Wie wichtig ist im Alter das Aussehen?

Eine Selbstbetrachtung.

Gibt es etwas, worauf man sich im Alter freuen kann?

Eine Antwort kommt von Simone de Beauvoir, die sinngemäß sagte, dass das Beste am Altern die Befreiung vom sexuellen Begehren sei. Wenn es vorbei ist mit dem Trieb, hört auch das Getriebensein auf. Alle Kraft, alles Können, alle Energien und Ideen konzentrieren sich endlich auf das, was wirklich wichtig ist. Ab einem gewissen Alter nehmen Frauen sich jede Freiheit. Männer nehmen Viagra.
Aber für Frauen war die Performance ja auch nie so wichtig wie das Aussehen. Irgendwann steht die Frage »Bin ich schön?« nicht mehr im Mittelpunkt, heißt es doch bestenfalls: »Sie muss einmal schön gewesen sein.« Was für ein dummes Kompliment! Woher will der Betrachter das wissen? Er erkennt es daran, dass die Frau schön ist, unabhängig vom Alter. Doch was nicht sein darf, das nicht sein kann, und wer nicht jung ist, kann nicht schön sein.

Umso besser! Sobald wir unserem eigenen Spiegelbild den Rücken zukehren, wird der Blick frei für andere Schönheiten. Nicht ohne Grund heißt es: »Gärtnern ist der Sex des Alters.« Mit zunehmenden Jahren wenden sich viele von der Mode ab und dem Garten zu, weg vom flüchtigen Sexappeal hin zur ewigen Anziehungskraft der Erde. Zum Beispiel Nicole de Vesian, Jahrzehnte lang Stil-Ikone der Pariser Gesellschaft: Mit siebzig Jahren zog sie sich ins südfranzösische Luberon zurück und legte einen Garten an, der auch zehn Jahre nach ihrem Tod noch Wallfahrtsort für schöngeistige Schwärmer ist. Von ihrer Kleidung dagegen ist nur in Erinnerung geblieben, dass sie stets grau-beige war, passend zu ihrer Haarfarbe.

Meistgelesen diese Woche:

Das entspricht dem Postulat einer anderen Stil-Ikone. »Intelligente Frauen legen sich irgendwann eine Uniform zu«, sagte Georgia O’Keeffe und trug fortan nur noch zweiteilige Gewänder im immer gleichen bequemen Schnitt. Wer nicht mehr nachdenken muss über das tägliche Styling, kann zu wesentlicheren Dingen durchdringen. O’Keeffe, die sich in ihrer Malerei vor allem mit der vergänglichen Erotik voll erblühter Blumen und der bleibenden Magie menschenleerer Natur beschäftigte, verspürte mit knapp sechzig Jahren den Wunsch, ein schlichtes Haus in einer weiten Landschaft zu besitzen. Ihre Freunde fanden, sie sei zu alt für eine solche Zukunftsinvestition. Die Malerin, deren Gesicht mit zunehmender Verwitterung immer interessanter wurde, lebte bis zu ihrem Tod mit 98 Jahren in der kargen Adobe-Farm, die sie sich in Neu-Mexiko kaufte.

Im Alter kann die Freiheit grenzenlos sein. Nur noch den eigenen Eingebungen folgen, sich nicht beirren und ablenken lassen … Aber wer will das wirklich?
Die Sehnsucht nach Versuchung bleibt. Alles gesehen, alles gehabt, alles getan – aber niemals gesättigt. Selbst die alternde Ästhetin, deren verfeinerter Geschmack und gesteigerte Ansprüche sie vor der Beschäftigung mit dem eigenen Antlitz bewahren, hofft auf das Unerwartete. Welcher Reiz ist stark genug, sie von dem Weg abzubringen, der geradewegs in trostlose Langeweile führen würde?

Ein Fehltritt wegen eines Gartens fällt noch am leichtesten. Auch die tausendste Züchtung einer Rose ist eine willkommene Überraschung, die Natur wiederholt sich schließlich nicht. Die neueste Mode? Sie ähnelt doch nur der vor dreißig Jahren! Außerdem sind die Kleiderschränke voll. Obwohl – dieser neue Faltenwurf, diese ungewöhnliche Farbe … Dieser Schuh! Schuhe immer wieder, tausendfach. Schon ist das Begehren wach.

Ein attraktiver Mann? Um den sollen Jüngere buhlen! Wenn ich mir die Lippen rot male, dann deswegen, damit man mich nicht übersieht. Ich bekomme ja auch alles mit. Vor allem das kaum Wahrnehmbare. Ein gut gebügeltes weißes Hemd, ein Hauch von Rasierwasser, ein wissendes Lächeln. Der Duft der Männer – ihm blindlings zu folgen bleibt Verführung pur. Auch Georgia O’Keeffe war in ihrer mexikanischen Wüste nicht lange allein, in dem Künstler Juan Hamilton fand sie einen neuen Begleiter.

Das ist das Schöne am Alter: Der Sex geht, die Erotik bleibt.

Hier weitere Fragen über das Alter:

Frage 1:
Fühlt man sich im Ruhestand nutzlos?
Frage 3:
Entwickelt man sich mit den Jahren zum Reaktionär?
Frage 4:
Macht das Alter maßlos?
Frage 5:
Wie wird es sich anfühlen, an früher zu denken?
Frage 6:
Was kann man tun, um im Alter nicht müde zu werden?
Frage 7:
Was tun, wenn man nicht ins Altersheim will?
Frage 8:
Wie geht man mit Krankheit um?
Frage 9:
Was verändert sich im Alter überhaupt nicht?
Frage 10:
Macht es melancholisch, plötzlich Opa zu sein?