Eigentlich, so dachte ich bisher, bin ich keine besonders schadenfrohe Person. Wenn anderen Schlechtes widerfährt, bin ich meistens durchaus in der Lage, Mitgefühl zu entwickeln. Außer vielleicht, wenn der VfL Wolfsburg aus dem Ding fliegt, das früher UEFA-Cup hieß, dann freue ich mich ein bisschen, denn die mag ich nicht besonders.
Trotzdem musste ich in den vergangenen Wochen zweimal ziemlich kichern, als ich Neuigkeiten über Stuttgart las. Es ging nicht um Fußball – da hätte auch keine Gefahr bestanden, in Schadenfreude zu verfallen, denn im Gegensatz zu meinen Gefühlen gegenüber den Wolfsburgern bin ich äußerst mitfühlend, was die Schwaben angeht. Ich wünsche ihnen nicht, dass sie verlieren am Samstag, das würde bei ihrem Tabellenstand ziemlich sicher den Abstieg bedeuten – als Fan eines ebenfalls gelegentlich abstiegsbedrohten Münchener Vereins (derzeit noch in der zweiten Liga) weiß ich, wie sich das anfühlt.
In den beiden Nachrichten ging es um Autos – oder besser gesagt, um die Nebeneffekte, die zu viele Autos zur Folge haben: schlechte Luft und Staus. In diesen beiden Dingen ist Stuttgart Deutscher Meister. In keiner anderen Großstadt liegt mehr Feinstaub in der Luft, nirgends verbringen die Menschen mehr Zeit damit, die hintere Stoßstange ihres Vordermanns anzustarren und leise (oder lauter) zu verfluchen. Ein Hersteller von Navigationsgeräten hat ermittelt, dass Stuttgarter Pendler 84 Stunden im Jahr im Stau feststecken, dreieinhalb Tage. Falls der VfB nun doch noch den Klassenerhalt schaffen sollte und die Fans das mit einem Autokorso feiern wollen, kann man sich vorstellen, wie das ausgehen wird – Stehparty einmal ganz anders, Stautokorso. Die hohe Konzentration an Feinstaub und Stickstoffdioxid in der Stuttgarter Luft wird meistens mit der Lage der Stadt in einem Talkessel erklärt, vielleicht haben die vielen Staus aber hier auch einen gewissen Einfluss. Jedenfalls geht aus der Antwort des Bundesumweltministeriums auf eine kleine Anfrage der Grünen hervor, dass das Neckartor ganz offiziell Deutschlands stinkigste Straße ist: Die Stickstoffdioxidbelastung ist oft doppelt so hoch wie der eigentlich zulässige Grenzwert, das gesetzliche Limit von 50 Mikrogramm Feinstaub je Kubikmeter Luft wurde 2014 gleich an 63 Tagen überschritten.
Dass die Bewohner dieser ohnehin nicht unbedingt ansehnlichen Straße täglich die Abgase von bis zu 80 000 Fahrzeugen einatmen müssen, tut mir natürlich leid – so schadenfroh bin ich nun wirklich nicht. Ganz grundsätzlich finde ich es aber irgendwie gerecht, dass in Stuttgart dicke Luft herrscht. Denn hier scheint ganz von selbst eine Art Verursacher-Prinzip zu greifen: In Stuttgart-Untertürkheim sitzt die Firma, die diese feisten, fetten Autos mit dem Stern vorne drauf baut. Und in Stuttgart-Zuffenhausen die andere Firma, die Angeberflitzer für Besserverdiener in der Midlife-Crisis und SUVs für die Yoga-Mamis zu verantworten hat, die bei mir im Viertel ständig die Radwege zuparken. All diese Autos mögen schön und stark und sicher und schnell sein, eines sind sie jedoch nicht: spritsparend. Nun wäre zu hoffen, dass die verantwortlichen Firmenmanager und -Ingenieure so lange schlechte Luft einatmen, bis sie sich besinnen und endlich umweltschonendere Autos bauen. Wird aber leider wohl kaum passieren, denn diese Herren (und wohl seltener: auch Damen) dürften nicht unbedingt am Neckartor wohnen. Sondern eher in Villen in Hanglage, wo die Luft besser ist. Ein Trost ist aber: Um dort hinzukommen, stehen sie mit ihren Daimlers und Porsches im Stau, so viel wie in keiner anderen Stadt Deutschlands. Zeit zum Nachdenken dürften sie also haben.
PS: Noch eine Nummer Eins, schnell nachgeschoben: Der beliebteste SUV in Deutschland, meldet das Kraftfahrt-Bundesamt, ist bei den Neuzulassungen im laufenden Jahr 2015 der VW Tiguan mit bisher 18 726 Fahrzeugen. Wolfsburg wünsche ich deshalb von nun an neben Niederlagen im Fußball (zur Zeit leider selten) zusätzlich: Staus und schlechte Luft. Nur aus Gerechtigkeitsgefühl, den armen Stuttgartern gegenüber. Und, nun gut, ein bisschen auch aus Schadenfreude.
Foto: Caro / Baertels