Tarek Al-Wazir, 38, führt seit 2000 die grüne Fraktion im hessischen Landtag und war Spitzenkandidat bei der Wahl im Januar 2009; diei Grünen erzielten ein Rekordergebnis.
Wenn es so etwas wie ein politisches Gen gibt, dann hat Tarek Al-Wazir es von beiden Eltern geerbt. Immer schon sind Männer aus dem jemenitischen Clan der Al-Wazirs Politiker gewesen. Ein Onkel ist zurzeit
Minister im Jemen. Der Großonkel war Anführer der ersten jemenitischen Revolution und sogar König, wenn auch nur für zwei Wochen, dann wurde ihm der Kopf abgeschlagen, weswegen Tarek Al-Wazirs Vater immer gesagt hat: Junge, wenn du unbedingt Politik machen willst, mach das lieber in Deutschland.
Seine deutsche Mutter, eine Lehrerin, war in Offenbachs linksgrünem Milieu der Achtzigerjahre heftig engagiert gegen die Startbahn West. Als Zehnjähriger ist er jedes Wochenende ins Hüttendorf mitgeschleppt worden. Heute ist die Mutter bei Attac und hält ihren Sohn für einen Rechtsabweichler. Andere halten ihn für das große Zukunftstalent der Grünen. Schon lange ist er der eigentliche Oppositionsführer und Koch-Gegenspieler in Hessen. Er ist schnell, intelligent, neugierig, attraktiv und sehr mediengeeignet mit seinem Vergnügen an pointiert frechen Formulierungen, die sehr hübsch mit dem früh ergrauten Bürstenhaarschnitt über dem jungenhaften Gesicht kontrastieren.
Er hat felsenfest grüne Überzeugungen. Und geniale Lehrmeister hatte er auch: das große Vorbild Joschka Fischer. Und das große Feindbild Roland Koch, von dem man auch eine Menge lernen kann, Strategie, Untergebenenpflege, Rhetorik, Durchhaltevermögen zum Beispiel und zuletzt auch, wie man das eigene System schließlich zum Zerbröseln bringen kann durch Realitätsverlust.
Aber da ist auch noch etwas ganz anderes: Als Tarek Al-Wazir schon eine Weile Landespolitiker war, hat ihm einmal ein alter CDU-Abgeordneter auf die Schulter geklopft und gesagt: »Na, Al-Wazir, wenn dann die Moslems hier im Land die Macht übernehmen, dann leg ein gutes Wort für mich ein.«
Al-Wazir kann solche Sachen in sehr schön weichem Hessisch nacherzählen. Xenophobische Projektionen und Fantasien, von denen deutsche Spießer immer noch heimgesucht werden, wenn sie einen so anders klingenden Namen hören, haben ihm zusammen mit den zwei Jahren, die er als Halbwüchsiger in seinem Vaterland Jemen gelebt hat, die Sichtweise auf sein Mutterland geschärft. Er hat diesen Zusatzblick von außen, der im neuen Jahrtausend ganz offensichtlich die erfolgreichen Politiker des Westens von ihren Mitbewerbern unterscheidet: Barack Obama, den Sohn einer weißen Amerikanerin und eines Auslandsstudenten aus Kenia, Nicolas Sarkozy, das ungarisch-jüdisch-griechische Einwandererkind und, ja, auch, die ostdeutsche Physikerin Angela Merkel.
Sie haben ihn gedrängt, für den Bundestag zu kandidieren. Seitdem Al-Wazir nach dem Ypsilanti-Desaster den Riesenwahlsieg für die hessischen Grünen eingefahren hat, gilt er bei den Bundesgrünen als kommender Mann. Aber er hat Nein gesagt. Warum?
»Weil ich das meiner Frau und meinen zwei Kindern nach den beiden Hessenwahlen nicht auch noch zumuten wollte«, sagt Tarek Al-Wazir und grinst. Ganz offensichtlich hat er noch ein weiteres, für eine Politikerexistenz in der zur Mediokratie verkommenden Mediendemokratie sehr praktisches Talent. Er sagt im Gespräch mit Journalisten zwar immer nur genau die Sätze, die er für nützlich und zitierbar hält, liefert mit seinem Gesichtsausdruck aber nach, was er in Wirklichkeit denkt. Seine Augen erzählen dann die andere Geschichte: dass hier einer auf den Generationswechsel wartet. Dass Tarek Al-Wazir zu dieser fatalen Schläferkultur von hochtalentierten Menschen in den Dreißigern gehört. In vielen Institutionen dieses Landes nehmen sich diese Hoffnungsträger derzeit zurück, bis sich die amtierenden, zum Nachwuchsfördern erstaunlich unfähigen Fünfzigjährigen endlich ausgetobt und verschlissen haben.
Als Tarek Al-Wazir 1971 geboren wurde, flog Joschka Fischer gerade bei Opel aus der Produktion wegen Agitprop. Für die emeritierte Opa- und Apo-Generation der Grünen funktioniert er wie ein Enkel. Einmal, das ist im Jahr 2001 gewesen, hat er den früheren grünen hessischen Justizminister von Plottnitz, der offenbar gelegentlich schwer zu erreichen war, in einen Frankfurter D2-Laden gezogen und zum Verkäufer gesagt: Dieser junge Mann hier braucht jetzt sein erstes Handy. Bitte einfach. Mit großen Tasten.
Neulich erst hat er Rupert von Plottnitz anrufen wollen: »Natürlich ist keiner drangegangen. Muss er jetzt ja auch nicht mehr. Aber es war noch immer der Mailboxtext drauf, den ich damals hier im Landtag an der Theke mit ihm aufgenommen habe.«
Und was wäre, wenn im September die jetzt im Bund amtierenden Grünen überraschenderweise an die Regierung kommen und dringend nach Tarek Al-Wazir rufen?
»Erstens werden die sich alle nur selbst rufen …«
Und zweitens?
Und zweitens macht Tarek Al-Wazir, während er pflichtschuldig »Ich weiß auch nicht, ob ich das wollen sollte« sagt, schon wieder ein Gesicht, das eine ganz andere Geschichte erzählt. Eine, die sehr schön zu seinem Namen passt. Al-Wazir heißt auf Deutsch: der Minister. Und Tarek bedeutet »einer, der Einlass begehrt«.