Er hatte sie nach einem Geschäftstermin in Frankfurt angesprochen, eigentlich etwas zu forsch für ihren Geschmack. Ein Investmentbanker, Felix war sein Name. Ob sie nicht noch mit ihm was trinken wolle, direkt ums Eck sei die »Rote Bar«. Es war ein langer Tag gewesen, aber Felix lächelte sympathisch, und der Abend war immer noch warm. So standen sie dann doch draußen vor der Bar. Auf dem Main fuhren Schiffe. Er machte ihr ein Kompliment nach dem anderen. Wie alt? Unglaublich, sie sähe ja zehn Jahre jünger aus! Bis er sie plötzlich mit der Frage überfiel: »Sag mal, könntest du dir vorstellen, eine Familie zu gründen?«
Es war nicht ihre erste Erfahrung dieser Art und es wurde allmählich deprimierend: Junge Männer auf dem Weg in die Vierziger, gute Berufe, voll im Leben und bislang immer gut für einen kurzweiligen Abend; doch neuerdings wartete sie in solchen Momenten nur noch auf die eine Frage, die jegliche Offenheit, jeden Flirt abrupt beenden würde. In einem Internetforum für Singles brachte eine Besucherin das Phänomen kürzlich so auf den Punkt: »Seit einiger Zeit lerne ich ständig Männer kennen, die schon beim ersten Date fragen, ob ich Kinder haben will. Habt ihr das auch schon erlebt? Kriegen jetzt die Männer unsere Torschlusspanik?« Diese pochende Angst übrig zu bleiben, kinderlos, war lange Zeit den Frauen vorbehalten. Weil die Natur nicht ganz gerecht ist, also die Chancen, mit 45 noch schwanger zu werden, gegen null tendieren; wohingegen Stammvater Abraham laut Bibel noch mit hundert gezeugt haben soll. Dann wurde die Pille erfunden – von einem Mann. Die Frauen emanzipierten sich, verdienten Geld und wurden wählerischer. Seitdem gestaltet sich die Beziehungsanbahnung kompliziert. Sicher, Michael Douglas wurde mit 56 noch einmal Vater, Rupert Murdoch sogar mit 72. Doch nicht jeder ist ein Michael Douglas. Und für männliche Durchschnitts-Singles über vierzig wird der Markt offenbar langsam eng.
Michael Kurz*, 44, ein kerniger Oberbayer mit Reihenhaus in einer Kleinstadt vor München, verdreht demonstrativ die Augen, wenn er sich vorstellen soll, dass er noch Jahre auf ein Baby warten muss. Der Informatik-Ingenieur will jetzt ein Kind, und zwar ein eigenes. Okay, zuerst mal will er eine Frau. Darin liegt ein großer Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Torschlusspanik. Männer wünschen sich zunächst eine gute Partnerschaft, die sie dann mit einem Sohn oder einer Tochter krönen wollen. Torschlusspanische Frauen bringen zur Not auch als Single-Mutter ein Baby zur Welt. Sie können zwar nicht ewig – aber gebären ist immer noch ihr Metier.
Michael jedenfalls hatte bis zu seinem vierzigsten Geburtstag immer lange Beziehungen. Es lebte sogar schon ein Schulkind unter seinem Dach. Die Tochter seiner letzten Partnerin, auf die war er stolz. Aber die Frau verlor ihren Job, er hat noch mehr gearbeitet, um sie und das Kind zu finanzieren. Irgendwann warf sie ihm vor, dass er für sie zu wenig Zeit hatte. Sie landeten beim Paartherapeuten, der auch nichts mehr retten konnte. Er sei ein so liebevoller Stiefvater gewesen, die Trennung auch deshalb schlimm. Heute hat er gar keinen Kontakt mehr zu der Kleinen.
Am liebsten würde er ja zu Hause bleiben, doch weil er weiß, dass man im Leben nichts geschenkt bekommt, fährt Michael, der Bergsteiger und Tierfreund, zweimal die Woche zu After-Work-Partys in die Stadt. Er geht jetzt auf die fünfzig zu, im Grunde fühlt er sich für die Partys nicht mehr jung genug. Ja, klar, Jugend ist nur eine Frage der Einstellung. Doch beim Online-Dating merkt er, in welcher Liga er sich inzwischen bewegt.
Und wie oft spielen die Frauen falsch! Machen sich zehn Jahre jünger, aber schon beim ersten Date erkennt man, dass sie weit über vierzig sind – und damit, leider, zu alt für ein Kind. Nach unserem Interview schickt er eine SMS, dass ihn das schöne Gespräch sehr gefreut habe. Ob man sich nicht noch mal auf ein Glaserl treffen wolle?
Aber war vierzig nicht gerade noch das neue dreißig? Hatte nicht Claudius Seidl, Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, noch 2005 in seinem Buch Schöne junge Welt die ewige Jugend ausgerufen? Das Ende der »Macht der Altersstrukturen und der Herrschaft der alten Lebensblaupausen«? – Familie? Kommt später. Das starr-bürgerliche Lebenslaufdiktat: völlig überholt.
Nur wenige Jahre später klingt das vollkommen anders. Bei einer Erhebung des Deutschen Jugendinstituts 2008 sagte der allergrößte Teil (90 Prozent) der befragten Männer zwischen 15 und 42 Jahren, dass sie gern Väter werden wollen. Wie viele es tatsächlich erreicht haben? Ein Drittel der 25- bis 59-Jährigen.
Irgendwann erwischt auch die Letzten die Angst, dass die Zeit abläuft, inzwischen gilt der unerbittliche Lauf der Natur nicht mehr nur für Frauen. So meldete die britische Tageszeitung The Guardian: »Die biologische Uhr beeinträchtigt die Zeugungsfähigkeit.« Und die Daily Mail legte nach: »Risiko für Fehlgeburten bei Männern jenseits der 35 wächst.« Von diesen Meldungen aufgeschreckt, unternahm ein 41-jähriger Journalist des Observer-Magazins einen Selbstversuch, um seine Spermien überprüfen zu lassen. Seine Stichprobe war dann zwar in Ordnung, doch das Fazit des Autors klingt melancholisch: »Ich habe kein Alibi mehr, ich bin reif zum Zeugen. Ich brauch jetzt nur noch die Frau.«
Runde Geburtstage können die schlimmsten Gegner sein, besonders jenseits der dreißig. Und um die vierzig machen sich auch bei den meisten Männern erste Zeichen körperlichen Verfalls bemerkbar. Justus streitet das gar nicht ab. »Okay, die goldenen Zeiten sind vorbei. Jetzt hab ich halt einen Waschbärbauch statt Waschbrettbauch«, versucht er die harten Fakten mit Humor zu überspielen. Aber man merkt, dass er sich mit anderen, jüngeren Gästen im Münchner »Café King« vergleicht.
Er ist ein aufgeschlossener, reflektierter Typ. Einer, der gern reist, seine Wohnung mit Kunst aus fernen Ländern eingerichtet hat und in seiner Arbeit aufgeht. Da nun aber auch wirklich all seine Freunde Familien haben, nervt ihn die Single-Existenz zunehmend. Jeden Sonntagabend sitzt er beim Tatort mit dem Hund auf der Couch.
Früher fand er das ganz normal. Früher hatte er auch mit seinen drei engsten Kumpels noch einen monatlichen Jour fixe. Jetzt wird der jedes zweite Mal abgesagt. »Ich glaube, es ist ihnen peinlich, mich zu sehen, weil sie nur von ihrem Familienglück erzählen können. Einer bekam gerade das dritte Kind.« Ihr Leben kommt ihm fast schon wie eine Parallelwelt vor. Wie ein Idyll. Die Frauen lernen in der Krippe Frauen mit gleichaltrigen Kindern kennen, und weil ja die Kleinen so nett miteinander spielen, freunden sich auch noch die zugehörigen Partner an.
*Alle Namen von der Redaktion geändert.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Männer heute das psychologisch schwache Geschlecht sind.)
Das Modell funktioniert, Justus bewundert seine Freunde dafür, vor allem weil sie es alle so beiläufig »geschafft« haben. Ohne Plan. Er sucht jetzt auch eine mädchenhafte, intelligente Freundin, Typ Audrey Hepburn, mit der er was aufbauen kann. »Keine allein erziehende Mutter!« Solche Frauen findet er anstrengend, zu zielgerichtet. Er will Romantik und nicht nur den Versorger spielen. Auf der letzten Silvesterparty war eine, die hätte ihm gefallen. Weil er schon was getrunken hatte, überwand er seine Schüchternheit – und schoss dann grob übers Ziel hinaus. Justus’ Bemerkung, »Dich könnte ich mir gut als Mutter meiner Kinder vorstellen«, fand seine reizende Abendbekanntschaft gar nicht lustig. Die war dann weg.
Es muss wohl ein Akt der Verzweiflung gewesen sein. Von einem Mann, der genau spürt, dass er Gefahr läuft, sich immer mehr vom Nachbar-planet der Familien zu entfernen. Verlierergefühle machen sich breit, wenn der Kollege stolz verkündet, er müsse gehen, weil der Kindergarten sonst zumacht. Und von denen, die Ursula von der Leyens Elternzeit genommen haben, hört man nur, dass das Mini-Sabbatical eher zu kurz war. Das urbane Rollenmodel unserer Zeit ist der sozial kompetente Klassensprecher, Brad Pitt mit seiner bunt gemischten Sechserrunde allen voran. Und selbst der Sänger Morrissey, der auf früheren Alben schon mit Maschinengewehr zu sehen war, hält auf seiner neuesten CD Years of Refusal ein kleines Kind im Arm.
Je kälter sich das Wirtschaftsleben draußen anfühlt, umso reizvoller scheint ein glückliches Privatleben. Findet inzwischen auch Stefan. 42 Jahre alt, 1,95 m groß, ein gut aussehender Unternehmensberater, der seine in vielen Fitness-Stunden gestählte Figur gern in Designeranzüge steckt. Doch sein »Jahresziel 2009« geht in eine andere Richtung: »Ich brauch keine Affären mehr, sondern die Richtige«, sagt er. Als ob das so einfach durchzusetzen wäre.
Stefan träumt von einem Stammhalter. Sein Junggesellen-Habitus bleibt davon erst mal unberührt. Er fährt mit einem übermotorisierten Auto ins Büro, das nur Eingeweihte als 350-PS-Sportwagen erkennen. Zu Hause reicht ihm sein altes Studentenbett, einen Meter breit. Was soll er bei seinem Arbeitspensum jetzt schon in eine teure Einrichtung für die Eigentumswohnung investieren, die seiner Zukünftigen dann vielleicht doch nicht gefällt?
Der Mann ist sympathisch, aber er tut einem irgendwie auch leid. Hängt seit Jahren in der Warteschleife zum richtigen Leben, das nun hoffentlich bald losgeht. Vollbringt eine berufliche Höchstleistung nach der anderen – und hat seit einer Ewigkeit keinen Urlaub mehr gemacht. Die Gegenfrage kommt prompt: »Mit wem?« Weil er kaum noch platonische Freundinnen hat, kennt seine Erwartung an eine temporäre Gefährtin auch kein Maß. Es ist nie die Durchschnittsfrau, für die er sich interessiert. Seine Frauen sind schön, erfolgreich im Trendberuf, oder wenigstens aus gutem Haus. Und wenn eine Dame dann noch andeutet, dass sie sich durchaus Familie vorstellen könnte, dann legt Stefan los. Bombardiert sie mit gefühlsduseligen SMS-Botschaften, in denen eigentlich nichts drinsteht, außer dass er sie hoffentlich bald wieder sieht.
Vergangenen Sommer hat es ihn mal ganz heftig erwischt. Da hat er der Frau nach der zweiten Nacht den Schlüssel zu seiner Wohnung geschickt. Warum sie ihn nicht behalten wollte, hat er bis heute nicht verstanden. Ob sie Angst hatte, in seinem Leben genauso wenig Platz zu bekommen wie in seinem Bett?
»Männer sind heute das psychologisch schwache Geschlecht«, spitzt der Zürcher Männerforscher und Buchautor (Der perfekte Mann) Dr. Markus Fäh die Sache zu. Im Gegensatz zu Frauen, die ihre Work-Life-Balance schon immer besser austarieren konnten, haben nach Fähs Meinung gerade beruflich erfolgreiche Alphatiere den Bezug zu ihren Grundbedürfnissen verloren. Tief innen spürt so ein Mann, dass er fast niemandem mehr nahe ist. Er wär’s aber so gern.
»Und wenn er die Unsicherheit des Beziehungsanfangs nicht mehr aushält, geht er frontal aufs Ganze«, sagt Dr. Fäh. Prescht mit Rosen, Ringen, Anträgen vor – was so unvermittelt und überstürzt in den Augen der Frau natürlich auch aufgesetzt wirkt. Langsam schwant ihr, dass sie zur Erfüllung seines Plansolls herhalten soll. In der bürgerlichen Kultur braucht ein Mann den Erfolg nämlich auf mehreren Ebenen, betont Fäh: »Nur der heterosexuelle Mann, der eine Frau erfolgreich gefreit, mit ihr Kinder gezeugt hat und einen stetigen beruflichen Aufstieg hingelegt hat, ist ein guter Mann.«
Deshalb träumt einer wie Stefan von der repräsentativen Ehefrau, die mit den Kindern im Garten spielt. Während seine vielversprechende Bekanntschaft, die ihm gerade im Szene-Lokal gegenübersitzt, so gar keine Lust hat auf einen Papa, der nur am Sonntag Präsenz zeigt.
Markus Fäh jedenfalls kennt einige, und zwar sehr attraktive Männer, die das Dilemma immer öfter mit der simplen Logik des reinen Lustprinzips beantworten.
Die haben dann einfach casual sex, sagt Fäh, was nichts anderes als eine Liebesvermeidung darstellt und die anstrengenden Auseinandersetzungen echter Beziehungen erspart. Proportional dazu schwinden auch die letzten normalen Gefühle und sozialen Kompetenzen. Irgendwann raunt dann die Mutter an Weihnachten leise, ob der Sohn es eigentlich schon mal mit einer Anzeige probiert habe? Sie hätte halt noch so gern ein Enkelkind.
Lässt sich ein Mann dann davon unter Druck setzen, sitzt er in der Falle. Denn von den Frauen lässt sich vieles lernen. Darunter auch folgende Erkenntnis: Torschlusspanik war noch nie besonders sexy.
*Alle Namen von der Redaktion geändert.
Foto: Anja Frers; Styling: Oliver Rauh @oliverrauh.com; Haare und Make-up: Gaby Speckbacher; Modelle: Maik/Talents Models; Julius/Unity Models; Retouching: Maria@digital-make-up; Location: Rubico; links: Hemd von Sisley, Cardigan und Hose von Diesel Black Gold; rechts: Hemd von Zara, Gürtel von Strellson, Jeans von Hugo, Armband von Werkstatt München, Babyflaschen von Rockstar Babe.
Fotos: Anja Frers