Für eine Ihrer ersten Kollektionen schneiderten Sie Röcke aus alten Louis-Vuitton-Taschen und aus der Matratze des verstorbenen Entertainers Quentin Crisp einen Mantel. Warum?
Altes Material hat bereits eine eigene Geschichte. Man kann das Vorhandene nehmen und daraus etwas völlig Neues erschaffen.
Sie meinen Recycling? Es widerstrebt mir, einfach nur hübsche Kleider zu entwerfen. Als ich 1991 nach New York zog, sah ich dort vor allem die vielen Obdachlosen. Also habe ich meine Stoffe in Asche gerieben und eine Woche lang in schmutzigem Wasser getränkt. Sind Sie Künstler oder Modemacher?
Die Vorstellung, dass mich einige als Künstler sehen, amüsiert mich. Ich habe mit elf Jahren die Schule verlassen, weil ich meinen Eltern auf dem Feld helfen musste. Ich bin kein Intellektueller, weiß nichts über Kunst. Und in einer Ausstellung war ich zum ersten Mal, als das Metropolitan Museum of Art in New York ein paar Kleider von mir in seine Sammlung aufnahm.
Wie kommt ein Bauernsohn aus Mallorca zur Mode?
Ich wuchs in einem Dorf mit 200 Einwohnern auf – ohne Fernseher, häufig ohne Strom. Nur durch die vielen Touristen auf der Insel erfuhr ich etwas über die Welt. Mit 17 Jahren flog ich zum ersten Mal nach London. Es war die Zeit des Punk, und ich war fasziniert, als ich sah, dass Menschen auch mit ihrer Kleidung gegen die Gesellschaft rebellierten.
Irgendwie sind Sie doch auch ein Punk?
Wegen meines Aussehens und weil ich gern Kleider aus unterschiedlichen Kulturen mische, halten mich Kinder für Jesus und die Amerikaner für einen islamischen Terroristen. Kürzlich war ich in New York in einem vornehmen Hotel. Der Manager schickte mich in die hinterste Ecke des Foyers. Er glaubte, ich sei ein Penner. Was muss man da noch erklären? Die Mode hat ihre eigene Sprache.
Heute arbeiten Sie als Chefdesigner des Ökomodeherstellers Hess Natur im hessischen Butzbach. Die Vogue schrieb, das sei in etwa so, als würde man Amy Winehouse als Kantorin für einen Kirchenchor verpflichten.
Das ist ein Kompliment, oder?
Natürlich! Angeblich haben Sie dafür Angebote großer Modefirmen, zuletzt Tommy Hilfiger, ausgeschlagen. Warum?
Ich hatte vorher nie von Hess Natur gehört, stellte aber zu meiner Überraschung fest, dass da viel Gutes zusammenkommt: Zum einen verwende ich sowieso am liebsten Naturmaterialien. Zum anderen würde es uns allen ganz guttun, wenn wir wegkämen von den schnellen Trends. Ich möchte mir Kleidung ausdenken, die man länger als eine Saison tragen kann.
Richtig, dass zu Ihrem Weg Mut gehört?
Mut? Ach, ich weiß nicht. Viele im Modegeschäft sind so… übereifrig, so rastlos. Was mich immer gerettet hat, war meine Geduld. Ich kann abwarten. Bevor ich Kleidung entwarf, habe ich als Putzmann und als Taxifahrer gearbeitet, habe T-Shirts bedruckt oder Alexander McQueen bei seinen Modenschauen geholfen. Dann hatte ich in New York selbst ein paar Jahre großen Erfolg. Und als es plötzlich nicht mehr lief, ging ich zurück nach Mallorca und eröffnete eine Bar, in der ich manchmal noch kellnere. Ich brauche die Mode, aber nicht zum Überleben.
Miguel Adrover, 43, lebt auf Mallorca. Er entwirft für sein eigenes Modelabel und für Hess Natur.
Illustration: Jeanne Detallante