außerdem das Pech, gerade in der Stadt zu drehen, was Coen dazu nutzte, einen Handyfoto-Wettbewerb auszurufen. »Wertvolle Preise« warteten auf den, dem es gelänge, ihren Widersacher per Mobiltelefon abzulichten. Schließlich war es so weit – Coen konnte ein unscharfes Gewinnerfoto ins Netz stellen.
Dass trotz »Gawker« und den Leserreportern von Bild, Stern etc., die für die Weihnachts-Urlaubstage schon wieder die Fotohandys schussbereit machen, in Sachen Prominentenkultur noch nicht alles verloren ist, beweist vielleicht die deutsche Website »Höfliche Paparazzi« (www.hoeflichepaparazzi.de). Zwar ist in Deutschland in zwei Wochen weniger los als an einem Tag in New York, und die Verknüpfung mit einem Kartenservice, der alle Sichtungen grafisch darstellt, fehlt auch – dafür können die Schreiber aber große Gedanken und leise Einsichten loswerden, die bei »Gawker Stalker« schon aus Platzgründen nie unterkommen würden. Begegnungen mit einer Berühmtheit inspirieren hier so manchen zu hochphilosophischen Texten über Sein und Schein oder Wohl und Wehe der Mediengesellschaft. Profunde Analyse, bleibende Erkenntnisse, Auge in Auge mit den Großen der Zeit: Dagegen würde sicher nicht einmal George Clooney protestieren.