Her mit der Klimareligion

Der Kampf gegen die Klimakrise wird von Skeptikern neuerdings zur Glaubensfrage gemacht. Das ist ein durchsichtiges politisches Manöver – das vielleicht genau das Gegenteil bewirken könnte.

Einsam am Wegesrand: Greta Thunberg im vergangenen Sommer vor dem schwedischen Parlament in Stockholm, kurz nach Beginn ihres Schulstreiks.

Foto: Michael Campanella/Getty Images

Der Mai war bisher unerwartet kühl in diesem Jahr. Das führt mitunter dazu, dass beim Smalltalk mit den Nachbarn Wetter und Klima mit einander verwechselt werden. »Von wegen Klimawandel, haha, wer’s glaubt! Ja, wo bleibt sie denn, die Erderwärmung, wenn wir hier alle frieren?«, heißt es dann, wenn man im Wintermantel in der Schlange vor der Eisdiele steht. Für viele Menschen kann eben nur das Realität sein, was sie unmittelbar fühlen oder auf ihrer Smartphone-Wetter-App sehen.

Das liegt auch daran, dass im Zusammenhang mit dem Klimawandel und den Protesten von Schüler*innen gegen die Untätigkeit der Politik neuerdings gern von »Klimareligion« die Rede ist. Der Protest der Jugend, der sich in den »Fridays for Future«-Demonstrationen zeigt, gleiche einem »Kinderkreuzzug« schreibt die FAZ, Christian Lindner von der FDP beklagt - möglicherweise nicht ohne einen gewissen Neid - Schulschwänzer würden heiliggesprochen, in Talkshows und in Kolumnen wird Greta Thunberg zu einer Prophetin und selbsternannten Jeanne d’Arc und ihre Mitstreiter*innen zu »fanatischen Anhängern« erklärt, die verzückt jedes Wort ihrer Erlöserin als reinen Gospel akzeptieren. Ähnliche Töne kommen von der AfD, die mit Parolen wie »Diesel retten« um die Stimmen jener wirbt, die finden, es reiche jetzt mit Klimaschutz. Zum Sprachgebrauch von Dirk Spaniel, verkehrspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, gehört zum Beispiel die Formulierung vom »Klimakult«, den die EU betreibe.

Das alles ist natürlich recht durchschaubares Framing, wie auch der CDU-Politiker Ruprecht Polenz auf Twitter anmerkte: Je häufiger im Zusammenhang mit dem Klimawandel religiöse Begrifflichkeiten verwendet werden, desto mehr erscheint der Klimawandel für viele wie eine Glaubensfrage. Etwas, das man nicht beweisen und folglich genauso gut nicht glauben kann.

Wer die einhellige Meinung der Wissenschaft ignoriert und allen Ernstes von Klimareligion spricht, will damit natürlich auch klar machen, was für ein aufgeklärter, skeptischer Geist er selber ist. Die Klimareligion abzulehnen macht es dann leichter, im Dienste der Vernunft und Aufklärung weiter soviel durch die Gegend zu fliegen, Fleisch zu essen und Dieselautos zu fahren wie vorher, ganz ohne schlechtes Gewissen. In der Vehemenz, mit der Greta Thunbergs Kritiker behaupten, die Klimaaktivistin würde wie eine Heilige verehrt, liegt natürlich auch der Wunsch, eine besonders hohe Fallhöhe zu konstruieren. Nichts ist schöner, als eine Heilige als fehlbar und doch nicht so heilig zu entlarven, weil sie vielleicht heimlich mal ihr Pausenbrot in Plastikfolie einwickelt oder den Atlantik nicht im Solarflugzeug überquert. Der Hang, komplexe Sachverhalte wie den Kampf gegen den Klimawandel zu personalisieren und sich an einer Figur wie Greta Thunberg abzuarbeiten, macht es dann auch leichter, die Sache, für die sie steht, zu diskreditieren. Es ist ja auch viel einfacher, sich über Annegret Kramp-Karrenbauers Doppelnamen lustig zu machen, von Robert Habecks Wuschelkopfigkeit genervt zu sein oder Kevin Kühnert das abgebrochene Studium vorzuhalten, als sich mit Parteiprogrammen und politischen Inhalten auseinander zu setzen.

Vielleicht müssen die Klimaaktivist*innen sich den Begriff »Klimareligion« aber auch einfach wieder zurückholen, ihn selbst vereinnahmen und positiv besetzen. Denn eigentlich ist die »Klimareligion« die zeitgemäßeste und vernünftigste Religion, die es geben kann, denn sie widmet sich ganz und gar der Bewahrung der Schöpfung. In ihrem Namen würden keine Kriege geführt und keine Massaker verübt werden und anders als jede andere Religion nutzt sie auch denen, die nicht an sie glauben. Die Klimareligion orientiert sich ausschließlich am Diesseits, ihre Anhänger streben nicht nach einem Platz im Himmel, sondern kämpfen für das Überleben der kommenden Generationen. Die normative Grundlage der Klimareligion wäre keine jahrtausendealte, für Fehlinterpretationen anfällige Schriftensammlung mit ungeklärter Autorenschaft, sondern eine sich stetig erweiternde Sammlung an wissenschaftlichen Studien, Analysen und Forschungsergebnissen.

Es wäre begrüßenswert, wenn Klimaaktivist*innen hierzulande ähnliche staatlich garantierte Rechte wie die Anhänger christlicher Glaubensgemeinschaften hätten. Dann würden Fahrradwege zu Pilgerpfaden und der Hambacher Forst zum Sakralwald, und schon müsste die Politik einen Weg finden, für ihren Schutz zu sorgen, um keine religiösen Gefühle zu verletzen. Statt Tanzverboten gäbe es Stinkverbote, für Kohlekraftwerke und Kreuzfahrtschiffe zum Beispiel. »Klimaschutz« würde zum Schulfach, Klimaschutzaktivist*innen würden in Rundfunkräte berufen, als Arbeitgeber könnte die Klimareligionsgemeinschaft ihren Angestellten das Fahren spritfressender SUVs verbieten.

Und der Freitag würde zum Wohle aller ein religiöser Feiertag, so dass niemand mehr für Klimademos die Schule schwänzen muss.