Bitte haben Sie etwas Geduld, dieser Artikel fängt gleich an. Der nächste freie Satz ist für Sie reserviert. Gleich geht es weiter … Na, jetzt mal nicht so ungeduldig, Sie kennen das doch! Zum Beispiel von der A8, weil sich die 600 Autos vor Ihnen keinen Meter bewegen, von der Schlange an der Supermarktkasse, weil die Kassiererin ihren ersten Arbeitstag zu haben scheint, beim Securitycheck am Flughafen, weil bei jedem zweiten Passagier große Flaschen mit Flüssigkeiten im Handgepäck gefunden werden, die wortreich entsorgt werden müssen. Und Sie fragen sich: Hat das Warten nie ein Ende?
Nein. Aber wir leiden immer weniger darunter – dank Psychologen, die das Warten geduldig untersuchen. Richard Larson beispielsweise beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren am Massachusetts Institute of Technology mit der Psychologie von Wartenden. David H. Maister, viele Jahre Professor an der Harvard Business School, hat ein Standardwerk geschrieben: »Die Psychologie der Warteschlangen«.
Natürlich wäre es hilfreich, wenn mehr Kassen, mehr Schalter und die Standspur auf der Autobahn geöffnet würden. Doch solche praktischen Lösungen sind oft teuer, weil es Personal dazu braucht, und interessieren außerdem Psychologen wie Larson und Maister nur am Rande. Die beiden erforschen in erster Linie, was genau Menschen am Warten nicht ausstehen können und was Firmen tun müssten, um diese Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten (damit ebenjene Menschen ihr Geld trotzdem ausgeben). Die Wartepsychologie hat einige Grundsätze entdeckt, die sich jedes Unternehmen oder Amt merken sollte.
Die wichtigsten:
– Nicht zu wissen, wie lange man warten muss, verlängert die subjektiv empfundene Wartezeit.
– Wer mit einer Warteschlange rechnet (kurz vor Weihnachten im Postamt), wartet geduldiger als jener, der von ihr überrascht wird (an einem Dienstag im Juli).
– Menschen in Großstädten empfinden ihr Leben als hektischer als Menschen auf dem Land. Daher sind Großstädter auch nicht bereit, so lange zu warten wie Landbewohner.
- Schlangen müssen gerecht sein. Nie ist der Ärger größer, als wenn einer vor mir bedient wird, der sich erst nach mir angestellt hat.
Und so setzen die Firmen und Ämter, die ihre wartenden Kunden bei Laune halten wollen, vor allem auf vier Dinge: Ablenkung, Unterhaltung, Information, Fairness. Große Worte – für oft winzige Veränderungen.
AN DER KASSE
Wer es besonders eilig hat, sollte bei Aldi einkaufen – nirgends sind die Kassiererinnen schneller, sie schaffen durchschnittlich 86 Kunden pro Stunde. Bei Lidl, dem Zweitplatzierten, sind es 71, bei Real, dem Letzten unter den Getesteten, 51 pro Stunde. Das hat das Düsseldorfer Marktforschungsunternehmen Heitzig & Heitzig im Kassenbarometer 2009 aufgelistet. Grundsätzlich dauert das Zahlen mit EC-Karte länger als das Barzahlen. Aber die Aldi-Kassiererin wurde geschult, schon während des Eintippens zu fragen, wie man zahlen will, das macht die Sache etwas schneller.
Erstaunlicherweise kann es auch helfen, den Vorgang zu verlangsamen. Ikea hat 2009 die Selbst-Scan-Kassen eingeführt, für Kunden mit maximal 15 Artikeln. Andere Unternehmen zogen nach. Die Kunden müssen ihre Einkäufe dort eigenhändig scannen und die Rechnung ausdrucken. Das könne zwei- bis dreimal länger dauern als bei einer geübten Kassiererin, erklärt das Kölner Handelsforschungsunternehmen EHI. Trotzdem verkürzt sich die subjektiv empfundene Wartezeit – weil man beschäftigt ist. Und ein Ikea-Kunde, der glaubt, kürzer gewartet zu haben, wirft sich dann gleich frohgemut in die Schlange für den Hot Dog.
AUF DEM AMT
In Behörden – und auf Flughäfen, in Banken, in Postämtern – ist das Warten oft schwieriger zu ertragen als in Geschäften, denn man wird am Ende nicht mit einem neuen Produkt belohnt, sondern bloß mit dem Gefühl, etwas erledigt zu haben. Darum ist es dort noch wichtiger, den größten Ärger zu vermeiden, den ein Wartender haben kann: dass einer drankommt, der eigentlich nicht an der Reihe ist.
Fast alle Banken und Ämter haben mit Pfosten verbundene Bänder aufgestellt, sodass sich die Menschen in Serpentinen bewegen, immer einer nach dem anderen. Das macht das Warten insgesamt nicht kürzer, aber fairer, weil sich keiner vordrängelt. Bietet man diesen Menschen obendrein einen kostenlosen Internetzugang, zücken die meisten ihr Smartphone und lesen Mails, schreiben SMS oder spielen. Dann merken sie auch nicht, dass sie eine Waffe in Händen halten: Sie könnten besonders lange Schlangen fotografieren und das Bild posten.
IM STAU
1980 stand ein Mann vom ADAC im Stau, ärgerte sich und überlegte, was passieren müsste, damit sein Ärger verschwände. Weiterfahren, klar, doch das ging nicht. Die Erklärung, die er sich selber geben konnte, nämlich dass wohl zu viele Autos unterwegs seien, genügte ihm nicht. Wenn er aber wüsste, wie lange die Warterei dauert und was der Grund dafür ist, wäre er zufriedener. Und so fahren seit 1982 die ADAC-Stauberater in den Sommermonaten mit gelbweißen Motorrädern über die Autobahnen. Obwohl es heute Navi und Handy gibt, mit denen sich Autofahrer selbst informieren können, ist die Zahl der Stauberater auf 150 gewachsen, ausgestattet mit Sonderrechten wie jenem, die Standspur zu benutzen, und geschult im Krisenmanagement – denn in einem Stau fühlen sich Autofahrer oft hilflos und ausgeliefert, das wiederum macht gestresst und aggressiv. Klopft der Stauberater ans Fenster und sagt: Geh, Leute, da vorn ist ein Unfall, aber in dreißig Minuten geht es weiter – schon sind die Menschen ruhiger.
DIE HOTLINE
»Unsere Mitarbeiter sind gerade alle im Gespräch …«, »Der nächste freie Platz ist für Sie reserviert …«. Wer am Telefon in eine Warteschleife gerät, bleibt selten länger als zwei Minuten darin, dann legt er auf. Was hilft? Das britische Telekommunikationsunternehmen Virgin Media hat folgende Methode entwickelt: Nach knapp zwei Minuten in der Warteschleife können Anrufer ihren Lieblingssong aus einer Liste wählen, die jeden Monat neu zusammengestellt wird, und ihn dann hören. Kürzlich wählten Anrufer unter anderem zwischen Kylie Minogues Put Your Hands Up, Ellie Gouldings Lights und Eliza Doolittles Mr. Medicine. Mehr als die Hälfte der Anrufer bleibt in der Leitung: Sie bekommen das Gefühl, ihr eigenes Unterhaltungsprogramm zusammenzustellen. Fast immer wird der Anrufer übrigens verbunden, während er den ersten Song hört.
IM FREIZEITPARK
Wie hält man wartende Menschen davon ab, über das Warten nachzudenken? Beim Disney-Konzern sind 75 Leute damit beschäftigt, in allen Disneyparks der Welt für die reibungslose Organisation der Warteschlangen zu sorgen, das nennt man »Queuing Management«. Diese Leute verwandeln Warten in Unterhaltung, das nennt man »Queuing Entertainment«. Konkret heißt das: Selbst wenn viele Menschen warten, sieht man die Schlange vor sich nicht, da sie schneckenförmig oder um Ecken geleitet wird. Und das Entertainment beginnt bereits am Ende der Schlange, weil es vom ersten Moment an was zu Schauen gibt. Bei »Star Tours – Reise zu einer entfernten Galaxie« etwa fühlt man sich wie in einem interstellaren Flughafen: Auf Bildschirmen kann man die Planeten betrachten. Menschen, die wie Figuren aus den Star Wars-Filmen verkleidet sind, sagen zu den Wartenden, wie sehr sie sich auf die Reise mit ihnen freuen. Durchsagen folgen, was einen auf der Fahrt alles erwartet. Dabei schiebt man sich Meter um Meter nach vorn. Dass man am Ende all der Warterei in nicht viel anderes als in eine gehobene Achterbahn steigt, und das für nur fünf Minuten – vergessen.
Vom ersten Moment des Anstehens an erfährt der Besucher mit Hilfe von Schildern, wie lange er von hier bis zum Ziel warten muss, 90 Minuten, 75, 60; immer sind es realistische Angaben. Menschen in einer Warteschlange verlangen Ehrlichkeit.
DAS STATUSSYMBOL
Es gibt aber auch Warteschlangen, in die Menschen sich gern stellen: weil sie prestigeträchtig sind. So schrieb der Focus über den Erstverkaufstag des iPhone 6 im September: »Tausende Menschen haben am Freitag vor den Apple Stores rund um den Globus auf das neue iPhone 6 und das iPhone 6 plus gewartet. Die Schlangen waren teils mehrere hundert Meter lang. Manche Apple-Jünger harrten dort seit Tagen aus.« Und mögen die Geschichten, die im »Studio 54« in New York spielten, legendär sein, die Schlange auf dem roten Teppich vor der Disco war jeden Abend genauso spektakulär: Schon bei der Eröffnung im April 1977 kamen so viele Leute, dass selbst Filmstars wie Warren Beatty draußen warten mussten. Und seit Ian Schrager, einer der Betreiber, die Losung ausgab: »Hauptsache originell«, versuchten die Leute alles, um hineinzukommen. Zwei junge Frauen zum Beispiel ritten nackt auf einem Pferd über den roten Teppich. Diese Methode zur Wartezeitverkürzung bewährte sich allerdings nur teilweise: Angeblich kam das Pferd hinein, die Frauen aber nicht.
Illustration: Luke Pearson