Fehl am Platz

»Sylter Hof« in Berlin, »Hotel Tessin« in ­München – warum sind Hotels so oft nach Orten benannt, die ganz woanders liegen?

Illustration: Paweł Mildner

Suchen Sie sich mal ein nettes Hotel in Berlin raus. Oder in Köln. Oder in Paris oder sonst wo. Bald werden Sie das Gefühl haben, Sie suchen am falschen Ort. Münchner Hotels heißen zum Beispiel: »Hotel Stadt Rosenheim«. »Hotel Italia«. »Hotel Adria«. Oder »Hotel Wallis«, »Hotel Tessin«, »Hel­vetia Hotel«, gleich dreimal Schweiz, rätselhaft. Oder das »Hotel Freisinger Hof« – liegt in der Stadt, vierzig Kilometer entfernt vom Vorort Freising. Es gibt sogar ein »The ­Flushing Meadows Hotel«. Das letzte Mal, als ich in einen Reiseführer geschaut habe, war Flushing Meadows ein Park in New York.

Wer eine Übernachtung in Berlin braucht, findet den »Erlanger Hof«, das »Hotel Elba«, den »Sylter Hof« und das »Hotel California« (na gut, lassen wir als Lied durchgehen). ­Außerdem das »Hotel de Rome« – also ein Hotel in Berlin, benannt nach einer italienischen Stadt, auf Französisch.

In Hamburg und Frankfurt, in Deutschland und auf der ganzen Welt dasselbe Phänomen. Warum benennen Hotelbetreiber ihre Häuser nach anderen Orten? Warum nicht nach den Orten, in denen sie sind? Warum in die Ferne schweifen, wenn das Nahe gut oder zumindest passend wäre? Ist so ein Ganz-woanders-Name nicht widersinnig? Weckt er nicht vielleicht sogar falsche Erwartungen? Im »Hotel de Rome« wird man dann ja nicht mit »Buon giorno, comment allez-vous?« begrüßt, sondern eher mit »Wat kann ick für Sie tun?« Im »The Ascot Hotel« (Köln) sieht es weder nach britischem Hochadel noch nach Pferderennen aus. Solche Namen können in die Irre führen. Stellen wir uns vor, da kommt jemand nach München, um auf dem Oktoberfest zu feiern. Nach viel Bier wacht er am nächsten Morgen im »Hotel Stadt ­Rosenheim« auf und denkt, eine Stunde Fahrt weit weg, um Himmels willen, wie ­besoffen war ich gestern?

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Damit nicht noch mehr Verwirrung entsteht, gehen manche Hotelbetreiber auf Nummer sicher: In Gütersloh gibt es ein »Hotel Stadt Hamburg«. Das Wort »Stadt« musste offenbar sein, damit niemand auf die Idee kommt, es handle sich um einen Eigennamen. Nein, kein Hotelier Hansgünther Hamburg, gemeint ist tatsächlich: Elbe, Hafen, Michel. Nur eben südwestlich des Teutoburger Walds.

Vielleicht liegt es am Fernweh. Wer ein Hotel eröffnet, hat möglicherweise ein Faible für Reisen, macht selbst gern Urlaub in den verschiedensten Ecken der Welt. Also gibt er seinem Hotel einen Namen, der ihn schon beim Falten der Frühstücksservietten träumen lässt. Aber wie weit träumt man sich, wenn man in Berlin im »Erlanger Hof« ­arbeitet?

Fragt man bei den Hotels nach, gibt es durchaus plausible Gründe für die Namen. Der »Erlanger Hof« liegt an der Erlanger Straße. Das Münchner Hotel »Stadt Rosenheim« wurde bei seiner Gründung 1890 »Hotel zur Stadt Rosenheim« genannt, weil es für viele die letzte Station auf dem Weg dorthin war. Das »Hotel Wallis« dagegen: Heißt so, weil es früher mal im alpenländischen Stil eingerichtet war und der Pächter gern ins Wallis zum Skifahren ging. Nun ja. Andere Geschichten sind ein bisschen traurig: Das »Hotel Helvetia«, gegründet 1926, wurde einst von einer Frau geführt, die sehr in einen Schweizer verliebt war. Die Liebe war unglücklich, den Bezug zur Schweiz wollte sie trotzdem – oder gerade deshalb – bewahren (so erzählen es die heutigen Betreiber). Der Hotelname als Entsprechung zur Namensgravur in der Baumrinde. Das Münchner »Hotel Adria« übrigens heißt nicht etwa wegen der Mediterranophilie der Gründer so, sondern weil es der Adria Vermögensverwaltung gehört ­(warum eine Vermögensverwaltung heißt wie ein Meer, klären wir bei anderer Gele­genheit).

Mit einem Schulterzucken könnte man sagen: Hotels müssen halt irgendwie heißen. Schließlich gibt es immer mehr davon. Allein im Großraum München: Da waren es vor 15 Jahren noch 48 000 Hotelbetten, heute sind es 84 000. Ähnlich sieht es in anderen Großstädten aus. Und irgendwann sind die Klassiker halt durch. Ein Reiseanbieter hat mal die beliebtesten Hotelnamen Deutschlands zusammengestellt. Platz 1: »Zur Post«. Platz 2: »Krone«. Platz 3: »Zur Linde«. Und keiner der Namen hat heute noch viel mit der Realität zu tun. Die »Post« ist so gut wie nie mehr die Post. Neben der »Linde« findet sich in der Regel keine Linde, sondern ein Parkplatz. Und das Hotel »Central« (Platz 7) liegt gern mal im Gewerbegebiet. So gesehen ist es auch völlig in Ordnung, ein Hotel am Rhein so zu nennen wie eine Hauptstadt in Südostasien und eine Pension in Bottrop wie eine Landschaft in Chile.

Dennoch, ein Rest von Irritation bleibt. Nur mal so als Gedanke: Was wäre denn, wenn das Prinzip auch in anderen Lebensbereichen Schule machte? Möglicherweise würde jemand den FC Bayern Hamburg gründen. Oder irgendwer käme auf die Idee, sein Restaurant »Bella Punjabi« zu nennen. Wobei – das gibt es tatsächlich. Ein Stück südlich von München. Was für Gerichte mögen da auf der Karte stehen – Pizza Tandoori?