Wie ich mich mit meiner Mittelmäßigkeit versöhnte

Montags Klavierstunde, mittwochs Handballtraining: Unsere Autorin hat wieder mit den Hobbys ihrer Kindheit angefangen. Und stellte fest, dass weniger Erfolgsdenken mehr Glück bedeutet.

Es ist wichtig, sich bei den Freizeit­beschäftigungen immer eine gewisse Leichtfüßigkeit zu bewahren.

Foto: Maria Poursanidou

Die Bälle kontrollieren? Gelingt mir selten. Den Ton angeben? Fällt mir schwer. Aber ich lerne es. Sogar eher im direkten Sinne als im übertragenen. Denn: Ich nehme Klavierstunden. »Wieder« muss ich ergänzen – genau so, wie ich wieder begonnen habe, Handball zu spielen.

Wieder, weil das die Hobbys meiner Kindheit sind, die ich in diesem Jahr noch mal angefangen habe. Weil ich sie heute ganz anders zu schätzen lerne. In meinem Elternhaus stand ein Klavier, meine Eltern hatten es mit dem Haus gekauft, es stand eben da, und weil sie sich für ihre Kinder wünschten, dass sie ein Instrument spielen können, bekamen meine Schwester und ich Klavierstunden. Ich lernte schnell, es machte Spaß und die Großeltern sehr stolz, und ich hatte Freude daran, gut zu sein und gelobt zu werden. Irgendwann hatte mein Klavierlehrer keine Zeit mehr (Hausbau, Familienplanung), und obwohl ich mir vornahm, weiterzulernen, ließ ich es bleiben.

Ähnlich begann meine Handballkarriere: Ich wurde gefragt, ob ich Zeit und Lust hätte, in der Mannschaft einer guten Freundin anzufangen, deren Torhüterin hörte auf. Weil ich dieser Freundin den Gefallen tun wollte und meine Eltern mir ohnehin immer in den Ohren lagen, ich solle mir neben dem Reiten noch einen »richtigen« Sport suchen, sagte ich Ja.

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Ich bin eine 33-Jährige mit dem Wochenplan einer 14-Jährigen

Ich lernte schnell, ich wollte gut sein, und das war ich – deswegen machte es Spaß. Ich wurde Mannschaftskapitänin, stand bei jedem Spiel im Tor und kann heute sehr gut nachfühlen, was in David Späth vor sich geht, wenn er nach einer Parade laut jubelnd die Faust in die Luft reckt und den Applaus einsammelt – auch wenn ich damals in solchen Situationen eher errötete und starr aufs Spielfeld schaute, war es dieses Gefühl, was ich suchte. Aber als ich nach dem Abitur nach Neuseeland ging, hörte ich auf und fing nicht mehr an. Bis zum Anfang dieses Jahres.

Es ist ein bisschen witzig, wenn man als erwachsene Frau wieder Sätze sagt wie: Montags habe ich Klavierstunde, und dienstags- und mittwochabends habe ich Handballtraining. Ich bin eine 33-Jährige mit dem Wochenplan einer 14-Jährigen. Wie das kam?

Es war so: Mein Freund hat ein E-Piano. Als ich zum ersten Mal daran saß, war ich ein bisschen traurig, dass ich nicht mehr spielen konnte als das, was ich aus den Klavierstunden meiner Kindheit noch im Gedächtnis hatte: drei Stücke aus dem Diabelli-Buch, das ich damals besaß, den Flohwalzer und die Titelmelodie von Pippi Langstrumpf. Ich hätte mir Noten kaufen können, aber als Kind habe ich den Teil des Unterrichts, in dem ich das Notenlesen lernen sollte, ignoriert. Stattdessen habe ich meine kindliche Auffassungsgabe genutzt und auswendig gelernt, was auf der Klaviatur passiert. Deswegen war mir nun klar, dass ich, wenn ich das Klavierspielen beherrschen möchte, es dieses Mal richtig machen muss. Ich suchte mir eine Klavierlehrerin.

Mit Anfang 30 wieder ins Lernen zu starten ist eine Herausforderung. Noten und ihre Positionen auf den Linien und was das wiederum in Kombination mit anderen Zeichen über die Musik ausdrückt, die sie abbilden, stellen mich oft vor eine große Übersetzungsaufgabe. Aber umso stolzer bin ich, wenn sich nach einiger Zeit eine Melodie auftut – und das, was eben noch kryptische Linien und Punkte auf dem weißen Blatt waren, durch meine Finger zu Musik wird. Und ich glaube, darin liegt für mich jetzt der Zauber. Nicht mehr darin, die Erwartungen anderer zu erfüllen.

Es steckt viel Spaß darin, die kleinen Fortschritte zu erkennen und mir dafür selbst die Anerkennung zu geben, die ich mir wünsche

Manchmal wünsche ich mir, es könnte im Handballtor genauso ablaufen. Ein Blatt vor der Nase, mit allen Instruktionen darauf: Wie das linke Bein den Absprung einleitet, der rechte Fuß sich nach außen dreht, der Oberkörper sich aufrichtet, die Arme sich weiter heben und strecken, der Körper sich auf den rechten Pfosten zubewegt, das rechte Bein sich beugt, das linke sich streckt, der Kopf die Flugbahn des Balls und des eigenen Körpers antizipiert, sodass am Ende des Sprungs ein Körperteil den Ball daran hindert, im Tor zu landen. Auswendig lernen, immer wieder durchgehen – und am Ende halte ich jeden Ball, der aufs rechte untere Eck zielt. Das ist leider nicht so.

Stattdessen habe ich auch nach mehreren Monaten – in diesem Fall war es die Handball-Europameisterschaft in Deutschland, die in mir die Lust geweckt hat, wieder mit dem Sport anzufangen – noch nicht wieder die Bewegungsabläufe intus, die mein Torwarttrainer mir früher akribisch beigebracht hat. Manchmal ärgere ich mich darüber. Aber eigentlich ist es nicht schlimm.

Früher wollte ich Dinge können. Und wenn ich Arbeit investierte, dann für das Lob am Ende. Heute weiß ich, dass mir das als Motivation nicht reicht. Und weil ich weder ein Naturtalent im Handballtor noch am Klavier bin, erlaube ich mir heute zu lernen. Denn es steckt viel Spaß darin, die kleinen Fortschritte zu erkennen und mir dafür selbst die Anerkennung zu geben, die ich mir wünsche. Für diese Entwicklung möchte ich mir applaudieren.

Ich werde nie bei einer EM oder Olympia in einem Handballtor stehen. Ich werde nie ein Klavierkonzert vor einem zahlenden Pu­blikum geben. Meine Mittelmäßigkeit und ich tanzen miteinander, aber das ist nicht mittelmäßig, das ist sehr gut.