Das Leben scheint auch 2017 noch nicht vollständig ins Internet abgewandert zu sein, Deutschland ist vor seiner 19. Bundestagswahl wieder mit Wahlplakaten zugekleistert, die in einer Druckerei hergestellt worden sein müssen. Wer da mit großen Versprechungen und kleinen Schwindeleien auf sich aufmerksam machen möchte, das sind die üblichen Verdächtigen, die Union, die SPD, die Grünen, die Linke, die AfD und Christian Lindner.
»Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben« steht auf einem. »Nur wer Chancen bekommt, kann Chancen nutzen« auf einem anderen. Und wer denkt, das seien doch selbstverständliche und ziemlich öde Botschaften, der hat Dr. Wolfgang Stefinger, den Bundestagsabgeordneten aus München-Ost, noch nicht kennengelernt, der sich für seine Kampagne einfach nur das Hemd aufgeknöpft, die Hosenbeine hochgekrempelt und die Sonnenbrille gegriffen hat und »Schöne Ferien« wünscht. Ob das selbstzufrieden oder subversiv, konsequent oder provozierend, das traurige Ende oder ein leuchtender Anfang ist, darüber ließe sich streiten, der Economist jedenfalls betitelte seine Berichterstattung über die deutschen Wahlkampagnen mit der Zeile: »Deutschland döst«.
Und es stimmt ja: Spannend war der Wahlkampf nur, als er noch nicht losgegangen war und Martin Schulz noch Sankt Martin hieß. Als man noch das Gefühl hatte, dass etwas Großes, Bedeutsames, ja vielleicht sogar ein Machtwechsel bevorstehen könnte. Vier Wochen vor der Wahl schleppt er sich dahin, mit Vorschlägen, gegen die niemand was haben kann, Ideen, die jeder sinnvoll findet, Sprüchen, die niemandem wehtun. Was weh tut, ist nur die Diskrepanz zwischen den Skandalen unserer Gegenwart und der einschläfernden Formelhaftigkeit ihrer Wahlslogans.
Wie sähe Ihr Wahlplakat aus? Das war unsere Frage an Künstlerinnen und Künstler. Also: Welches Thema, welches Motiv, welchen Skandal würden Sie in den Mittelpunkt stellen? Was regt Sie so auf, was macht Ihnen so Angst, welche Forderung finden Sie so bedeutsam, dass Sie Millionen von Wählern darauf aufmerksam machen wollen? Unsere Hoffnung war, dass ein Wahlkampf mehr sein kann als inszenierte Natürlichkeit und die Forderung nach Gerechtigkeit, Frieden, Toleranz und Sicherheit, dass er – wenigstens als Experiment – überraschend, bissig, kreativ, charakterstark und bewegend sein könnte. Es meldeten sich so viele renommierte Künstlerinnen und Künstler, dass wir einigen absagen mussten. Bei vielen hatte man den Eindruck, als sehnten sie sich danach, endlich einen Kanal, eine Plattform für ihre Gedanken, Sorgen und Wünsche gestellt zu bekommen.
»Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat«, hat Loriot mal gesagt. »Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.« Frau Merkel, Herr Schulz, Herr Lindner und wie Sie alle heißen, noch sind vier Wochen Zeit, noch können Sie beweisen, dass Loriot wenigstens in dieser Sache unrecht hatte.
Plakate: Ai Weiwei, Anke Feuchtenberger, Andy Hope, Julian Rosefeldt, Klaus Staeck, Juergen Teller, Tomi Ungerer und Erwin Wurm