Der Reichtum Amerikas waren immer die Armen: Deutsche, Iren, Italiener, Polen, Koreaner, Chinesen, sie alle kamen mit ihren Träumen, ihrer Energie, ihren Geschichten. Jetzt sind es die Latinos, die kommen und die ihre Wut mitbringen, weil sie das Leben so schlecht behandelt. Sie haben den Willen, sich gegen dieses Leben zu wehren. Latinos wie jener Oscar, von dem der Schriftsteller Junot Díaz erzählt, in einer Geschichte von Niederlagen und Demütigungen. Es ist eine starke Geschichte – Díaz gewann den Pulitzer-Preis für seinen Roman The Brief Wondrous Life of Oscar Wao: Es war das beste amerikanische Buch des Jahres 2008 und es handelt vom Leben und Sterben in der Dominikanischen Republik.
Sie sind die neue Kraft, sie sind die neue Macht, kulturell, gesellschaftlich, politisch. Sie kommen jeden Tag, aus der Dominikanischen Republik, aus Puerto Rico, aus Kuba und vor allem aus Mexiko. Sie sind eine Macht der Schwachen. Aber sie verändern das Land allein dadurch, dass sie da sind. 44 Millionen Latinos lebten 2006 in den USA, knapp 15 Prozent der Bevölkerung, das war höher als der Anteil der Schwarzen. Im Jahr 2050 wird jeder vierte Amerikaner Latino sein.
Schon jetzt prägen sie die Gesellschaft, mit ihrem Ehrgeiz, ihrem wirtschaftlichen Erfolg, ihrer Sprache. Sie beeinflussen die Politik, sie sitzen im Kongress, sie regieren mehr als zwanzig Großstädte und stellen den Bürgermeister von Los Angeles, sie können in Schlüsselstaaten wie Florida und Kalifornien entscheiden, ob Obama oder McCain im November der nächste Präsident wird – wobei die Demokratische Partei traditionell im Vorteil ist: 43 Prozent der Latino-Wähler stimmen für sie, zwanzig Prozent für die Republikaner, das belegt eine Studie des Pew Hispanic Center, die vor allem untersucht hat, was es bedeutet, dass Amerika nicht nur hispanischer, sondern auch katholischer wird. Es wird ein anderes Amerika sein. Ein Amerika, in dem mehr Menschen an Wunder glauben und an die Bibel als unmittelbares Wort Gottes und die deshalb auch gegen die Schwulen-Ehe und gegen Abtreibung sind.
Ein Drittel der amerikanischen Katholiken sind Latinos, die ärmer sind und gläubiger als die Mehrheit dieses Landes, das so sehr von pro-testantischen Werten und protestantischer Rationalität lebte und das nun mit einer Irrationalität konfrontiert ist, die älter ist, als es die USA je sein werden.
Es ist eine Ästhetik der Unterprivilegierten, die Amerika prägen wird, mit allem Pathos, mit allem schmutzigen Reichtum, mit all den grellen, wunden Bildern, mit einer Explosion des Schmerzes und der Schönheit. Es ist der Einfluss der Straße und der Armut auf die Mehrheitskultur.
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Da sind zum Beispiel die riesigen Mauergemälde, die in East Los Angeles glühen, in Rot und Gelb und Blau. Da sind die Filme des Mexikaners Alejandro González Iñárritu, der in Amores Perros die Hunde aufeinander losließ, in 21 Gramm dem Tod nachspürte und in Babel den Zufall zu fassen suchte und der nebenbei das amerikanische Mainstream-Kino entscheidend prägte. Da sind Gesichter wie die von Eva Longoria Parker, die in Desperate Housewives die Gier der Aufsteiger verkörpert, oder der Spanier Javier Bardem, der den Oscar gewann als philosophischer Killer in No Country For Old Men, eine Parabel nicht nur auf das gewalttätige Grenzland zu Mexiko, sondern auch auf die Zukunft der USA – ein Land, das nicht mehr von alten weißen Männern regiert werden wird.
Jünger wird dieses Amerika also sein und bunter. Es wird nach der Musik von Jennifer Lopez tanzen oder Mariah Carey oder Christina Aguilera, die es alle verstanden haben, ihr Latino-Erbe bereits als Teil der großen amerikanischen Tradition darzustellen. Es wird sich von Modemachern wie David Rodriguez anziehen lassen, der die ganze Sinnlichkeit und strenge Eleganz seines Latino-Erbes zu einem Stil vereint, der irgendwo zwischen Luis Buñuel und dem Papst einen surrealen Katholizismus predigt.
Kurz gesagt: Der Katholizismus ist eine Religion der Armen, das hat ihn so reich gemacht. Amerika wird davon profitieren.
Deborah Turbeville (Fotos)