»Schachboxen, was ist das denn?« Diese Frage höre ich seit etwa zehn Jahren. Es geht beim Schachboxen darum, Schach und Boxen zu kombinieren, die genauen Regeln und Abläufe sind einerseits recht kompliziert, andererseits aber auch einfach zu googeln.
Tatsächlich aber habe ich mich anfangs auch gefragt, was das sein soll. Ich wurde damals beim Training im Berliner »Post SV«, einem hinübergeretteten Box-Verein aus DDR-Zeiten, gefragt, ob ich auch Schach spielen könne. Iepe Rubingh, ein niederländischer Aktionskünstler, hatte sich Schachboxen als »Social Sculpture« ausgedacht, als eine Art Kunstinstallation mit Publikumsbeteiligung. Als Hobby-Schachspieler und mit etwas Erfahrung als Box-Trainer habe ich dann bei einem Schachbox-Kampf »die Ecke gemacht«, wie man so sagt, also einen Schachboxer betreut.
Und bin fast zehn Jahre dabei geblieben. Habe Training gegeben, ohne mehr als eine Aufwandsentschädigung dafür zu bekommen. Bin nach London und Moskau geflogen, habe Weltmeisterschaften betreut, und dabei meistens sogar etwas drauf gezahlt (weil die Parties nach den Kämpfen gut, aber nicht gesponsert waren). Ich habe viele Stunden in Online-Schach investiert, um mich vor den Cracks im Verein nicht zu blamieren. Einer von ihnen war der Schach-Großmeister Arik Braun, den ich für einen Wettkampf vorbereitet habe. Er hat mir dafür einige Schachtipps gegeben, auch einige demoralisierende, nämlich dass ich mit 40 Jahren kaum noch Wettbewerbsschach spielen werde, bei meinen Grundvoraussetzungen. Alles in allem also eine recht aufwendige, anstrengende, brotlose, manchmal demütigende Erfahrung.
Es dauerte eine Weile, bis sich der Wert dieser Anstrengungen an ganz anderer Stelle auszahlte. Als ich beispielsweise für ein Magazin zehn Tage nach Los Angeles flog, um zwei Interviews zu führen, kontaktierte ich den örtlichen Schachbox-Vertreter. Er war hocherfreut, einen Schachboxer vom anderen Ende der Welt kennen zu lernen, nahm mich mit zum Training in sein Gym, das »Wild Card«, in dem Box-Stars wie Manny Pacquaio trainieren - und zu einer Werner-Herzog-Retrospektive. Eine Dokumentation von Werner Herzog in einem auf Kühlschranktemperatur heruntergekühlten Kino in Los Angeles zu sehen, war ein besonderes Erlebnis.
Oder, als ich vor vier Jahren für eine Reportage nach Jakarta geschickt wurde, eine wirklich trostlose Stadt. Beim dortigen Goethe-Institut hatte gerade eine ehemalige Kollegin aus dem Berliner Schachbox-Club angefangen, die mir eine Dolmetscherin vermittelte und mir und dem Fotografen die netteren Bars der Neun-Millionen-Megacity zeigte. Alleine hätte ich die bestimmt nicht gefunden. Außerdem gehört die Party nach der letzten WM, 2013 in Moskau, zu den lustigsten, die ich je erlebt habe. Vor allem weil vorwiegend russische Künstler da waren, also eben genau nicht solche Russen, die man im Fernsehen oder in Skigebieten als ihr eigenes Klischee herumlaufen sieht.
Trotz allem habe ich mich natürlich oft gefragt, ob ich mich da in etwas hineinsteigere, was ein bisschen sinnlos ist. Es ist heutzutage gar nicht mehr so üblich, ein Hobby zu haben und sich diesem mit gewissem Einsatz zu verschreiben - der moderne Mensch hält sich lieber alles offen, probiert dies und das aus, macht alles halb und nichts richtig. Wer es aber doch wagt, der merkt, der wahre Erfolg auch aus einer Kette von Misserfolgen erwachsen kann - um diesen erstaunlichen Mechanismus geht es in meiner Geschichte »Kleines Glück« (siehe unten).
Vor eineinhalb Jahren bin ich übrigens von Berlin nach München umgezogen. Meine Freundin schenkte mir einen Tanzkurs. So habe ich mich also mit 45 Jahren bei »Salsa / Anfänger I« angemeldet. Jeden Mittwoch musste ich zum Kurs, was zeitlich gar nicht einfach war, Schrittfolgen lernen, wiederholen, üben. Zu spät kommen, fluchen. Leise Erfolge. Tja, und dann kam die Reportage-Reise nach Kuba (demnächst in der SZ zu lesen). Und alles hat sich schon wieder gelohnt.
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