Kulinarische Integration

Das Siegerrezept eines Buletten-Wettbewerbs erinnert unsere Autorin an die Vorzüge der Zuwanderung. 

(Foto: photocase.de / Nordreisender)

Dieser Tage wird wieder von unserer Leitkultur und der Minderwertigkeit oder dem Gar-Nicht-Vorhandensein von Werten anderer Kulturen schwadroniert und ich muss dann an den Fleischer bei uns um die Ecke denken. Er liegt im Osten der Hauptstadt. Der Osten war kulinarisch besehen, na ja, etwas einförmig ausgestattet. Doch der Fleischer hat sich im Lauf der Zeit geöffnet.

Eines Tages verriet er mir das Rezept seiner Buletten. So nennen die Berliner ihre Fleischbällchen (Anm. d. Red.: am Textende finden Sie das Rezept), sie haben das vornehme Wort mal von französischen Immigranten übernommen. Wo anders sagen sie Pflanzerl, Köfte oder Ćevapćiči. Es war das Siegerrezept eines Buletten-Wettbewerbs den sie berlinweit ausgeschrieben hatten: »Da war Majoran und Senf drinne«, sagte der Fleischer und eine Mischung aus Staunen und Stolz schwang in seiner Stimme, »so was kannte ich überhaupt gar nich' - bei uns gab es nur Pfeffer, Salz, Zwiebeln.«

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Das Rezept kam aus dem Wedding, also Berlin-West. Und der Majoran von noch viel weiter her, aus dem Süden. Da wo auch mein Schwiegervater herkam, ein »Gastarbeiter« und »Ćevapćiči-Fresser«. Dessen Enkeln geht Majoran beziehungsweise »Dost« mittlerweile über die Lippen, als wäre es das Normalste der Welt, Leitkultur quasi. So wie Salz und Zwiebeln. Und Pfeffer. Obwohl der auch ein Einwanderer ist. So wie Chilli, den sie im Schoko-Eis schlecken. Wie Ingwer im Tee. Und im Erdbeerjoghurt die Vanille.

Wir Deutschen sind wie der Fleischer gewürztechnisch mittlerweile total unterwandert. Mitte der Neunziger haben wir noch 41 000 Tonnen ausländischer Gewürze importiert - jetzt sind es schon 69 000 Tonnen. Wenn wir so weiter machen, werden wir noch Weltmeister im Gewürzimport.

Und ich denke eben: Wären Leute wie mein Schwiegervater, der Gastarbeiter, nicht gekommen. Wäre die Mauer nicht gefallen. Hätte der Majoran nicht aus dem Wedding rüber gemacht - wie öde wäre das Leben geblieben! Der Fleischer umme Ecke müsste noch Klopse brutzeln mit Salz und Zwiebeln. Er wäre nie auf die verrückte Idee gekommen, einen Teil seines Ladens an Ali zu verpachten. Der macht da jetzt »Meraba Neuland Döner« - mit Cumin! Und er hätte niemals von Zaatar gekostet, dem Gewürz, das unser neuer syrischer Nachbar eingeschleppt hat, eine Mischung aus Majoran, Ysop und Thymian. »Schmeckt ein bisschen nach Oregano«, hat mein Sohn gesagt, »plus Salz«. Und Sumach (kleiner Recherche-Auftrag). Vielfalt ist sozusagen die Würze im Fleischklops des Lebens.
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