Exzentrik gehört zur Mode wie die Sahne zur Torte

Und in beiden Fällen gilt: Zu viel davon kann zu leichtem Völlegefühl führen.

Kleid mit ausladendem Plisseerock, von Bottega Veneta, Weste von Haider Ackermann, Halsschmuck aus schwarzen Perlen von Peachoo & Krejberg, Armband von Marjana von Berlepsch, Sonnenbrille von Loewe
Zum Grand Prix der Mode, der alljährlich stattfindenden Costume Institute Gala im Metropolitan Museum in New York, trat Madonna jüngst in einem kurzen Kokottenkleid von Louis Vuitton an, mit geschnürten Stiefeln bis hier, auf dem Kopf ein absurdes Servietten-Arrangement. Ein brillanter Schachzug. Denn die einzige Chance, unter Hunderten bis zum Anschlag gestylten Frauen aufzufallen, ist konsequent zu brüskieren. Niemand wurde an diesem Abend öfter fotografiert und am nächsten Morgen fassungsloser kommentiert als Madonna – douze points, besser geht’s nicht.

So ein herzhaftes Oh my God war ein lange vermisstes Vergnügen. Seit die
Oscar-Verleihung eine von Stylisten inszenierte Leistungsschau des Bloß-nichts-Falschmachens ist, sehnt man sich geradezu nach einem kollektiven Luftschnappen wie einst bei Björks Schwan oder Chers Tarantel-Look. Das gilt erst recht für Prêt-à-porter. Zwar raffen sich Boulevardblätter hin und wieder gähnend zu ritueller Empörung anlässlich der Londoner oder Pariser Schauen auf – »Wer soll das tragen?« – aber inzwischen kennen selbst Quelle-Kundinnen die Antwort: Niemand, it’s just for show, stupid, eine Marketingmaßnahme aus dem Lehrbuch der Aufmerksamkeitsökonomie. In der Boutique hängt dann, wie immer, dasselbe in Dunkelgrau. Wie ernst muss man also den Trend zur Exzentrik nehmen, den man diese Saison etwa bei Louis Vuitton, John Galliano und Dolce & Gabbana beobachten konnte? Ist Exzentrik nicht sowieso das blanke Gegenteil von Mode: anbetungswürdige Hyper-Individualität, echter Charakter, von innen nach außen gestülpte Scheiß-drauf-Haltung? Und bringt die Welt gerade genug Humor für den Witz auf, den die Exzentrik erzählt? Man tut ihr ja schon dadurch unrecht, dass jedes absurde Verhalten gleich mit dem Wort Exzentrik geadelt wird. Unvergesslich dazu das Zitat von Ex-Nacktmodell, Big Brother-Insassin und Frauenbeauftragter (Frauenbeauftragter!) der Gabriele-Pauli-Partei Kader Loth: »Ich habe Frau Pauli immer für ihren Mut, ihre Exzentrik und ihre Courage bewundert.«

Exzentrik ist ein einsames Geschäft, das liegt in der Natur der Sache. Sie erfordert einen Grad an Attitüde und Aufmerksamkeitssucht (oder -resistenz, auch das gibt es), die nur wenige Sterbliche aufbringen. Als Trend ist sie ohnehin lachhaft: Exzentrik von der Stange ist Kinderkarneval, nicht revolutionärer als die albernen Hüte von Ascot, eine »Provokation« mit unzählbar vielen Anführungsstrichen.

Meistgelesen diese Woche:

Auch die vom Feuilleton bejubelten verhaltensauffälligen Popstars der Saison bieten da nur wenig Hoffnung: Eine Lady Gaga macht noch keinen exzentrischen Herbst, eine Beth Ditto noch keine Abschaffung von Size Zero. Am Ende sind sie vielleicht wenig mehr als Klassenclowns, dankbar geliebt für ihren Mut in kleinmütigen Zeiten. Das Pendel schwingt gerade heftig aus – um am Ende wieder in der Mitte zum Stillstand zu kommen.

Von Exzentrik verstehen die Engländer besonders viel. Zum Quellenstudium empfiehlt Meike Winnemuth darum English Eccentrics, ein Buch der britischen Dichterin Edith Sitwell. In diesem Werk von 1933 porträtiert sie bizarre und bemerkenswerte englische Persönlichkeiten.

Markus Gaab (Fotos)