SZ-Magazin: Frau Ashkenazy, Menschen, die Sie und Ihren Mann gemeinsam erlebt haben, sprechen von einem Traumpaar. Können Sie das verstehen?
Thorunn Ashkenazy: Du meine Güte! Wir haben von Anfang an die große Liebe zur Musik geteilt, und das verbindet uns stark, vielleicht spürt man das. Ich fühle mich als Teil meines Mannes und seiner Musik. Seit 51 Jahren.
Sie begleiten Ihren Mann auf jedes Konzert. Haben Sie Angst, sich sonst einsam zu fühlen?
Ehrlich, ich weiß es nicht: Seit wir uns kennen, waren wir nie länger als drei Tage getrennt.
Wann haben Sie Ihren Mann das erste Mal gesehen?
Genau genommen erinnere ich mich nur, wann ich ihn das erste Mal gehört habe: Ich bin 1946 mit meiner Familie von Island nach London gezogen. Dort spielte mir mein Klavierlehrer 1955 die Aufnahme eines Wettbewerbs vor, es war der Chopin-Wettbewerb in Warschau. Mein Lehrer war in der Jury und regte sich auf, weil er fand, dass der Zweitplatzierte den ersten Preis verdient hätte. Es ging um Vladimir, meinen späteren Mann. Ich war 15 und Vladimir 17. Ich habe bewundert, wie er Klavier gespielt hat. Er war einer meiner Helden.
Wie haben Sie sich dann persönlich kennengelernt?
Nachdem ich an der Royal Academy in London Klavier studiert hatte, bekam ich 1961 ein Stipendium in Moskau. Es war Zufall, ich hätte auch in Wien oder in Deutschland landen können. Mein Mann kommt aus Russland, und in Moskau haben wir beim gleichen Lehrer studiert. Ich war erst 22 Jahre alt und auch politisch sehr naiv. Das sowjetische System hat mich wie ein Schlag getroffen. Vladimir und ich haben ein paar Monate lang viel Zeit miteinander verbracht und dann sehr schnell geheiratet. Hätten wir uns im Westen kennengelernt, hätten wir vielleicht noch gewartet, aber ich als Ausländerin hätte nach einer gewissen Zeit das Land verlassen müssen. Auch wenn alles sehr schnell ging, wir sind immer noch gern zusammen. Nach 51 Jahren Ehe, fünf Kindern und acht Enkelkindern.
Wie sieht ein perfekter gemeinsamer Tag aus?
Wir beide auf unserem Boot in einer griechischen Bucht, wir wachen auf und springen ins Meer und machen den ganzen Tag nichts. Wir leben seit über dreißig Jahren in der Schweiz, aber wir hatten zwanzig Jahre lang ein Haus in Griechenland. Jetzt haben wir ein Segelboot, das ist leichter aus der Ferne zu unterhalten.
Sie spielen Klavier, seit Sie zwei Jahre alt sind, haben aber keine Bühne mehr betreten, seit Sie Kinder haben. Fehlt Ihnen das?
Überhaupt nicht. Ich war so eine Art Wunderkind und habe schon mit drei Konzerte gegeben. Mein Leben bestand nur aus Musik. Ich kann mich gar nicht an etwas anderes erinnern. Und ich bin früh in den Ruhestand gegangen, mit Mitte zwanzig. Aber mein Leben ist immer noch voll von Musik, dank meines Mannes. Bei allem, was er macht, bin ich dabei: bei jeder Plattenaufnahme, bei jedem Konzert.
Würden Sie Ihren Töchtern heute, 50 Jahre später, empfehlen, die Karriere für die Kinder und den Mann aufzugeben?
Ich möchte kein Ratgeber für Beziehungen sein. Ich kann nur für mich sprechen: Ich wollte mit einem Konzertpianisten zusammensein und ich wollte eine Familie haben. Das zu verbinden war schwierig genug. Wenn ich auch noch Erfolg im Beruf hätte haben wollen, als Lehrerin oder auf der Bühne – es wäre schlicht unmöglich gewesen. Man kann nicht an drei Orten gleichzeitig sein.
Viel gereist sind Sie dennoch. War das nicht manchmal sehr anstrengend?
Wir sind da ganz pragmatisch. Man kann nicht Konzertpianist sein und an einem Fleck sitzen bleiben. Wenn also Reisen das ist, was man als Pianist oder Dirigent tun muss, dann ist das einfach so. Andere Leute müssen jahrzehntelang im gleichen Büro sitzen. Ich werde oft gefragt, ob ich das Reisen nicht manchmal satt habe. Aber wissen Sie, jeder hat irgendwann irgendetwas satt. Wir haben viel von der Welt gesehen und sind sehr privilegiert. Mein erstes Kind ist 1961 in Moskau geboren, mein zweites in London, das dritte in New York, das vierte in Reykjavík und mein letztes 1979 in New York.
Was macht Ihren Mann für Sie zu einem guten Partner?
Wir sind meist zu hundert Prozent derselben Meinung, musikalisch und auch sonst im Leben. Er ist ein gütiger Mensch, das macht das Leben an seiner Seite schön. Und er ist demütig. Glauben Sie mir: Nicht viele seiner Kollegen sind so. Die meisten haben ein riesiges Ego. Besonders die Dirigenten.
Warum sind Sie eine gute Partnerin für ihn?
In den nächsten Tagen hat mein Mann CD-Aufnahmen in England. Natürlich könnte ich neben dem Flügel stehen und die Notenblätter wenden, aber ich werde im Studio sitzen und genau zuhören. Ich habe ein gutes Gedächtnis und lerne automatisch jedes Stück, das er einstudiert. Und im Abhörraum weiß ich genau, ob es gut war oder nicht. Ich bin sein zusätzliches Paar Ohren, dem er vertraut.
Und abgesehen von der Musik?
Ich bin gut organisiert. Um die Sachen, die ihn nicht interessieren, kümmere ich mich: Dinge im Haushalt, seine Anziehsachen. Ich kaufe ihm seine Schuhe, weil er es nicht mag einzukaufen. Er geht auch nicht gern zum Haareschneiden, also schneide ich ihm die Haare. Er war 1962 das letzte Mal beim Friseur, in San Francisco.
Was verbindet zwei Menschen eher miteinander, die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten?
Wir kommen aus zwei sehr unterschiedlichen Kulturen. Mein Mann wurde streng russisch-orthodox erzogen. Alles völlig anders als das, was ich aus Island kannte: Ich bin evangelisch getauft. Bei uns hat es funktioniert. Aber vor allem muss man immer sein Bestes geben, jeder: mit den Kindern, mit dem Mann, mit der Frau.
Haben Sie mal etwas erlebt, was Ihre Beziehung belastet hat?
Vor 33 Jahren hatte unser Sohn einen Bootsunfall, er war sehr schwer verletzt und es war nicht klar, ob er wieder laufen würde. Uns hat diese Erfahrung dann aber näher zusammengebracht.
Viele Familien zerbrechen an Schicksalsschlägen. Warum war es bei Ihnen anders?
Vielleicht, weil wir immer über alles geredet haben. Wenn man verstummt, aus Sorge oder Verzweiflung, entfremdet man sich.
Sie haben immer über alles geredet? Glauben Sie nicht, dass es gut tut, Geheimnisse voreinander zu haben?
Sicher nicht. Ich habe keine Geheimnisse vor meinem Mann. Damals in der Sowjetunion habe ich gesehen, wie es ist, wenn die Menschen einander nicht sagen können, was sie denken. Wie schrecklich es ist, wenn man dem anderen nicht vertrauen kann. Außerdem bin ich sehr direkt, manchmal vielleicht zu direkt. Ich kann nichts für mich behalten.
Feiern Sie Ihren Hochzeitstag?
Natürlich. Wir gehen in ein gutes Restaurant und trinken ein Glas Champagner. Mehr nicht.
Foto: Samantha Casolari