Am härtesten ist natürlich diese Variante: sich abends um elf hinlegen, den Wecker auf zwei Uhr nachts stellen, aus dem Tiefschlaf gerissen werden, zwei Zehnjährige aus dem Tiefschlaf reißen, halbtot Betten abziehen, Wasser und Gas abstellen, weil danach erst mal niemand mehr Ferien in dem Haus machen wird, Taschen durch den strömenden irischen Regen zum Auto schleppen, den Schlüssel bei den Nachbarn einwerfen und immer Panik spüren, irgendwas ganz Wichtiges vergessen zu haben.
Aber dann: sitzen wir zu viert im Auto. Warm und trocken. Das Auto ist gemietet und winzig, überall türmt sich Gepäck. Nach wenigen Minuten schlafen die Kinder ein, ihre Köpfe, die sie an die Tasche zwischen sich gelehnt haben, stoßen fast aneinander, ihre Münder sind leicht geöffnet.
Wir sind zu müde, um zu reden. Der Regen verschwimmt auf der Frontscheibe, Gebläse und Scheibenwischer geben ihr Bestes, dazu singt Aimee Mann. Die Landstraße im Westen Irlands, County Mayo, ist schmal, das Fahren auf der linken Seite nach zwei Wochen immer noch ungewohnt, das Schalten mit der linken Hand auch, der nasse Asphalt blendet, die Fuchsienhecken rechts und links wirken undurchdringlich, man muss sich unglaublich konzentrieren. Wir wechseln uns ab, der Mann und ich. Wenn er fährt, die Kinder schlafen, ich döse, empfinde ich Momente des Glücks. Geborgenheit.
Um neun Uhr geht unser Flug von Dublin nach München. Vier Stunden mindestens rechnet man von der West- an die Ostküste, wir liegen gut in der Zeit. Als es dämmert, lässt der Regen nach. Die Kinder wachen auf, wir packen die Brote aus, die wir abends geschmiert haben, und trinken den Tee, den wir abends in die Thermoskanne gefüllt haben. Die Straße ist leer, nirgends Licht in den Farmhäusern, die Iren sind keine Frühaufsteher. Nur wir sind wach, wir vier. Als wären wir allein auf der Welt. Die Butterbrottüten knistern, wir reichen uns Tee weiter, keiner sagt ein Wort. Wieder diese Momente des Glücks. Weil wir uns so nah sind in unserem winzigen überheizten Auto, um uns herum der diesige Morgen, in den keiner hinaus möchte.
Ich erinnere mich kaum an ähnlich innige, harmonische Momente. Höchstens auf anderen nächtlichen Autofahrten. Man kann ja auch abends los. Den ganzen Tag schon in Aufbruchstimmung sein, von der Arbeit nach Hause radeln, erfüllt von Vorfreude, packen, CDs mit der Musik für die Nacht aussuchen, Portishead, Johnny Cash, Harry Potter und der Gefangene von Askaban für die Kinder, an der Tankstelle Sandwiches und Kaffee zum Mitnehmen holen. Dann weiter, Richtung Süden, am Brenner im ersten Autogrill auf der italienischen Seite einen Mitternachtscappuccino trinken und bei Sonnenaufgang am Kai von Piombino auf die Elba-Fähre warten. Oder die ersten, unglaublich guten Croissants beim Bäcker in Nizza kaufen.
Vor dem Mitternachtscappuccino reden wir alle viel: Wird es sehr heiß sein dies Jahr? Wer macht einen Tauchkurs? Haben wir an die Angelsachen gedacht? Nach dem Mitternachtscappuccino wird es still im Auto. Einer schläft, die anderen wachen. Oder alle schlafen, einer wacht. Es ist kein einsames Geschäft, das Fahren, während alle schlafen, im Gegenteil. Wenn ich es bin, umhüllt mich die schlafende Anwesenheit der Menschen, die ich liebe, wie ein warmer Mantel. Und ich freue mich auf den Moment, in dem sie aufwachen und ich sagen kann: Nur noch dreißig Kilometer, und wir sind am Meer.
Ich bin auch schon mit fast fremden Menschen halbe oder ganze Nächte durchgefahren. Früher waren das Mitfahrgelegenheiten, heute sind es Leute, mit denen ich arbeite. Auch zu den fast fremden Menschen entwickle ich eine sonderbare Nähe, als hätten wir zusammen Großes geleistet. Etwas, was uns für immer zusammenschweißen wird.
Das wird es nicht. Aber im Auto fühlt es sich so an. Weil man anders miteinander redet als in jeder Situation sonst. Weil man miteinander schweigt, anders als in jeder Situation sonst. Und weil man ja tatsächlich etwas erobert, Kilometer um Kilometer Strecke macht, dem gemeinsamen Ziel näher kommt, an einem Strang zieht.
Natürlich möchte man ankommen, darum fährt man ja. Aber kaum ist man ausgestiegen, schaut der eine nach rechts, der andere nach links. Der eine will frühstücken, der andere mit den nackten Füßen sofort ins Meer. Natürlich gibt es nicht immer gleich Streit, ausgeschlossen ist das aber nicht. Die Innigkeit allerdings, diese Einheit, diese Verbundenheit, ist weg. Weil man nicht mehr dieselbe Luft atmet, nicht mehr dieselbe Musik hört, nicht mehr aus demselben Becher trinkt, nicht mehr in eine Richtung unterwegs ist, während draußen alles schwarz ist.
Fotos: Peter de Krom