Solo statt Duett

Schluss mit dem Pärchenlook - ein Ohrring wirkt auch gut allein. Ein Plädoyer für die Asymmetrie

Monokultur: Ohrring von Louis Vuitton.

Zwei Augen, zwei Brauen, zwei Ohren, also natürlich auch: zwei Ohrringe. Unser Gehirn ist auf symmetrische Wahrnehmung ausgelegt, und wenn die gestört wird, also zum Beispiel plötzlich nur auf einer Seite ein einzelner Ohrhänger baumelt, dafür lang bis auf die Schulter, denken wir: So stimmt das doch nicht.

Aber natürlich stimmt hier alles. Dieser so simple Effekt hat schon in diesem Moment gewonnen: Der Solitär fällt auf. Er hat etwas Aufsässiges. Und etwas Eigensinniges. Er hat die Etikette ignoriert und seine bessere Hälfte einfach zu Hause gelassen.

Dabei ist die Idee ja nicht neu. In den Siebzigerjahren stachen sich die Punks ihre Ohrlöcher selbst, und vielleicht war das schon schmerzhaft genug, aber vor allem war es unkonventionell genug, und so blieb es bei der einen Seite. Madonna hängte sich daraufhin in den Achtzigern nur ein großes Kreuz ans Ohr und fönte sich die saure Dauerwelle konsequent mit tiefem Seitenscheitel auf die andere Seite. Im Gegenzug trug George Michael auf beiden Seiten goldene Creolen und brachte alles vollends durcheinander.

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Jetzt also wieder der einzelne Ohrring. Raf Simons fing bei Dior mit einer großen Doppelperle an, in diesem Herbst wird bei Céline oder Louis Vuitton bevorzugt etwas ans Ohr gehängt, was an einen gut bestückten Schlüsselbund erinnert. Moderne Skulpturen, so massiv, dass sie die ganze Person ins Ungleichgewicht bringen, in jedem Fall aber unübersehbar solo sind. Ein Accessoire wie ein Ausrufezeichen.
Aber was, wenn demnächst alle mit nur einem Ohrring durch die Gegend laufen? Fällt das noch auf? Ist zwei Ohrringe zu tragen dann subversiv? Nicht ganz. Zwei verschiedene Ohrringe sind angeblich das nächste große Ding. Das wäre ein zutiefst sparsamer Trend. Das Paar ließe sich praktisch mit einer Freundin teilen. Und endlich wären all diese verwaisten einzelnen Ohrringe aus dem Schmuckkästchen doch noch zu etwas gut.

(Styling: Almut Vogel; Stylingassistenz: Marie-Therese Freise; Fotoassistenz: Alex Orjecovschi, Sarah Kühl/Lb Studios; Haare: Luciano De Medeiros; Make-up: Masae Ito; Model: Milana Kruz/Women)

Foto: David Bornscheuer