Egal ob Berge oder überfüllter Strand - das Gute am Urlaub ist, dass einen keiner fragt: Na, wie ist’s daheim so?
Jeder Urlaub hat ein Ende, jeder Reisende kehrt irgendwann zurück in den Alltag, der auf einen wartet wie ein nicht mitgenommener Koffer. Viele fürchten sich vorm Zurückkommen – vor den ungelesenen E-Mails im Posteingang; vor der Kreditkartenabrechnung; vor dem Trott.
Ich fürchte mich vor etwas anderem. Egal ob der Urlaub fantastisch oder ein Desaster war. Ich fürchte mich vor dem ersten Telefonanruf meiner Mutter und dem Satz, der jeden Urlaub von der Gegenwart in die Vergangenheit der Erzählung katapultiert:
Na, wie war’s, jetzt erzähl mal!
Ich fürchte mich vor dem ersten Tag im Büro, vor meinem Chef, vor den Kollegen, die mich alle mit derselben Frage begrüßen. Und meine Kollegen sind sehr neugierig.
Sie haben diese Frage auch schon wildfremden Menschen am Flughafen gestellt, um journalistisch daraus Kapital zu schlagen (SZ-Magazin, 1991 und 2010). Die Verhörten erzählten vom mehlweißen Strand auf Fuerteventura. Vom »schönsten Urlaub überhaupt« und zwar »gar nicht so wegen des Hotels, sondern so insgesamt«.
Mir fällt auf die Urlaubsfrage meist noch weniger ein, zumal wenn ich gerade angekommen bin. Mein Kopf ist dann wie leer gefegt, obwohl er doch randvoll sein müsste. Ein Armutszeugnis für einen Journalisten, ich weiß. Ich hatte schon Chefredakteure, die aus dem Urlaub fünf Titelgeschichten mitbrachten. So stehe ich im Aufzug, braun gebrannt und ohne Worte. Der Muffel ist wieder da. Sein Urlaub scheint ja toll gewesen zu sein.
Ich weiß, es ist nur nett gemeint, eine kleine Geste der Höflichkeit unter kultivierten Menschen, die sich kennen. Aber mich belastet das. Es bedeutet in der Praxis, zig Mal das Gleiche zu erzählen, möglichst bekömmlich und kurzgefasst. Ich fühle mich in der Bringschuld. Ich spüre die Erwartungshaltung. Vielleicht bin ich schwierig. Ich mag es auch nicht, im Restaurant ständig gefragt zu werden, wie’s schmeckt. Ich fühle mich dann genötigt, das Gewünschte zu sagen. Man will ja niemanden vor den Kopf stoßen. Schon gar nicht nach dem Urlaub.
Menschen, die etwas lockerer drauf sind, umschiffen solche Situationen mit der Kulturtechnik des Small Talk. Also: gepflegtes Plaudern, ohne die Aufmerksamkeitsspanne des anderen zu überreizen. Doch genau das ist das Problem: So wird aus Tagen, die vielleicht unvergesslich, in jedem Fall aber privat waren, eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen mit dem Informationsgehalt eines mittelmäßigen Reiseführers. Das Wetter. Das Essen. Der Blick vom Hotel. Gab es WLAN?
Wie soll man auch zwischen Tür und Angel besprechen, was einen wirklich bewegt hat, wie jemandem am Kaffeeautomaten die Erhabenheit des Hoover-Damms erklären? Von Ehestreit und anderen Sinnkrisen in der Ferne ganz zu schweigen, die man vielleicht mit seinem Therapeuten, aber nur ungern mit seinen Kollegen teilt. Und überhaupt: Wo bleibt die kollektive Neugier, wenn man mal ein paar Tage nur krank war?
Urlaubszeit gilt als quality time. Das verpflichtet. Man hat gefälligst was zu erleben und die Welt kennenzulernen, zumindest sollte man sich erholen. So will es der Lebens-takt des Kapitalismus, so wollen es die Verfechter der so-genannten Work-Life-Balance. Arbeite, damit du leben kannst. Fahre in Urlaub, damit du wieder arbeiten kannst. Der Rechenschaftsdruck hinterher dient der Selbstvergewisserung des Systems.
Und doch hat jeder Reisende fremde Gerüche und Eindrücke eingesogen, neue Menschen kennengelernt und interessante Dinge erlebt. Was ist schöner, als all das mit den Dagebliebenen zu teilen? Doch das eine führt nicht automatisch zum anderen. Ich, zum Beispiel, werde sprachloser, je mehr ich erlebe. Mir ergeht es dann wie meinem Freund, der vom Kilimandscharo zurückkam, tagelang nur schwieg und auf Nachfragen stammelte: Was soll ich sagen? Erst Wochen später erzählte er vom Sonnenaufgang über der Massai-Steppe, von den Qualen des Aufstiegs. Man weiß nicht, wie Marco Polo zumute war, als er 1295 nach 24-jähriger Reise aus China zurückkam und von seinem Schiff herunterstieg. Vielleicht trug er schon am Hafen ein kleines Best-of seiner Abenteuer vor? Ich wette, er wollte erst mal seine Ruhe haben. Sein Buch von den Wundern der Welt brachte er jedenfalls erst vier Jahre später zu Papier.
Mir ist klar, dass ich mit dieser Einstellung am Rande stehe. Die meisten Menschen geben gern und bereitwillig Auskunft von ihren Reisen. Manche warten gar nicht erst, bis sie wieder zu Hause sind. Sie posten Fotos von offenen Balkontüren mit Meerblick auf Facebook. Sie posten Selfies vor der Golden Gate Bridge auf Instagram. Früher hätten sie jeden Tag eine Postkarte geschickt.
Es soll Leute geben, die fahren überhaupt nur in Urlaub, damit sie daheim was zu erzählen haben. Sie schreiben die Bewertungsforen auf Tripadvisor voll, und wenn das nicht reicht, eröffnen sie eine Reiseblog oder schreiben Reisebücher. Wie ich sie beneide. Spricht sie daheim einer im Aufzug an, wie es war, dann plaudern sie munter drauflos, als wär es das Leichteste auf der Welt. Das Essen. Das Hotel. Hattet ihr auch so tolles Wetter?
Ich schweige lieber erst mal. Wie nach dem Kino. Nichts ist schlimmer, als einen Film kurz nach dem Abspann schon zu sezieren. Warum muss man immer gleich zu allem eine Meinung haben? Gerade meine Meinung ändert sich oft und ständig. Erfahrungen brauchen Zeit, um sich zu sortieren. Forscher haben herausgefunden, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem Glück, das man im Urlaub empfindet, und der rückblickenden Antwort auf die Frage: Na, wie war’s? Das hätte ich ihnen auch gleich sagen können. Die Erinnerung ist eine Krücke, der man nicht vertrauen kann. Am allerwenigsten, wenn man ihr eine Pistole auf die Brust setzt.
Ich zum Beispiel weiß einen Tag nach dem Urlaub noch gar nicht, wie er war. Wie also soll ich über ihn sprechen, ohne nur Plattitüden von mir zu geben? Es gibt Reisen, die haben sich erst im Nachhinein als unvergesslich erwiesen: zum ersten Mal ohne Eltern über den Brenner, als Beifahrer im Opel Rekord des besten Freunds, kaum Geld und noch weniger Plan, die Autobahn querfeldein verlassen, um die Maut zu prellen, dabei in einem Brennnesselacker steckengeblieben, später schlechte Pasta in Genua, alles in allem drei kräftezehrende Tage ohne Schlaf – urlaubstechnisch der reinste Horror. Heute weiß ich: Besser geht’s nicht.
Neulich hat unser Ältester mit dem Opa die Alpen überquert. 400 Kilometer auf dem Rad in einer Woche. Als er im Morgengrauen zu Hause ankam, saß er mit sonnengegerbtem Gesicht, aufgeschürften Knien und schweren Gliedern am Frühstückstisch und erzählte eine halbe Stunde lang: nichts.
Guter Junge, dachte ich, du hast es verstanden.
Illustration: Monica Ramos