Die Krawatte ist ein tückisches Kleidungsstück. Und gemeint ist nicht das Binden. Das Binden ist das kleinste Problem, seitdem Männermagazine fast monatlich den Einfachen Windsor durchnehmen, als handle es sich um Hexenwerk. Die Rede ist auch nicht von der »lustigen« Krawatte, die nur Männer tragen, die alles, nur nicht lustig sind. Die Frage ist eher: Wann ist eine Krawatte noch gesellschaftsfähig, zu welchen Gelegenheiten, ja, gibt es überhaupt noch Gelegenheiten?
Wer heute Krawatte trägt, ist entweder Politiker, Vorstandsvorsitzender oder Nachrichtensprecher und tut das also aus rein repräsentativen Gründen. Im Großen und Ganzen jedoch ist die Krawatte so was von weg, dass man auffällt, wenn man eine zu tragen wagt. Zum Beispiel im Büro, womöglich einfach aus einer Laune heraus. Dann gibt es große Augen, als hätte man sich in einen Christbaum verwandelt. Schlimmer: Man gerät in Rechtfertigungszwang. Und wer nicht zehnmal am Tag herunterbeten möchte, dass er weder einen Termin hat noch ein Vorstellungsgespräch, noch später auf eine Hochzeit muss, lässt sie lieber gleich im Schrank hängen.
Das war nicht immer so. Und man fragt sich, wann das angefangen hat, dass die Krawatte exzentrisch wurde. Gab es doch Zeiten, da galt man als schrullig, wenn man keine anhatte. In Hitchcocks Der unsichtbare Dritte konnte einer wie Cary Grant neunzig Minuten lang kreuz und quer durch das Amerika des Kalten Kriegs gehetzt werden, ohne einmal seinen Krawattenknoten zu lockern, so selbstverständlich war sie.
Gewiss, es waren andere Zeiten: Die Sexualität war noch nicht befreit, die Frau sowieso nicht, und die modisch eher indifferente Revolution der Hippies und Studenten nur eine Ahnung am Zeithorizont. Doch hinter der Rüstung aus Anzug, Hemd und Krawatte verbarg sich mehr als nur verklemmte Körperlichkeit und unverhohlener Machismo. Nennen wir es ruhig: Würde. Es hört sich heute abgeschmackt an, doch die Krawatte ist immer noch das einzige Accessoire, das ein Mann tragen kann, ohne weibisch zu sein. Sie war auch ein großer Gleichmacher. In der Angestelltenwelt der Sechzigerjahre gab es fast kein Geschmacksgefälle: Alle – vom Chef bis zum Anfänger – trugen gute Anzüge und passende Krawatten und begegneten sich so auf Augenhöhe.
Zumindest war es bei den Mad Men so, die wir uns vielleicht nur deshalb so gern angeschaut haben, weil sie uns an eine Zeit erinnerten, in der man mit solchem Stolz zur Arbeit ging, dass man sich fein gemacht hat dafür. Irgendwann aber wurde aus dieser Uniform der Männlichkeit ein Klischee. Krawattenmänner galten fortan als unlocker und gestrig. Heute haben wir’s uns bequem gemacht – in der Arbeitswelt herrscht Zwanglosigkeit. Man sitzt in Shorts in Meetings, kommt in Bergsteiger-Fleecejacke, wenn’s draußen regnet, oder schlurft in Flipflops durch die Gänge. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass Arbeit und Freizeit längst keine Gegenwelten mehr sind, sondern immer mehr ein und dasselbe. Warum sich dafür noch umziehen?
Falsche Frage! Flipflops gehören an den Strand, und eine gute Krawatte hat nichts mit Eitelkeit oder Verspießerung zu tun. Nie war es rebellischer, eine zu tragen.
Illustration: Richard Haines